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Frauen im American Football: Raumgewinn

Carl Juste /Miami Herald/ Tribune News Service via Getty Images

Carli Lloyd hat in ihrer Karriere viel erreicht. Mit dem US-Nationalteam wurde die 37-Jährige zweimal Fußballweltmeister, zweimal gewann sie Olympia-Gold, 2015 und 2016 wurde Lloyd zudem als Weltfußballerin des Jahres ausgezeichnet.


Trotzdem ist da noch eine Sache offen für die Offensivspielerin, und sie könnte ihr mehr Prominenz bescheren als alle ihre Erfolge zuvor. Denn Lloyd will professionell Football spielen. Nach den Olympischen Spielen in Tokio 2020 könne sie sich das "absolut" vorstellen, sagte Lloyd Ende November in einem Radiointerview.


Doppelt so viele Schülerinnen spielen Football wie vor zehn Jahren


Schiedsrichterinnen, Trainerinnen, Eigentümerinnen, all das gibt es bereits in der National Football League ( NFL). Nur eine Spielerin fehlt bisher in der nordamerikanischen Profiliga. Im August hatte Lloyd bei einem gemeinsamen Training der NFL-Klubs Philadelphia Eagles und Baltimore Ravens ein 55-Yard-Goal erzielt. Sie habe danach zwei Angebote aus der NFL erhalten, sagte Lloyd. Ob das stimmt, ist offen. Es ist wahrscheinlich, dass es sich damals um eine PR-Aktion gehandelt hat. Nach Tokio will Lloyd aber einen ernsthaften Versuch wagen, sagte sie.


Eine Spielerin in der NFL wäre einerseits eine Sensation, andererseits nur die Konsequenz eines Trends, wonach immer mehr Frauen und Mädchen in den USA in den American Football der Männer und Jungs drängen. Und das nicht als Rahmenprogramm wie beim Cheerleading, ursprünglich übrigens auch eine rein männliche Angelegenheit, sondern als Athletinnen auf dem Feld.


Laut einer Studie der National Federation of State High School Associations spielten 2018/2019 doppelt so viele Schülerinnen Football wie vor zehn Jahren. Während die Zahl bei den Jungs seit fünf Jahren zurückgeht, steigt sie bei den Mädchen.


Eine dieser Spielerinnen ist Hannah Larson. Die Zwölfklässlerin der Hickman High School in Columbia im Bundesstaat Missouri ist Kapitänin des Fußballteams und seit Oktober auch Mitglied des Footballteams ihrer Schule. Das hatte keinen Kicker, bis ein Spieler dem Coach von Larson erzählte. "Ich glaube, er hat mich noch nicht mal Fußball spielen gesehen", sagt Larson dem SPIEGEL, "er hatte nur gehört, dass ich gut bin."


Im Team der Jungen mitzuspielen, gefällt Larson: "Es ist anders, es ist aufregend. Die Menge jubelt, und alle sagen: Oh ja, sie ist ein Mädchen, sie schafft das", erzählt die Schülerin. Bei ihrem ersten Spiel gelang Larson per Kick ein Extrapunkt. Lokalen Medien zufolge war sie damit erst die zweite Spielerin der Stadt, die in der höchsten Schulliga je gepunktet hat.


Es gibt weitere solcher Beispiele: Im Herbst 2017 gelang in Florida Quarterback Holly Neher für ihre Schule der erste Touchdown-Pass. In Texas wurde Kickerin K-Lani Nava zum ersten Mädchen, das einen Punkt in einem Highschool-Meisterschaftsspiel im Bundesstaat erzielte. Dass es diese lokalen Fälle überhaupt in überregionale Medien geschafft haben, zeigt, wie selten sie in den USA noch sind.


Football ist wegen seiner Körperlichkeit und der Härte der Zusammenstöße ein brachialer Sport, den vor allem Männer bisweilen romantisieren und verklären. Patrick Esume, der deutschen TV-Zuschauern seit Jahren als Experte den Football näherbringt, sagte 2017: "Der Sport befriedigt die Grundbedürfnisse des Mannes, Jagen, Erlegen und Beschützen. Das spricht sowohl die Spieler als auch die männlichen Zuschauer an." Über das Boxen gibt es ähnliche Zitate. 2009 fand Wladimir Klitschko noch, dass Boxen ein "Männersport" sei. Damals und heute haben sich Profiboxerinnen ihren Platz erkämpft.


Der erste weibliche Profi hielt 1970 den Ball für ihren Mann


Dass Frauen Football spielen, ist keineswegs neu. In den USA gibt es mehrere Ligen, in denen sie nach denselben Regeln wie Männer, aber mit einem kleineren Ball gegeneinander spielen. In Deutschland hat sich seit Ende der Achtzigerjahre eine eigene Liga etabliert. Dass in den USA aber Frauen und Mädchen in Männer- und Jungsteams antreten, ist immer noch sehr selten. Erlaubt wäre es in der NFL. Im Regelbuch ist das Geschlecht der Athleten kein Thema.


Patricia Palinkas war 1970 die erste Frau in den USA, die professionell Football spielte. Für die Orlando Panthers in der Atlantic Coast League hielt sie als "Holder" den Ball für den Kicker. Der Kicker war ihr Ehemann. Sie blieb lange die einzige Spielerin.


Dass Mädchen und Frauen jetzt zunehmend Raum im Football gewinnen, wird auch kritisiert. In einem Artikel der "New York Times" wird auf Studien verwiesen, die nahelegen, Football schädige Kindergehirne. "Warum Mädchen ins Spiel bringen? Wir sollten die Jungen da rausnehmen", wird Dr. Robert Stern von der Boston University zitiert, der zur Gehirnerkrankung CTE forscht (Chronisch Traumatische Enzephalopathie). Stern hat an Studien mitgewirkt, die Indizien für einen Zusammenhang zwischen Football und CTE zutage gefördert haben.


Viele Frauen und Mädchen, die in männlichen Teams spielen, werden als Kickerin eingesetzt. Von größeren Zusammenstößen bleiben sie verschont. Auch Carli Lloyd würde als Kickerin spielen.


Sie versicherte, dass es sich bei ihrem Versuch, in die NFL zu kommen, nicht um eine PR-Aktion handelt. Wenn sie helfen könne, Türen für andere Frauen zu öffnen, wäre das großartig, sagte Lloyd. Ihr selbst habe es an Vorbildern gefehlt. "Wenn ich als kleines Mädchen Football geschaut und eine Frau kicken gesehen hätte, dann hätte ich es sofort auch ausprobieren wollen."


Auch Hannah Larson geht es so: "Wenn ich jede Position hätte spielen können und es normal wäre, dass Mädchen jeden Sport machen", sagt sie, dann wäre sie vielleicht schon früher Footballerin geworden.

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