Xenia Miller

Studentin, freie Journalistin, Frankfurt

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Corona und Tattoos: Mit heißer Nadel

Von Xenia Miller

Seit einem Jahr ist nun auch Felix Hufnagel dabei. Hufnagel, 25, ist Heilerziehungspfleger in Heidelberg, und als es im März 2020 zum ersten Mal in den Ruhemodus ging, bestellte er mit seinen zwei WG-Mitbewohnern im Internet für rund hundert Euro eine klassische, elektrische Tätowiermaschine. Aus Langeweile, wie Hufnagel sagt, und Neugierde. "Irgendwann hat man mal jede Haarfarbe durchprobiert und ist zehntausendmal spazieren gewesen." Gemeinsam verbrachten sie Stunden und Abende mit dem Verzieren ihrer eigenen Körper, mit bleibenden Erinnerungen: etwa 15 bis 20 Tattoos bei jedem - meist einfache, selbst entworfene Motive wie lachende Sonnen oder Schriftzeichen.

Für das Phänomen, sich während der Pandemie zu Hause selbst Tattoos zu stechen, gibt es inzwischen sogar einen eigenen Begriff, Quarantattoo. Laut einer Erhebung des Ipsos-Instituts aus dem Jahr 2019 ist etwa ein Fünftel aller Deutschen tätowiert, unter den 20- bis 29-Jährigen sind es sogar 47 Prozent. Auch selbst gestochene Tätowierungen sind an sich nicht neu. Aber während vor Jahrzehnten vorwiegend Seeleute oder Handwerker selbst Hand anlegten, sind es jetzt vor allem junge, oft alternativ lebende Erwachsene wie Felix Hufnagel und seine Wohngemeinschaft.

Auch Prominente wie die Schauspielerin Paris Jackson oder das Model Kaia Gerber haben in den sozialen Medien ihre Eigenkreationen auf der Haut in Szene gesetzt, allein 380 000 Videos gibt es auf Tiktok unter dem Hashtag #stickandpoke. Zu sehen sind darauf junge Erwachsene, die sich selbst mit einer einzigen Nadel von Hand tätowieren. Auf Youtube sind zahlreiche Anleitungen zu finden, viele erst 2020 hochgeladen und mit Titeln wie "Tattooing myself in Quarantine" versehen. Google-Trends zufolge gaben Nutzer die Kombination der Begriffe "Tattoo", "Maschine" und "Set" in Deutschland während des ersten und zweiten Lockdowns auffallend häufig ein.

Einen Wandel haben auch Unternehmen bemerkt, die Tattoo-Zubehör vertreiben. Die Firma Killerinktattoo erklärt per Mail, dass "mehr Leute Tattookits während der Pandemie bestellt haben, aber keine nachfolgenden Bestellungen getätigt wurden". Daraus könne abgeleitet werden, dass sich viele Leute zum ersten Mal und womöglich aus Langeweile mit dem Tätowieren beschäftigt hätten.

"Ich bin kein Künstler, ich bin einfach jemand, der eine Tattoomaschine besitzt."

Internetshops bieten eine Nadel und etwas Farbe bereits ab 15 Euro, Tattoo-Maschinen ab 50 Euro an - deutlich günstiger also als ein professionelles Tattoo. Selbst der Discounter Real verkauft mittlerweile Tattoo-Sets. Und auch die Handhabung ist nicht sonderlich kompliziert: "Es gibt einen kleinen Motor und eine Verbindung zu einem Pedal. Man kann die Intensität der Nadel einstellen, wir benutzen 90 Stiche pro Sekunde", erzählt Felix Hufnagel.

Im Vorfeld erstellt er einen Entwurf des geplanten Tattoos. Mithilfe einer speziellen Schablone und etwas Vaseline drückt er die Zeichnung auf die Haut durch. Beim Stechen fährt er dann diese Linien nach. 20 Motive hat Hufnagel sich so tätowiert, einen kleinen Kaktus zum Beispiel. Aus einem geplanten "No Regrets" wurde ein "No Regre", weil er es vor Schmerzen nicht fertigstellen konnte - er bereut es trotzdem nicht. "Ich bin kein Künstler", sagt er. "Ich bin einfach jemand, der eine Tattoomaschine besitzt."

Fragt man Menschen, die sich schon ein paar Jahre professionell mit Tattoos beschäftigen, nach ihrer Haltung zur Selbstgravur aus Langeweile, ist die Antwort so einhellig wie erwartbar: keine gute Idee. Manfred Kohrs, Gründer des Instituts für Deutsche Tattoo-Geschichte und Konstrukteur einer optimierten Rotations-Tätowiermaschine, steht dem Trend "deutlich skeptisch bis ablehnend" gegenüber. Er warnt vor den Folgen: Tattoos seien immer ein Kommunikationsmedium, "eine Tätowierung zeigt, wer du bist. Daher solltest du bei der Wahl des Motivs und der Körperstelle bedenken, dass du in Zukunft vielleicht nicht jedermann zeigen willst, wer du einmal warst". Zur Gefahr, das Tattoo eines Tages zu bereuen, komme außerdem das gesundheitliche Risiko eines unprofessionellen Umgangs mit verunreinigten Nadeln.

Catharina hat auch schon öfter zu Hause mit dem Tätowieren experimentiert. Sie ist 20, studiert in Wien und gibt offen zu, nicht immer ausreichend achtgegeben zu haben. Party, spontane Idee, so sei das manchmal gewesen. "Einmal habe ich zehn Leute mit derselben Nadel gestochen." Das sei von Anfang an eine "ziemlich blöde Idee" gewesen, auch wenn sie alle mindestens 20 Jahre alt und in einem entscheidungsfähigen Zustand gewesen seien. Tattoo-Fachmann Manfred Kohrs formuliert es drastischer: Hepatitis B und C, Tetanus, HIV oder Pilzinfektionen, all das könne man sich einfangen. Vernarbungen und Entzündungen wegen mangelnder Hygiene sind nicht selten.

Tattoos sind schwerer zu entfernen

Auch für Gerd Kautz gehören Tattoos ins Studio. Der auf Laserentfernung spezialisierte Dermatologe aus dem rheinland-pfälzischen Konz, der an der Universität Greifswald lehrt, hat nichts gegen Körperverzierungen - solange Profis Hand anlegen. Von seiner Arbeit weiß er, dass weniger gut gestochene Tattoos komplizierter zu entfernen sind. Er vergleicht selbst gestochene Tattoos mit dem Backen eines Kuchens. Bis der erste gelingt, brauche es einfach mehrere Anläufe.

Catharina hat das nicht abgeschreckt. Zumal ihr der Stil selbst gestochener Tattoos gut gefällt. Das könne schon auch mal "witzig, trashig und edgy aussehen". Sie selbst hat ein Tattoo, das sie als "trashig" bezeichnet. Der eigene Anspruch, alles müsse perfekt aussehen, sei nach einer Weile einfach weg gewesen. Dennoch haben die meisten ihrer Motive einen emotionalen Wert: ein Dinosaurier, der sie an ihre Kindheit erinnert, oder eine Akatsuki-Wolke aus ihrer Lieblingsserie.

Felix Hufnagel scheint über die vergangenen zwölf Monate eine gewisse Professionalisierung durchlaufen zu haben. Anfangs hätten sie einfach mit Alkohol sterilisiert, sagt er. Mittlerweile aber würden sie sich gut vorbereiten. Sie reinigen, sterilisieren und desinfizieren die Fläche, überdecken sie mit Frischhaltefolie, ziehen Handschuhe an. Immerhin das bietet ja der Lockdown: Man hat die Zeit, Dinge zu verbessern.

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