Die Kimberley Region ist eine der einsamsten Gegenden Australiens. Hier entdeckt man Felsmalereien, Aborigine-Gräber und badet mit Krokodilen.
Sam hat seit drei Jahren kein Eis mehr gegessen, und wenn er mit dem Auto durch eine Großstadt fahren soll, bekommt er Panikattacken. Wir stehen am Rande eines Wasserfalls, der sich smaragdgrün über Kaskaden in die menschenleere Landschaft ergießt. Ein Helikopter hat uns auf einem Plateau oberhalb der Mitchell Falls mitten im australischen Outback abgesetzt und nun müssen wir bei 38 Grad Hitze den Weg zurück ins Camp finden. Ohne Guide wäre unsere kleine Wandergruppe mit fünf Personen in der Wildnis verloren, aber mit Ranger Sam, der schon seit vier Jahren abseits der Zivilisation lebt, fühlen wir uns wie bei Crocodile Dundee. Mit seinen tätowierten Oberarmen weist uns der 33-Jährige den Weg durch die Einsamkeit und ermahnt jeden von uns, auf der halbtägigen Wanderung mindestens vier Liter Wasser zu trinken.
Als wir in der Mittagshitze oberhalb des Canyons entlanglaufen, rinnt uns schon nach wenigen Schritten der Schweiß über die Stirn. Zum Glück finden wir bald etwas Schatten unter einem Felsvorsprung. Während wir unsere Trinkflaschen an einem kleinen Wasserfall auffüllen, sehen wir an einer Felswand Aborigine-Zeichnungen, die über 30.000 Jahre alt sein sollen. Der abgebildete Tasmanische Tiger über unseren Köpfen ist jedenfalls schon seit 4.000 Jahren ausgestorben.
In der gesamten Kimberley Region befinden sich solche Malereien, die vom Lebensalltag der Urbevölkerung Australiens erzählen. Viele von ihnen sind noch unentdeckt, was nicht weiter verwunderlich in einer Gegend, die so wenig erforscht ist, dass es noch immer Flüsse, Strände und Berge ohne Namen gibt. Nur 35.000 Menschen leben auf einer Fläche, die in etwa so groß wie Deutschland und Österreich zusammen ist. Als wir später über Millionen Jahre altes Vulkangestein kraxeln, fühlen wir uns so einsam wie auf dem Mond.
"Die letzte Regenzeit habe ich ganz allein an einem Strand an der Timorsee verbracht und vier Monate lang mit niemandem gesprochen", sagt Sam und zieht dabei jedes Wort endlos in die Länge. "Die Luftfeuchtigkeit betrug 99 Prozent und ich konnte mich nirgendwo erfrischen. Selbst wenn ich geduscht habe, war ich anschließend genauso durchgeschwitzt wie vorher." Es sei jedoch eine magische Zeit gewesen. "Ich bin jeden Morgen mit Meeresschildkröten und Mantarochen schwimmen gegangen und habe mich wie der letzte Mensch auf Erden gefühlt. Diese absolute Einsamkeit auszuhalten, hat mich stark gemacht. Jetzt kommt mir jede Herausforderung im Leben vergleichsweise klein vor - abgesehen von dem Verkehr in Großstädten."
Obwohl wir erst wenige Stunden unterwegs sind, überträgt sich die Ruhe der Landschaft schon auf uns. Als wir uns an einer Wasserstelle zwischen roten Felsen rücklings treiben lassen und zum wolkenlosen Himmel emporschauen, fühlen wir uns wie hypnotisiert von der Weite und Stille der Umgebung. Wir sind so entspannt, dass wir uns nicht einmal vor dem Krokodil fürchten, mit dem wir den Naturpool teilen. "Ist nur ein kleines Süßwasserkrokodil", sagt Sam. "So lange ihr es nicht in die Ecke drängt, wird es euch auch nichts tun." Und so kühlen wir uns weiter samt Kleidung im Wasser ab und lassen uns anschließend in der Sonne trocknen.
Kurz vor Sonnenuntergang geht die felsige Landschaft in dichte Vegetation aus Eukalyptusbäumen und Fächerpalmen über. Sam pflückt eine kleine rote Beere namens Crabs Eye Bean von einem Baum und sagt, dass sie so giftig sei, dass man zwei Menschen damit töten könnte. Da sind uns die Gubinge-Beeren vom nächsten Baum schon lieber, die 50 Mal so viel Vitamin C wie Orangen enthalten und säuerlich-süß schmecken.
Als sich die Wanderung ihrem Ende nähert, sind wir erschöpft und glücklich - und freuen uns über den Hackauflauf, der im Camp serviert wird. Nach Sonnenuntergang sitzen wir vor unseren Safarizelten und blicken zur Milchstraße empor. Aus der Stereoanlage der Campküche knattern die Pet Shop Boys und es kommt uns vor, als seien wir aus der Zeit gefallen. Es könnte jetzt auch 1983 oder 1853 sein - hier mitten in der Wildnis lässt sich kein Unterschied mehr zwischen den Jahrzehnten feststellen.