Xanthe Hall

Autorin, Kommentatorin, Berlin

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Stärke zeigen heißt Abrüstung fordern

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Die Gewalt über tausende einsatzbereite Atomwaffen wird Barack Obama demnächst an Donald Trump übergeben, den neuen Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika. Das lässt in diesen Tagen niemand kalt, bis hin zu Cartoons, die Trumps Finger über zwei Knöpfen zeigen: einen zum Twittern und einen für den Start der Atomraketen. Trumps Aussagen in der Wahlkampagne und danach beunruhigen viele. Dennoch ist bei weitem nicht sicher, was er und seine Administration in punkto Atomwaffenpolitik vorhaben. Sie widersprechen sich nämlich.

Gleichzeitig blicken wir zurück auf acht Jahre enttäuschte Hoffnungen. Barack Obama hat eine Welt ohne Atomwaffen versprochen, doch wesentliche Schritte dahin sind nicht zustande gekommen. Was konnte Obama dann erreichen?

Vize-Präsident Joe Biden hat am letzten Mittwoch in einer Rede einen Erfolg vorgestellt: Die US-Regierung hat die Zahl der Atomwaffen seit September 2015 um 553 Sprengköpfe verringert, so dass die Zahl einsatzbereiter US-Atomwaffen jetzt bei 4.018 liegt (weltweit sind es knapp unter 15.000). Aus dem alten Bestand wurden in seiner Amtszeit 2.226 Atomwaffen eliminiert, das bedeutet noch 2.800 weitere Atomwaffen, die zu zerstören sind.

Und: Obama hat mit Russland einen bilateralen Vertrag zur Reduzierung von Atomwaffen ausgehandelt. Zudem hat er eine Reihe von Atomgipfeln etabliert, auf denen Staaten über die Reduzierung der Gefahren durch Verbreitung und illegales Handeln mit Spaltmaterialien reden. Darüber hinaus hat Obama eine Vereinbarung zum iranischen Atomprogramm erzielt.

Im Vergleich zu den hohen Erwartungen an den scheidenden Präsidenten erscheinen diese Erfolge recht mager. Aber man darf nicht vergessen, dass Obama bei jedem Schritt Steine in den Weg gelegt wurden. Für die Ratifizierung des Vertrags mit Russland musste Obama der Atomlobby finanzielle Zugeständnisse machen, die höher sind, als bei jedem US-Präsidenten vor ihm.

Mit dem Argument, der Atomwaffenkomplex sei veraltet und nicht mehr sicher oder zuverlässig, beschloss der Kongress eine komplette Überholung für mehrere hundert Milliarden US-Dollar, inklusive neuer Atomwaffensysteme mit verbesserter Technik.

Obama wollte den Atomteststoppvertrag - der letztes Jahr sein 20-jähriges Bestehen gefeiert hat, ohne in Kraft zu treten - ratifizieren lassen. Der republikanische Senat hat dies weiterhin blockiert. Ohne die US-Ratifizierung werden die 35 anderen Staaten wie China, Indien, Pakistan oder Israel, ihn ebenfalls nicht ratifizieren. Wohlgemerkt: Russland hat das schon getan. In dieser Situation ist auch nicht ausgeschlossen, dass ein neuer US-Präsident wieder anordnet, unterirdische Atomwaffenexplosionen durchzuführen, um neue Atomwaffen zu entwickeln.

Obama wollte die Atomwaffendoktrin ändern. Teilweise hat er das geschafft, aber sein eigentliches Ziel verfehlt. Sein Vorgänger George W. Bush hatte die Doktrin dahingehend geändert, dass Atomwaffen auf Verdacht hin eingesetzt werden konnten, auch um einen konventionellen Angriff abzuschrecken.

Immerhin wurde diese Option unter der Obama-Administration auf den befürchteten gegnerischen Einsatz von Massenvernichtungswaffen begrenzt. Aber der letzte Schritt blieb aus: dass Atomwaffen nur eingesetzt werden, um nukleare Angriffe zu verhindern. Biden hat in seiner Rede lediglich in Aussicht gestellt, dass die USA diesen Schritt noch gehen könnten. Das liegt aber nicht mehr in seinen Händen.

Die Kampagne "Global Zero" hat ihre Forderungen an Obama während seiner achtjährigen Amtszeit immer weiter heruntergeschraubt. Zuletzt fokussierte die Kampagne nur auf die Herunterstufung der Bereitschaft der landgestützten, strategischen Atomwaffensysteme, so dass es nicht mehr möglich wäre, Atomwaffen sofort zu starten, wenn das Frühwarnsystem einen russischen Angriff meldet (launch on warning).

Das Buch "Command and Control" von Eric Schlosser, das gerade als Film herauskommt, zeigt, wie riskant diese Höchstalarmbereitschaft tatsächlich ist und wie viele Male die Welt an einem totalen Atomkrieg durch Fehlalarme vorbeigeschrammt ist. Aber Obama hat kein so genanntes "De-Alerting" angeordnet. Die Atomraketen können unter Trump immer noch binnen Minuten aus den Silos starten und Millionen Menschenleben auslöschen, mit katastrophalen globalen Folgen für den Planeten.

Keine Sicherheit durch Wettrüsten

Zu beobachten ist aber ein interessantes Phänomen: In der US-Geschichte gab es bei republikanischen Präsidenten tiefere Einschnitte in die Zahl der Atomwaffen als bei demokratischen Präsidenten. Ronald Reagan hat mit Gorbatschow vor 30 Jahren sogar über eine "Null-Lösung" geredet - eine vollständige Abschaffung aller Atomwaffen.

Ohne seine größenwahnsinnige Idee einer weltraumbasierten Raketenabwehr, die Gorbatschow nicht akzeptieren konnte, hätten wir heute eventuell keine Atomwaffen mehr. Reagan gab zum Amtsbeginn ähnliche Aussagen über Aufrüstung wie Trump von sich und dennoch haben er und Gorbatschow schließlich eine ganze Waffengattung, die Europa bedrohte, eliminiert: die Mittelstreckenraketen.

Joe Biden erinnert in seiner Rede letzte Woche daran, dass die Sowjetunion in den 1970ern die ersten Abrüstungsverhandlungen mit den USA führte, weil sie ihnen nicht vertraute. Es sei genau dieses fehlende Vertrauen, das zu Verträgen führe. Alle wichtigen Abkommen seien aus der Angst entstanden, dass die Aufrüstung sonst außer Kontrolle geraten würde und es zum Einsatz von Atomwaffen kommen könne. Biden zitierte Eisenhower, der 1953 warnte, dass durch das Wettrüsten keine Sicherheit erreicht werden kann:

"Lass niemand denken, dass die Ausgabe von gewaltigen Summen für Waffen und Verteidigungssysteme die absolute Sicherheit für Städte und Bürger irgendeiner Nation garantieren könne. Die furchtbare Rechenkunst der Atombombe erlaubt keine solch einfache Lösung."

Das Wissen, dass wenige oder sogar nur eine Atombombe verheerenden Schaden verursachen kann, sei die Motivation hinter der Rüstungskontrolle, so Biden. Abkommen seien keine Zugeständnisse und zeigten keine Schwäche, sondern seien eine "vorsichtig aufgebaute Sperre zwischen der US-Bevölkerung und dessen totaler Vernichtung".

Dadurch hätten die beiden Supermächte einen gefährlichen Konkurrenzkampf unter Kontrolle halten, und einen möglichen Atomkrieg verhindern können. Nichts sei "so wesentlich für unsere Sicherheit" wie die Rüstungskontrolle, sagte Biden. Das hätten alle Präsidenten gewusst, egal ob Republikaner oder Demokraten.

Biden und Obama haben der Trump-Administration eine Empfehlung gegeben: Sie solle die Atomwaffendoktrin umfassend überprüfen, um zu entscheiden, ob die USA nicht doch mehr einseitig reduzieren können. Obama wollte bekanntlich viel tiefere Einschnitte in die Atomwaffen einleiten, konnte diese aber nicht durchsetzen.

Doch Trump gab ganz andere Töne von sich, die in eine andere Richtung weisen. Kurz vor Weihnachten verschärfte er die nukleare Rhetorik zusammen mit Putin eher und versprach eine drastische atomare Aufrüstung. Die Atomwaffenkapazität der USA müsse "massiv gestärkt und ausgebaut" werden, bis der Rest der Welt im Umgang mit Nuklearwaffen "zur Vernunft kommt", twitterte er.

Sein Sprecher Jason Miller meinte, das sei eher eine Reaktion auf die Gefahr durch die Verbreitung von Atomwaffen "vor allem bei und unter terroristischen Organisationen und instabilen und schurkischen Staaten" als eine Reaktion auf ähnliche Äußerungen von Putin. Dennoch wäre dies eine klare Abkehr von der Obama-Linie.

Allerdings ist Trumps Administration noch nicht im Amt und äußert sich bisher widersprüchlich. Trumps designierter Außenminister Rex Tillerson sagte am 11. Januar 2017 in seiner Senatsanhörung: "Wir können nicht von unserer Verpflichtung abweichen, die Zahl dieser Waffen auf dem Planeten zu reduzieren."

Konventionelle statt nukleare Fähigkeiten

Auch Trumps Idee, dass Länder wie Saudi-Arabien, Südkorea oder Japan eigene Atomwaffen besitzen könnten, widersprach er. „Ich glaube nicht, dass irgendjemand mehr Atomwaffen auf diesem Planeten befürworten würde." Als er von Senator Ed Markey gefragt wurde, ob er direkt gegen Trumps vorgeschlagene Aufrüstung sei, sprach er jedoch von Verhandlungen aus einer Position der Stärke und die Beibehaltung der nuklearen Streitkräfte unter bestehenden Verträgen.

Auch der designierte Verteidigungsminister James Mattis hat bislang abweichende Meinungen von Trump geäußert. In einem Statement im US-Kongress 2015 erläuterte er seine Zweifel an der bisherigen Einteilung der nuklearen Streitkräfte in drei Gruppen: see-, luft- und landgestützte Atomwaffen. Diese "nuclear triad" besteht aus Atomraketen auf U-Booten, Atombomben auf Langstreckenflugzeugen und landgestützten Interkontinentalraketen.

Mattis war 2015 der Meinung, dass landgestützte Atomwaffen ein höheres Risiko als die anderen Systeme darstellen, weil sie durch einen Fehlalarm gestartet werden können. Mattis befürwortete zudem die Empfehlung, die Obama und Biden der nächsten Administration geben: Der einzige Zweck der US-Atomwaffen solle die Abschreckung gegen einen nuklearen Angriff sein und nicht gegen Angriffe mit konventionellen oder andere Massenvernichtungswaffen.

Trump hatte erklärt, dass er die Modernisierung aller drei Gruppen in der Triade fortführen will. In seiner Anhörung vor dem Senat am 12. Januar 2017 widersprach Mattis Trump in vielen Punkten. Seine Meinung über die Interkontinentalraketen hat er aber anscheinend revidiert und will sie jetzt beibehalten. Sein neues Argument: Weil sie unterirdisch gelagert werden, muss der Feind zwei bis vier Atomwaffen einsetzen, um sie zu zerstören, und dies sei eine weitere Abschreckung wegen der damit verbundenen hohen Kosten.

Entscheidungen über die grundsätzliche Ausrichtung der US-Atomwaffenpolitik müssen bald fallen. Auch die Frage, ob der umfassende Modernisierungsplan der letzten beiden Administrationen trotz der enormen Kosten fortgesetzt wird, muss binnen Monaten entschieden werden.

Trump muss sich unter Umständen zwischen einer konventionellen und einer nuklearen Aufrüstung entscheiden, denn für beides reicht das Geld nicht, vor allem, wenn er Steuerreduzierungen durchsetzen will. Die US-Militärs wollen lieber mehr konventionelle statt nukleare Fähigkeiten.

In Europa löst die Diskussion über die US-Atomwaffenpolitik große Verunsicherung aus. Trumps Aussagen zur nuklearen Verteidigung der Bündnispartner - er erwartet vor allem mehr finanzielle Beteiligung und droht mit Entzug des nuklearen "Schirms" bei Nichtbezahlung - führte zu einer Reihe haarsträubender Äußerungen in den Medien.

Der CDU-Abgeordnete Roderich Kiesewetter schlägt vor, eine europäische Abschreckung durch britische und französische Atomwaffen zu errichten. FAZ-Redakteur Berthold Kohler meinte, es sei an der Zeit, an eine eigene nukleare Verteidigung für Deutschland zu denken.

Letzte Woche kursierte ein Artikel im Tagesspiegel mit Argumenten für deutsche Atomwaffen. Sind dies nur Einzelmeinungen ohne Rückhalt bei Regierung und Ministerien? Immerhin war noch im März 2016 eine sehr große Mehrheit der Bevölkerung gegen Atomwaffen in Deutschland und ihre Modernisierung, sowie für ein weltweites Verbot aller Atomwaffen.

Wir stehen an einer historischen Weggabelung. Ende März beginnen in New York die UN-Verhandlungen über ein Atomwaffenverbot, schon lange das Ziel der Internationalen Kampagne für die Abschaffung aller Atomwaffen ( ICAN). Die Bundesregierung ist immer noch unschlüssig, ob Deutschland daran teilnehmen soll oder nicht. Ohne genau zu wissen, was im Verbotsvertrag stehen wird, kann man folgendes vermuten:

Es gibt US-Atombomben in Deutschland, vermutlich 20 Stück im Fliegerhorst Büchel in der Eifel, Rheinland-Pfalz. Wenn sich Deutschland einem Atomwaffenverbot anschließt, müssten diese Atomwaffen wohl abgezogen werden. Auch dürften die USA keine Atomwaffen durch das Land oder im deutschen Luftraum transportieren. Deutschland dürfte dann wohl nicht mehr an der nuklearen Planung der NATO teilnehmen. Auch finanzielle Beteiligungen an Firmen, die Atomwaffen oder nuklearfähige Trägersysteme herstellen, wären möglicherweise nicht mehr erlaubt.

Wenn Deutschland nicht an den Verhandlungen teilnimmt, widerspricht diese Haltung der erklärten Abrüstungspolitik der Bundesregierung, die das Ziel einer Welt ohne Atomwaffen verfolgt. Stattdessen würde Deutschland zu einer Gruppe von rund 35 (von 193) Staaten gehören, die die Beibehaltung der Atomwaffen befürworten. Mehr als 130 Staaten haben in der UN-Generalversammlung unmissverständlich für ein Atomwaffenverbot votiert und werden voraussichtlich bei der Verhandlungskonferenz in New York dabei sein.

Da 2017 ein Wahljahr in Deutschland wird und schon im Februar ein neuer Außenminister benannt werden muss, ist es vor allem für die SPD unerlässlich, jetzt eine klare Linie zum Thema Atomwaffenpolitik zu finden. Diese Linie muss auch Antworten geben auf die Aufrüstungsambitionen von Trump und Putin.

Deutschland sollte dieser neuen Aufrüstungsrhetorik nicht mit Gedanken über eigene Atomwaffen, sondern durch eine deutliche Abrüstungspolitik begegnen. Und Europa braucht eine Friedenspolitik. Das würde dem Staatenverbund Stärke und mehr Souveränität verleihen, anstatt sich von mächtigen Staaten abhängig zu machen. In einem Punkt aber hat Trump vielleicht Recht: Wenn er sagt, die NATO sei obsolet geworden.

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