Bei den Gezi-Protesten in Istanbul 2013 habe ich täglich demonstriert, da hatte ich das letzte Mal Hoffnung für mein Land. Nachdem sie vorbei waren, sah ich eigentlich schon ein: Das wird nichts mehr. Ende 2013 kam ich nach Berlin. In der Torstraße begann ich, an einem Buch zu schreiben. Meine damals entstandene Novelle heißt „Es geht uns hier gut" und handelt von drei jungen Menschen, die in der Folge von Gezi aus der Türkei nach Berlin ziehen - mittlerweile ist sie auch auf Deutsch erschienen.
Danach bin ich noch einmal zurück nach Istanbul. Es ist doch meine Heimatstadt.
Ich bin 1972 geboren, habe in Ankara Ingenieurwesen studiert. Irgendwann begann ich, als Journalist zu arbeiten, schrieb für Magazine wie die türkische „Elle". Bei der inzwischen geschlossenen Tageszeitung „Taraf" war ich zwei Jahre lang Kolumnist, habe alles Antidemokratische kritisiert. Der Chefredakteur Ahmet Altan, der mich einst angeworben hatte, wurde kürzlich zu lebenslanger Haft verurteilt. Für mich ist er ein Held.
Im Jahr 2000 habe ich die erste Literaturagentur in Istanbul gegründet. Ich fand, dass türkische Schriftsteller auf dem weltweiten Markt unterrepräsentiert sind. Damit war ich erfolgreich, mehr als 40 Autoren vertrete ich noch heute. In Istanbul bin ich eine bekannte Figur. Ich setzte mich immer stark für die Rechte von Homosexuellen ein. Meine Freunde - Schriftsteller, Schauspieler und andere Künstler - und ich lebten wie eine kleine Familie im Stadtteil Cihangir.
Die AKP von Erdogan kam 2002 an die Macht. Während der ersten Jahre war ich noch hoffnungsvoll, die Partei war beispielsweise der EU gegenüber aufgeschlossen.
Der endgültige Bruch mit meinem Land kam mit dem Putschversuch. In jener Julinacht 2016 war ich zu Hause in Cihangir. Mein damaliger Partner und ich sollten am nächsten Tag nach Los Angeles fliegen, wegen einer Filmproduktion. Ein Freund schickte mir plötzlich eine Nachricht: „Etwas passiert hier." Ich dachte an nichts Böses. Dann habe ich den Fernseher angeschaltet: Panik, Menschen redeten unverständlich durcheinander. Über mein Cihangir flogen Armeeflugzeuge, meine Freunde aus der Nachbarschaft riefen mich an, ihre Fenster waren von dem Druck zersprungen. Ich muss noch heute weinen, wenn ich daran denke, wie ich meinen damaligen Partner telefonisch zu erreichen versuchte. Irgendwann ging ich hinunter in mein Ankleidezimmer und blieb dort regungslos bis zum nächsten Morgen.
Den Tag darauf flogen mein Freund und ich sofort nach L.A. und dann direkt nach Paris, wo er sich ohnehin für ein Studium beworben hatte. Ich fand eine kleine Wohnung für uns. Wir wussten: Wir können nicht mehr zurück.
AnkommenSo wie mir ging es vielen.
Die meisten Intellektuellen, Schriftsteller und Journalisten leben im Exil, wenn sie nicht gerade im Gefängnis sind. Ich kenne einen Kulturprofessor, der um die 70 ist und die Türkei gerade verlassen hat. In dem Alter, stellen Sie sich das vor!
Ich selbst konnte einfach nicht in einem Land bleiben, in dem ich nicht frei denken oder handeln darf. Ich bin schwul. Ich bin ein Autor. Ich war Journalist. Ich kann nicht heterosexuell werden. Ich kann nicht vom Denken ins Nicht-Denken wechseln.
Außerdem wäre ich in der Türkei vielleicht verhaftet worden, gegen mich liegt ja jetzt schon eine Anklage wegen Beleidigung vor, da ich die Regierung auf Twitter „scheinheilig" genannt habe. Das Verfahren läuft, es könnte sein, dass ich bald mehrere Tausend Euro Strafe zahlen muss. Mehr kann ich dazu im Moment nicht sagen. Jeden Tag bekomme ich auf Facebook Drohnachrichten wie „Wir werden dich umbringen". Die Faschisten wollen uns Intellektuelle und Künstler nicht mehr haben. Sie denken, das sei jetzt ihr Land, weil sie in der Überzahl sind.
Meine Freunde, überhaupt Leute wie wir, leben nun in der Welt verstreut. Wir alle haben das Gefühl des Zusammenlebens verloren. Wir teilen nur die Einsamkeit, fühlen uns kollektiv allein.
Ich habe eine Freundin, eine Autorin, die nach Toronto geflüchtet ist. In der Türkei bekam sie täglich Todesdrohungen. Jetzt in Kanada geht es ihr auch nicht gut. Sie hat Depressionen, fühlt sich dort allein, kann im Alltag nicht mehr Türkisch sprechen und kennt noch niemanden.
Eine andere Freundin von mir ist gerade nach Zagreb gezogen. Sie versucht, ihre Bücher auf Englisch zu schreiben. In einer fremden Sprache zu arbeiten, ist aber das Schwierigste für einen Autor. Die Heimat, jedes Geräusch, jeder Geruch und die Umgebung fließen ins Schreiben ein.
In Paris ist es unmöglich, ein türkisches Umfeld aufzubauen, dort leben schlicht nicht so viele Türken. Ich habe nur zwei türkische Freunde, die Pariser behandeln mich, als wäre ich ein Strauß im Zoo. Das ist fast überall so - ich meine, wie viele Türken leben in Zagreb, zwei vielleicht? Das Türkische in einem wird alt, die Sprache, das Land und die Leute verändern sich, während man nicht dabei ist. Man kann eben keine aktuelle Berlin-Novelle schreiben, wenn man Berlin vor Jahren verlassen hat.
Ein weiterer Freund ist nach London gegangen, arbeitet dort in der IT-Branche. Wieder ein anderer lebt in New York, eine Moderedakteurin versucht gerade nach Deutschland zu kommen, ein Grafikdesigner ist nun in Mailand, und ein Nachtclubbesitzer ist inzwischen nach Berlin gezogen und macht in der Stadt eine Diskothek auf.