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Wenn das Saxofon den Ton angibt

Die Saxofonistin Tina Tandler

Irgendetwas fehlte. Die bisherigen Blasinstrumente klangen hell, sanft und verträumt. Antoine-Joseph Sax suchte aber nach einem Holzblasinstrument, das auch die tieferen Tönen bediente und zugleich kraftvoller war als ein Streichinstrument. Im Jahr 1840 erfand Sax es schließlich selbst: das Saxofon. Und es war gut, sehr gut sogar. Etwas Vergleichbares hatten weder die Menschen noch der französische König Louis-Philippe zuvor gehört. Das Saxofon hielt Einzug ins Militärorchester. Dazu bekam der Erfinder durch ein 15 Jahre gültiges Patent das Monopol für den Bau des neuen Instruments - und damit viele Feinde. Andere Instrumentenbauer und Sax-Gegner schlossen sich zusammen. Sie fuhren eine Schmutzkampagne in der Presse, griffen die Patente und das leibliche Wohl des Erfinders an. Mit Erfolg, gewissermaßen: Das Leben von Antoine-Joseph Sax endete in völliger Armut auf den Straßen von Paris. Das Saxofon aber wird immer seine Erfindung bleiben. Den großen Aufschwung erlebte das Blasinstrument schließlich durch die Jazzmusik in den 30er-Jahren. Bis heute prägt dessen Klang diese Musikszene. Der Landesmusikrat Berlin hat das Saxofon nun zum Instrument des Jahres 2019 gekürt. Die Berliner Morgenpost hat mit drei Saxofonisten über das Besondere dieses Instruments gesprochen.


TINA TANDLER

„Für mich ist das Saxofon jeden Tag das Instrument des Jahres", sagt Saxofonistin Tina Tandler. Regelmäßig gibt sie Konzerte. In kleinen Klubs, aber auch in großen Arenen, gemeinsam mit Schlagersänger Roland Kaiser. Und immer wenn sie spiele, sehe sie glücklich aus. Zumindest behaupte das ihr Mann, sagt sie. „Aber es gibt auch Tage, da bringt es mich zum Verzweifeln."

Tandler ist Profi, kann sich mit dem Saxofonspielen ihren Lebensunterhalt finanzieren. Allein am Klang könne sie die einzelnen Saxofonisten unterscheiden, sagt sie. Der sei etwas sehr Persönliches. „Deshalb ist der Klang auch so berührend. Weil er genauso auf die Menschen übergreift wie eine Stimme", erklärt Tandler. Wenn sie spielt, dann spüre sie ihren „ganzen Körper und die Grenzen meiner Fähigkeiten". Das Saxofon sei anstrengend - und gewissermaßen eine Diva. „Es hat gerne eine angenehme Raumtemperatur", sagt die Profi-Saxofonistin. Wenn es kalt ist, bringe das Instrument etwas andere Töne heraus. „Ich mag schon diese Naturgewalt, die das Saxofon hat. Aber es ist nicht nur rau, es kann auch sehr zärtlich sein", sagt Tina Tandler. Es sei für sie nicht vorstellbar, wie sich Antoine-Joseph Sax dieses Instrument ausgedacht hat. Allein von der Mechanik her sei das „Wahnsinn", sagt die Musikerin. Dazu sehe das Instrument noch gut aus, obwohl es mit den vielen Klappen und Knöpfen auf den ersten Blick etwas wirr daherkommt. „Ich kann davon nichts selber reparieren", gesteht Tandler. Das muss sie auch nicht.


STEPHAN SZABO

Dafür gibt es Reparateure wie Stephan Szabo, einst selbst Profi-Saxofonist. Seit 26 Jahren führt Szabo den „Saxophone-Shop" am Mehringdamm. Bei Reparaturen gebe es einen „richtigen Boom", sagt Szabo. Er sitzt dann in einer Ecke des Geschäfts, hinter einer Werkzeugbank voller Stangen, Sicheln und Bolzen. Manchmal braucht er zwei Wochen für ein einziges Instrument. „Das ist schon kompliziert, es gibt viele Feinheiten", weiß der Experte. Saxofone sind aus Messing. Sie zählen nur wegen des hölzernen Rohrblattes - das auf dem Mundstück befestigt wird und für den Klang sorgt - zur Gruppe der Holzblasinstrumente. „Das ist alles weich", sagt Szabo. Verbogene Oktavklappen oder kleine Beulen seien da keine Seltenheit.

Zwar verkauft Szabo auch neue Instrumente und jegliches Zubehör, aber das Internet mache ihm „Schwierigkeiten", sagt Szabo. „Die Leute kommen, informieren sich, schießen Fotos und kaufen das Instrument dann woanders im Internet", klagt der 63-Jährige. „Da wird man sauer mit der Zeit." Oder erfinderisch: Szabo hat sich ein Mietsystem für die Instrumente ausgedacht. Für 40 Euro im Monat können sich Kunden ein Saxofon leihen, solange wie sie wollen. Sollten sie das Instrument behalten, bis der Verkaufspreis über die Monatsmiete abbezahlt ist, gehört das Saxofon ihnen. „Das läuft gut", findet Szabo. Was dagegen nicht gut läuft, ist der Nachwuchs. Noch vor zehn Jahren habe er 150 Bewerbungen auf eine Ausbildungsstelle bei sich im Laden gehabt. Heute keine Bewerbung mehr.


ROLF SCHLÖNVOGT

Tatsächlich unterrichtet auch Rolf Schlönvogt mittlerweile „mehr Ältere". Der Saxofonlehrer hat derzeit rund 40 Schüler, das Interesse ist also durchaus groß. Nur eben weniger bei Kindern und Jugendlichen, sondern bei Erwachsenen, die gern Jazz hören oder bei denen früher die eigenen Eltern dagegen waren, dass sie Saxofon spielen. Dass sie „unmusikalisch" seien, das hätten einige seiner Schüler früher zu hören bekommen.

Auch das Saxofon hatte es in der Geschichte nicht immer leicht, war wegen seines schmeichelnd-verlockenden Klanges als „Teufelshorn" verschrien. In den Zeiten des Nationalsozialismus war das Instrument als entartete Kunst geächtet. Heute soll es den Menschen wieder Freude bereiten, dazu will Schlönvogt in seinem Unterricht beitragen. Schließlich hat das Instrument auch sein Leben positiv verändert. Das Saxofon habe dem Musiklehrer die Möglichkeit gegeben, sich „anders auszudrücken". Auch Schlönvogt spricht wie Tandler und Szabo davon, dass der Klang des Saxofons mit dem einer Stimme zu vergleichen ist. Außerdem verkörpere es durch seine Geschichte auch „eine gewisse Freiheit", findet Schlönvogt. Und: „Gerade in einer Zeit, wo alles nationalistischer wird, finde ich es toll, dass so ein Instrument Instrument des Jahres wird."


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