Adrian Garcia-Landa

Freier Journalist / Recherchen, Berlin

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Artikel

Millionengeschäfte mit Flüchtlingsheimen in Brandenburg: „Das riecht nach Korruption"

Bewohner haben vielen Fragen zu dem geplanten Heim in ihrem ort Flecken-Zechlin. Dort keine wird beantwortet.

Helga B. steht in der Aula einer Schule von Neuruppin, vor ihr ein Mikrofon, sie schaut zur Bühne. Da vorne sitzen sie, die Leute aus der Leitungsebene ihres Landkreises Ostprignitz-Ruppin im Norden Brandenburgs. Im Saal sind auch die 45 Mitglieder des Kreistages. Die Stimmung im Saal wirkt angespannt. Die Rentnerin ist gekommen, wieder einmal, um Fragen an den Landrat zu richten.


Sie ist die dritte Bürgerin an diesem Tag, die Fragen an den Landrat richtet. Alle kreisen um ein geplantes Flüchtlingsheim in einem Dorf bei Rheinsberg. Anfang 2022 kündigte der Landkreis im Ortsteil Flecken Zechlin ein Heim für 150 Personen an. Direkt neben dem Haus von Helga B. Obwohl auch der Bürgermeister von Rheinsberg gegen das Heim war, setzte der Landkreis es durch. Seit Dezember 2022 besucht Helga B. die Bürgerfragestunde des Landkreises, die alle drei Monate stattfindet, auch ihre Nachbarn kommen.


Die Bürger fordern immer wieder Antworten auf ihre vielen Fragen: Kann Integration funktionieren, wenn die Nachbarschaft ignoriert wird, in einem Dorf mit wenig Infrastruktur? Warum wurde das Gebäude ein Jahr lang rund um die Uhr bewacht, obwohl es leer stand? Das kostete mehr als eine halbe Million Euro. Vor zwei Jahren, das wissen die Bürger inzwischen, gab der Landkreis den Eigentümern bereits eine halbe Million Euro Zuschuss für Umbauten, doch das Haus steht noch immer leer. Wie wird die zweckmäßige Verwendung des Geldes überprüft?


Flüchtlingsheime in Ostprignitz-Ruppin: Bürger fordern Antworten


Doch Antworten bekommen die Anwohner nicht. Alle drei Monate weicht die Verwaltung ihren Fragen aus, kontert, mauert, die überwiegende Mehrheit des Kreistages schweigt.


„Wir bekommen nur aalglatte Antworten. Unser Dorf wird mit all unseren Fragen alleingelassen und Sie wollen uns erzählen, es wird alles wunderschön?", sagt Helga B. an diesem Tag. Der Landrat, Ralf Reinhardt von der SPD, gibt sich defensiv und offensiv zugleich. Zu Geldflüssen könne er nichts sagen, das seien Vertragsinhalte, aber alles sei ordnungsgemäß. Inwiefern interessiere die Bürger die Sache, seien sie denn Vertragspartner? Oder geschädigt? Wenn sie Unregelmäßigkeiten vermuteten, könnten sie sich an die Staatsanwaltschaft wenden. Schließlich sagt er, die Fragen zu den Geldern seien doch nur vorgeschoben, „um uns zu sagen, wir möchten keine Flüchtlinge hier als Nachbarn, gestatten Sie mir diese Interpretation".


Nur der Abgeordnete Hans-Georg Rieger stellt sich auf die Seite von Helga B. und den anderen Anwohnern. Die Fragenden wollten keine Flüchtlinge als Nachbarn? Das sei „ein böser Zungenschlag, der mehr schadet als nützt", sagt er. Rieger ist bei den Brandenburger Vereinigten Bürgerbewegungen/Freien Wählern (BVB). Seit Monaten warten er und sein Fraktionsvorsitzender Siegfried Wittkopf auf Antworten. Der Presse geht es nicht besser: Anfragen werden vom Landkreis meist ignoriert, Presseausweise nicht anerkannt. 


Auch Transparenz-NGOs konnten die Mauer des Schweigens nicht einreißen. „Der Landkreis hat gegen die Vorgaben des Gesetzes verstoßen", sagt Arne Semsrott, Projektleiter der Plattform FragdenStaat. Die NGO bemühte alle Transparenzgesetze Brandenburgs, um die Flüchtlingsheimverträge einzusehen - vergebens. Von einer Klage sah die Plattform ab: Die Staatsanwaltschaft Neuruppin ermittelt in der Sache, darunter gegen eine Person in der Landkreisverwaltung.

2017 nahmen drei Kreistagsmitglieder Einsicht in die Verträge, doch ihr Einsichtsrecht wurde beschnitten: Unterlagen waren vorsortiert, die Einsicht auf eine Stunde begrenzt, jede Mitteilung der Inhalte verboten, Geldstrafen drohten. Ein Jahr später wollte Lokaljournalist Christian Schönberg Licht ins Vertragsdunkel bringen. Damals waren bei anderen Heimen die Geldflüsse auffällig hoch und verschlungen. „Zu den Hintergründen schweigt die Kreisverwaltung beharrlich", stellte der Journalist fest.


Gegen Presseberichte ging der Landkreis gerichtlich vor.

Als Ende 2022 detaillierte Artikel der fragwürdigen Finanzierung vieler Heime nachgingen, leitete der Landkreis Verfahren gegen die Märkische Allgemeine Zeitung (MAZ) und Focus Online ein. Das Ziel: Die Berichte aus dem Netz zu entfernen. Doch das gelang nicht. Eine Wirkung hatten die Verfahren trotzdem: Die MAZ sah vom Thema ab. Ende Oktober 2023 erklärt die Redaktionsleitung bei einer Diskussion über Lokaljournalismus: „Wir mussten aus dem Thema aussteigen. Wir legen uns da mit Institutionen an, die ganze juristische Abteilungen haben, das konnten wir nicht mehr leisten."


Die Märkische Oderzeitung (MOZ) und der RBB mieden das Thema von vornherein. Die finanzielle Dimension übersteigt die des RBB-Skandals, doch die Öffentlichkeit erfährt davon nichts. Ostprignitz-Ruppin ist eine Medienwüste, die Medienanstalt Berlin-Brandenburg sieht den Landkreis als eines der Schlusslichter bei der medialen Versorgung. Dabei gäbe es viel zu berichten.


Wie man Bruchbuden in Goldquellen verwandelt


Konkret besteht der Verdacht, dass der Landkreis zwei Geschäftsleute bei der Vergabe von Flüchtlingsheimen stark bevorzugt - und das schon seit 2014. Auffällig oft richteten Jens C. und Marko L. Unterkünfte ein, auch wenn ihre Objekte abgelegener oder deutlich teurer waren. 2015 hätte der Landkreis eine besser gelegene und dreimal günstigere Lösung nutzen können, wählte aber die Objekte der Geschäftsleute. Vertraglich und finanziell war und ist der Landkreis äußerst wohlwollend: Mehrmals waren die beiden Unternehmer zwischen die Eigentümer der Objekte und den Landkreis geschaltet, obwohl auch direkte Anmietungen oder Käufe möglich gewesen wären. Fehlte ihnen das nötige Kapital, fungierte der Landkreis als Garant, um Immobilienkäufe zu ermöglichen.

Jens C. und Marko L. haben laut Schätzungen bisher mehr als zwölf Millionen Euro mit Flüchtlingsheimen in Ostprignitz-Ruppin verdient. In Form von Mieten, Zuschüssen oder Ablösen vom Landkreis. Auch dank ungewöhnlich gewinnträchtiger Immobiliengeschäfte, die Mietverträge mit dem Landkreis ihnen ermöglichten. Nicht die hohen Summen sind das Problem, für die dringend benötigte Unterbringung Geflüchteter floss 2015 schnell viel Geld. Das Problem ist der offenbar laxe Umgang mit Steuergeldern - die weiterhin zwei Geschäftsleuten zufließen.

Die Geldflüsse lassen Muster erkennen. Wiederholt kam es zu langjährigen und frühzeitig unterbrochenen Mietverträgen. Das kompensierte der Landkreis mit tiefen Griffen in seine Kassen, er zahlte 2,1 Millionen Euro an Ablösen. Der Abgeordnete Hans-Georg Rieger, der auch Anwalt ist, zweifelt an deren Notwendigkeit: „Der Landkreis hätte mit dem Wegfall der Geschäftsgrundlage argumentieren können, denn die Flüchtlingszahlen waren zurückgegangen. Doch er probierte es nicht."

Auch bei Immobiliengeschäften schimmern Muster durch. Dank der Mietverträge mit dem Landkreis erzielten die Heim-Unternehmer schwindelerregend hohe Gewinne. Sie kauften zwei Heime für 1,2 Millionen Euro und verkauften sie knapp zwei Jahre später für fünf Millionen. Bruttogewinn: 3,8 Millionen Euro. Die astronomischen Steigerungen sind leicht erklärt: Langjährige Mietverträge mit der öffentlichen Hand verwandeln sogar Bruchbuden in Goldquellen.


Im November 2021 erwarb eine Firma von Marko L. ein seit Jahren leer stehendes Hotel in Flecken Zechlin für 470.000 Euro. Schon zwei Monate später wurde ein zehnjähriger Mietvertrag mit dem Landkreis unterschrieben - mit einer Jahresmiete von 420.000 Euro und einem üppigen Zuschuss für die Herrichtung. Eine Million Euro stellte der Landkreis dafür bereit. Andere Heim-Vermieter werden nicht so fürstlich behandelt.


Schon im Juni 2023 reichte Marko L. das Hotel dann an eine andere Firma weiter, die FR23 GmbH. Für 2,65 Millionen Euro. Eine fünffache Preissteigerung in 19 Monaten. Ein Immobilienunternehmer aus Brandenburg, der anonym bleiben wollte, prüfte für die Berliner Zeitung die Verträge: „Das ist sensationell. Die Immobilie ist nichts wert, aber der Vertrag mit dem Landkreis macht sie zur Goldgrube: Mietdauer zehn Jahre, eine Million obendrauf, ich würde sofort unterschreiben. 2015 unterschrieben Behörden aus Panik oft irgendwas. So ein Vertrag heute, das riecht nach Korruption."


Eine Sprecherin des Landkreises Ostprignitz-Ruppin erklärte der Berliner Zeitung auf Nachfrage: Die Immobilie werde auch zukünftig zur Nutzung als Flüchtlingsunterkunft zur Verfügung stehen. Der bereits gezahlte Zuschuss müsse an den Landkreis zurückgezahlt werden, falls die Immobilie anders genutzt würde.

Der Fall Wusterhausen/Dosse


2022 kaufte die schon erwähnte FR23 GmbH ein Heim in Wusterhausen/Dosse, für 2,4 Millionen Euro. Verkäuferin war wieder eine Firma von Marko L., die das ehemalige Heim zwei Jahre zuvor für 732.500 Euro erworben hatte. Für ein Drittel des neuen Preises also. Marko L. wiederum hatte das Gebäude von einer Firma gekauft, die sein Geschäftspartner Jens C. gegründet hatte. Diese Firma hatte das Gebäude im Jahr 2014 samt Grundstück für nur 300.000 Euro erstanden. Auch damals ein echtes Schnäppchen: Es gab für den Preis 30.000 Quadratmeter Land und 3100 Quadratmeter Gebäudefläche. Jens C. übertrug die Firma nach dem Kauf an einen Partner, blieb aber de facto Geschäftsführer.

Zwei Verkäufe mit großem Gewinn also in nur acht Jahren. Zwei Geschäftsleute, die profitierten. Noch brisanter wird die Verkaufskette, wenn man erfährt, wer an ihrem Anfang stand: Es war das Land Brandenburg selbst.

Wegen des geringen Preises sicherte es sich 2014 eine Gewinnbeteiligung für den Fall eines Weiterverkaufes. Der 2020 realisierte Gewinn - 432.500 Euro - hätte demnach zur Hälfte dem Land zufließen müssen. Doch das geschah nicht. Das Finanzministerium in Potsdam teilte Anfang 2023 mit, die Sache zu prüfen. Nach zehn Monaten gab es bekannt, eine Klage zu erwägen. In Zeiten wackelnder Haushalte verwundert diese zögerliche Haltung.

Auch der Landkreis Ostprignitz-Ruppin scheint bei Unregelmäßigkeiten der Geschäftsleute wohlwollend. Jens C. wurde 2007 und 2009 wegen Betrug und Unterschlagung verurteilt. Der Käufer von Flecken-Zechlin, die FR23 GmbH, hat einen Anteilseigner, der wegen Betrug und Urkundenfälschung verurteilt ist. Es wirkt, als fördere der Landkreis die Millionengeschäfte von Betrügern.


Der Fall Klosterheide


Ein weiterer Fall zeigt die fast unverfrorene Bevorzugung der zwei Geschäftsleute. In Klosterheide, einem beschaulichen Dörfchen mit 180 Einwohnern, das von drei Seen umgeben ist, mietete der Landkreis von 2015 bis 2019 ein Flüchtlingsheim. Nicht direkt vom Eigentümer - sondern über Jens C. und Marko L. Sie pachteten das Objekt und vermieteten es an den Landkreis. Für den vierfachen Preis. Insgesamt landeten mehr als eine Million Euro Mehrkosten in den Taschen der Heim-Unternehmer.


Die Immobilie gehörte damals einem in Klosterheide geborenen Unternehmer. Jürgen K., ein durchsetzungsfreudiger und wortgewandter Mann, machte sich in der DDR mit Anfang 20 selbständig, seine Autowaschanlage lief blendend. Bis sie mit der Währungsreform 1990 über Nacht überhaupt nicht mehr lief. Jürgen K. verwandelte seine Immobilie in einen Gasthof, mit durchwachsenem Erfolg. Als er 2014 erfuhr, dass der Landkreis Heime für die Unterbringung von Flüchtlingen suchte, bot er seinen Heidegasthof hartnäckig an. Das Gebäude hat 3200 Quadratmeter, Jürgen K. verlangte 6000 Euro pro Monat, er hielt das Angebot für attraktiv. Aber nach einer Besichtigung Ende 2014 erklärte der Landkreis es für völlig ungeeignet. Infrastruktur und Zustand seien für ein Flüchtlingsheim ungenügend.


Weil Jürgen K. einen Kredit bedienen musste, nahm er das wenig verlockende Angebot eines Tourismusanbieters an: Ab Oktober 2015 pachtete dieser über seine Firma den Gasthof für 4700 Euro monatlich. Zu Jürgen K.s Verwunderung kamen wenig später aber nicht Touristen, sondern Geflüchtete in den Heidegasthof. Der Pächter entpuppte sich als Strohmann einer der Geschäftsleute.


Der Landkreis hatte den zuvor verschmähten Gasthof doch gemietet, nicht direkt vom Eigentümer, sondern über einen Umweg. Er zahlte nicht 6000 Euro Monatsmiete an Jürgen K., sondern 21.000 Euro pro Monat an die Geschäftsleute, die nur 4700 Euro Miete an Jürgen K. zahlten. Pro Monat erzielten sie allein dadurch einen Gewinn von 16.300 Euro. Über dreieinhalb Jahre summierte sich das auf 700.000 Euro. Für welche Leistung? Ein Gebäude billig pachten und teuer weitervermieten?


Diesen Umweg versuchte der Landkreis umständlich zu rechtfertigen, teilweise mit falschen Angaben, die ein Gerichtsurteil 2023 ablehnte. Eine Sprecherin des Landkreises verwies auch auf Anfrage der Berliner Zeitung wieder darauf, dass der Zustand des Gasthofs nicht akzeptabel gewesen sei, als Jürgen K. ihn zur Miete anbot. Bevor der Landkreis das Gebäude dann doch anmietete, sei es hergerichtet worden. Diese Behauptungen wurden jedoch in Gerichtsurteilen für nicht haltbar erklärt. Als seien 700.000 Euro Mietdifferenz nicht genug, zahlte der Landkreis den zwei Geschäftsleuten eine Ablöse von 450.000 Euro, denn das Mietverhältnis wurde wieder einmal vorzeitig beendet. Dieses Verwirrspiel führte zu insgesamt 1,1 Millionen Euro Mehrkosten - allein bei diesem Heim.


Jürgen K. erinnert sich ungern an diese Zeit. Das Kapitel hat er abgeschlossen, sein Gasthof ist verkauft. Für den Landkreis und besonders den Landrat hat er wenig übrig: „Wenn ich Landrat bin, und zum Glück bin ich es nicht, warum lasse ich denselben Personen über Jahre so hohe Summen zukommen?", fragt er sich.


Der Landkreis wählt immer die „teure Option"


Seit Jahren wähle der Landkreis „teure Optionen", sagt Siegfried Wittkopf von den BVB/Freien Wählern. „Durch die Zusammenarbeit mit den zwei Geschäftsleuten entstehen keine nachhaltigen Lösungen. Hätte der Landkreis Heime gekauft, anstatt sie kaufen zu lassen, könnte er sie bei Bedarf reaktivieren."


Wittkopf ist seit 1993 im Kreistag, und meistens in der Opposition. Schon in der DDR war der Neuruppiner politisch unbequem. Das brachte ihn für 18 Monate ins Gefängnis, zwei Tage davon saß er im heutigen Amtsgericht seiner Heimatstadt ab. In dem Gebäude ist heute das Amtsgericht seiner Heimatstadt. Bei einem Treffen zeigt Wittkopf die Zelle, in der er saß. Heute ist sie das Büro der Pressesprecherin des Gerichts. Er hatte die Möglichkeit in den Westen auszureisen, sei aber lieber bei seiner Frau geblieben, erzählt Wittkopf, der Elektroinstallateur gelernt hat. In seiner Jugend habe er nichts bewegen können, sagt er. „Die Partei hat entschieden und die Masse gemeckert. Jetzt hat man die Möglichkeit, die Gesellschaft zu ändern, da kann man nicht zu Hause sitzen."


In seinem Arbeitszimmer, das einem Archiv gleicht, bereitet er sich auf die Sitzungen vor. Zuletzt las er den Haushaltsentwurf des Landkreises. Der Landkreis hat im Jahr 2024 etwa 325 Millionen Euro zur Verfügung. Mehr als 30 Millionen Euro sind für die Unterbringung von Geflüchteten vorgesehen, fast ein Zehntel des Haushalts. Im Jahr 2023 waren es nur halb so viel. Ostprignitz-Ruppin war trotzdem im vergangenen Jahr der einzige Landkreis in Brandenburg, der sein Aufnahmesoll für Flüchtlinge um 15 Prozent übererfüllt hat - und das schon in der Mitte des Jahres.


Er sei nicht grundsätzlich gegen die Unterbringung von Geflüchteten, sagt Wittkopf, aber man müsse Prioritäten setzen. Zumal nach der Verabschiedung des Haushalts eine Bombe geplatzt sei: „Den Ruppiner Kliniken fehlen zehn Millionen Euro pro Jahr, aber der Haushalt sieht nur zwei Millionen für sie vor."


Zwei Abteilungen der Klinik stehen nun wohl vor der Schließung, mit schweren Folgen für die medizinische Versorgung in der Region. Seine Kollegen im Kreistag hätten das Thema „verschlafen, weil sie den Haushalt nicht lesen", sagt Wittkopf. Im Kreistag sind er und seine Fraktion Underdogs: „Niemand hört auf uns, unsere Anträge werden systematisch abgelehnt". Über seine Kollegen urteilt er entsprechend hart: „Die wurschteln alles durch."


Die Härte beruht auf Gegenseitigkeit: Weil Wittkopf eine Zahl aus einem der Flüchtlingsheimverträge öffentlich zitierte, verhängte der Landkreis eine Ordnungsstrafe von 500 Euro gegen ihn. Auf seinen Widerspruch folgte eine Klage. „Man will uns wegbeißen, wir sind zu kritisch, zu beweglich", sagt Wittkopf. Aber an Aufgeben denke er nicht.


Der Fall Flecken Zechlin


Helga B., die Rentnerin aus der Bürgerfragestunde, wohnt direkt vor dem Haus in Flecken Zechlin, in das Geflüchtete einziehen sollen. Es ist vier Stockwerke hoch, mit gelblicher Fassade. „Es erschlägt einen", sagt Helga B., als sie vor dem Haus steht. Auch, weil sie der Anblick täglich an die Vorgänge erinnert, die so viele Fragen aufwerfen.


Zu DDR-Zeiten war das Haus, das auf einer Anhöhe über dem Schwarzen See steht, ein Ferienheim des FDGB. Später zog das Ausbildungshotel Seeblick ein, das für seine südafrikanische Küche und seinen weiten Ausblick bekannt war. Seit 2012 steht das Gebäude leer. Entlang der schmalen Straße vor dem Hotel, dem Weinbergsring, stehen ein Dutzend meistens einstöckiger Häuser. Die Bewohner bilden eine lose Initiative, die seit Anfang 2022 auf Antworten der Behörden wartet. Je entfernter die Häuser, desto geringer die Motivation, mitzuwirken.


Zu einem Gespräch haben Helga B. und ihr Mann zwei Nachbarn eingeladen. Rüdiger K. hat früher im FDGB-Heim gearbeitet, er erzählt von ausgelassenen Feiern, zu denen das Bier per Lkw mit 4000-Liter-Tank geliefert wurde. Gerd S. lebt seit der Wende im Ort, wie zuvor seine Eltern und Großeltern. Helga B. und ihr Mann sind erst 2019 nach Flecken Zechlin gezogen, sie haben sich hier ein Haus für ihre Rentenzeit gebaut.

Vorher hätten sie gefragt, was aus dem leerstehenden Hotel werden solle, erzählen sie. Die Antwort sei gewesen: ein Altersheim. Sie hätten gescherzt: „Wenn es so weit ist, brauchen wir nur über die Straße zu gehen." Inzwischen ist ihnen das Lachen vergangen. Flüchtlingsheime in einem Ort lassen die Immobilienpreise sinken. An einen Umzug ist nicht mehr zu denken.


Die dringlichste Frage der Nachbarn ist: Warum wurden sie im Vorfeld nicht informiert? „Wir hätten eine Willkommensgruppe organisieren können", sagt Helga B., „aber wir werden nicht gefragt." Man sei nur Stimmvieh, sagt Gerd S., der Landkreis scheine die Taktik zu verfolgen, einfach Tatsachen zu schaffen.


Weitere Fragen sprudeln: Wer kommt ins Heim? Familien? Junge Männer? Werden es wirklich 150? Bei 700 Einwohnern? Gibt es genug Schulplätze? Ärzte? „Hier gibt es einen Bäcker, einen kleinen Supermarkt und ein paar Busse", sagt Helga B. Warum dauern die Umbauarbeiten so lange? Warum flüchten die Arbeiter, wenn der Zoll auftaucht? Warum fahren seit Anfang des Jahres so viele Luxusautos vor, mit hervorragend gekleideten Menschen, bei denen einige meinen, die könnten rein optisch zur Unterwelt passen? Sind das die neuen Geschäftspartner der Geschäftsleute?


Das Gespräch schwenkt auf das Thema Politikverdrossenheit. „Die Stimmung ist gekippt, ich kenne so viele, die nicht mehr wählen gehen wollen", sagt Rüdiger K. „Es gibt ein Gefühl der Ohnmacht. Diese Resignation erinnert mich an die DDR." Gerd S. erzählt von Bekannten, die immer CDU wählten, überzeugte Christen seien, Merkel-Fans waren. Und nun für die AfD stimmen.


Vom Kreistag erwarten die Nachbarn nicht viel. Nach ihren Besuchen lesen sie manchmal die Berichte der Sitzungen in der Presse - wenn denn welche erscheinen. Sie fragen sich oft: „Waren die in derselben Veranstaltung?" Die Fragen der Bürger und die manchmal aufgeheizte Stimmung würden nicht erwähnt.


Das sagt der Landkreis zu den Vorwürfen


Die Berliner Zeitung wollte auch mit Verantwortlichen des Landkreises, Politikern anderer Parteien und den erwähnten Geschäftsleuten sprechen. Stellungnahmen der Geschäftsmänner blieben aus. Politiker anderer Parteien wollten sich entweder gar nicht äußern oder nur sehr spärlich. Der Landkreis antwortete nach mehrfachen Nachfragen schriftlich, verweigerte aber das Gespräch. Eine Sprecherin erklärte „zur Einordnung der Thematik", dass der Landkreis Ostprignitz-Ruppin grundsätzlich das Ziel habe, Geflüchtete „menschenwürdig" unterzubringen, die Unterbringung in Zelten und Turnhallen habe man 2014/15 und 2021/22 vermeiden wollen. Man sei auf Angebote von Immobilien angewiesen gewesen, die „bezugsfertig" waren oder „schnell hergerichtet" werden konnten. Vier Mietverträge seien vorzeitig beendet worden, als der Zustrom der Flüchtlinge nach dem Abkommen zwischen der EU und der Türkei nachließ und Unterkünfte sich leerten.


Zu den Kostenzuschüssen für das Hotel in Flecken Zechlin erklärte die Sprecherin, die Immobilie werde „kernsaniert", behindertengerecht umgebaut, möbliert vermietet, selbst Bettzeug und Handtücher würden vom Vermieter gestellt, der werde auf dem Gelände auch einen Spielplatz schaffen. Die Kosten hielten sich damit - bei einer Mietdauer von zehn Jahren - im Rahmen. Welche Rolle der Zuschuss von einer Million Euro bei dieser Kostenrechnung spielt, wurde nicht mitgeteilt.


Der Berliner Jurist Matthias Schütze kennt die Vorgänge rund um die Flüchtlingsheime und besuchte Kreistagssitzungen. Aus einer wurde er rabiat entfernt, als er auf die Beantwortung der Bürgerfragen pochte. Nur Bewohner von Ostprignitz-Ruppin dürfen teilnehmen, sagte man ihm. Der Jurist hält Korruption bei den Flüchtlingsheim-Geschäften für „eindeutig" belegt und erstellte eine 20-seitige Strafanzeige, die postwendend mit drei dünnen Absätzen eingestellt wurde. Mit derselben Begründung stellte man die Strafanzeige des Abgeordneten Rieger ein. Daraufhin erstattete Schütze eine weitere Strafanzeige, gegen den einstellenden Staatsanwalt. „Die Lage in Ostprignitz-Ruppin ist kafkaesk", sagt er, „man kann sich beschweren, nur bewirkt das nichts". Er fügt hinzu, dass er die Staatsanwaltschaften für politisch gesteuert halte.


„In Brandenburg ist der Rechtsstaat noch nicht angekommen." Das sagt Rheinsbergs Bürgermeister Frank-Rudi Schwochow. Es handele sich um ein Zitat, ein Lehrer habe das in seiner Ausbildung zu ihm gesagt. Auch Schwochow ist bei der Partei BVB/Freie Wähler politisch aktiv. Er ist der Kontrahent des Landrates Ralf Reinhardt im Streit um das Flüchtlingsheim in Flecken Zechlin.


Seit Jahren bekämpfen sich die Männer mit Briefen und Disziplinarverfahren. Schwochow hat auch Strafanzeigen gegen den Landrat gestellt. Und er nutzt eine weitere Waffe: Social-Media-Videos. Auf jedes Video folgt eine Dienstaufsichtsbeschwerde des Landrats. „Lokalpolitik ist auch Kampfsport", sagt Schwochow. Und er scheint keine Probleme damit zu haben, in den Ring zu steigen: „Seit 2014 haben sich bei der Einrichtung von Flüchtlingsheimen im Landkreis bestimmte Leute den Steuerzahler zur Beute gemacht", sagt er. Die zwei Geschäftsleute seien „Gauner". Er frage sich, ob „der Landrat nicht selbst ein Gauner" sei.


Jürgen K., der bei der Vermietung seines Heidegasthofs in Klosterheide über den Tisch gezogen wurde, sagt: „Dieser Landkreis ist der wilde Westen, das ist wie Texas hier. Das ist Dallas in Neuruppin." 


Man kann auch an andere Zeiten erinnert werden. Der Landkreis Ostprignitz-Ruppin entspricht, mit wenigen Abstrichen, der mittelalterlichen Grafschaft Ruppin. Vielleicht ist es ein Relikt aus dieser Zeit: Es wird scheinbar noch immer eher herrschaftlich über die Köpfe der Bewohner hinweg entschieden, als für diese transparent verwaltet.


Die Rentnerin Helga B. und ihre Mitstreiter aus Flecken Zechlin haben im März wieder einen Termin. Die nächste Kreistagssitzung. Sie werden Fragen stellen.


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