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Reportage

Indigene kämpfen gegen Schweizer Mine

Die Wolken hängen tief, einige der Berge sind schon nicht mehr zu sehen. Jeden Moment könnte sich ein tropischer Regen über den Izabal-See ergiessen. Dennoch drosselt Fischer Eduardo Bin Poou den Aussenbordmotor und lässt sein Boot langsam übers Wasser gleiten. Er zeigt auf eine grau-schwarze Fläche, die zwischen mehreren rauchenden Schornsteinen, Industrierohren und Fabrikhallen am Ufer zu erkennen ist. «In diesem Schlamm befindet sich Schwermetall», sagt Bin. Der Schlamm werde nur 50 Meter vom See entfernt gelagert. Wenn es viel regne, fliesse der Dreck ins Wasser. Das verantwortliche Bergbauunternehmen habe keine Genehmigung, diesen Abfall zu lagern.

Für Eduardo Bin Poou, 56 Jahre, rotes Basecap, blaues Shirt, graue Arbeitshose, ist der giftige Schlamm nur eines von vielen Umweltproblemen seiner Heimatstadt El Estor im Osten Guatemalas. Mit traurigem Blick berichtet er von Blasen auf den Fischen und von roten Flächen, die plötzlich auf dem Wasser aufgetaucht seien. Schuld, so ist er überzeugt, sei die guatemaltekische Compañia Guatemalteca de Niquel de Izabal (CGN), die dort Nickel abbaut. Das Unternehmen gehört zur Solway Investment Group – einer internationalen Berg- und Metallbaugruppe mit Sitz in Zug.

Etwa 2000 Menschen arbeiten bei CGN, 70 Prozent von ihnen stammen aus El Estor. Solway übernahm CGN erst 2011, 2014 begannen die Schweizer mit dem Nickelabbau. Zuvor war der Betrieb einige Jahre stillgestanden. Am meisten stört Bin Poou, der dem Volk der Q’eqchi’ angehört, dass seine Leute nie gefragt wurden, ob sie mit dem Bergbau einverstanden sind. Das verstösst gegen das international verbriefte Recht von indigenen Völkern auf eine Konsultation, wenn auf ihrem Land Rohstoffe abgebaut werden sollen. «Die Regierung und Solway handeln rechtswidrig, sie ignorieren den Paragrafen 169 der Internationalen Arbeitsorganisation », sagt Bin, während er sein Boot wieder beschleunigt. So sah es auch das guatemaltekische Verfassungsgericht. Über 90 Prozent der 73 000 Einwohner*innen von El Estor sind Indigene. Solange sie nicht umfänglich informiert und befragt würden, dürfe das Fenix-Bergwerk nicht weiter Nickel abbauen, urteilte das Gericht am 18. Juni 2020.

Trotzdem fuhren nach dem Urteil weiterhin Kipplader und lange Lastzüge auf der unbefestigten, im Dreck schwimmenden Strasse zu den Solway-Anlagen. Etwa sechs Kilometer ausserhalb von El Estor betreibt das Schweizer Unternehmen das Bergwerk CGN-Fenix sowie die CGN-Pronico-Fabrik, in der aus dem extrahierten Rohstoff Nickeleisen hergestellt wird. Dort hat auch der Firmensprecher David Orellana sein Büro. Er betont, dass Solway das Urteil des Gerichts respektiere und keinen Nickel mehr gefördert habe. «Wir haben uns immer an die rechtlichen Vorgaben gehalten », sagt Orellana. Nach dem Urteil sei die Fenix-Mine geschlossen worden. Pronico habe lediglich nickelhaltige Erde bearbeitet, die man von anderen Firmen gekauft habe.

Gewalt gegen Proteste

Doch das bezweifeln Bin und viele andere in El Estor. Zu oft schon wurden sie von den verschiedenen Betriebsgesellschaften der Anlage betrogen. Mehrere Menschen starben in den zahlreichen Konflikten mit dem Unternehmen. Um sicherzustellen, dass der Gerichtsbeschluss eingehalten wird, besetzten deshalb im Oktober vergangenen Jahres mehrere Hundert Indigene die Zufahrtsstrasse. 20 Tage lang liessen sie keinen Lastwagen passieren, der Material für die CGN transportierte. «Alle anderen, also Taxis, Busse oder Privatwagen, konnten weiterfahren », sagt Bin.

Dennoch reagierten die Sicherheitskräfte hart: Nach knapp drei Wochen lösten Polizist*innen und Soldaten die Blockade am 22. Oktober gewaltsam auf. «Spezialeinheiten kamen mit Hubschraubern und sprühten Tränengas», berichtet Luis Ich Choc. Wie Eduardo Bin hat sich auch der 34-Jährige an der Blockade beteiligt. Ganze Familien hätten unter dem Gas gelitten. «Die Behörden behaupten, dass vier Polizisten durch Schüsse verletzt worden sind, aber das waren nicht wir», sagt er. Ein paar Steine seien geflogen, aber sie hätten nicht geschossen. «Wir haben keine Waffen», sagt Ich Choc, der im Alten Rat, dem regierenden Gremium der indigenen Gemeinde, sitzt. Bis heute ist er überzeugt, dass die Sicherheitskräfte im Auftrag der Bergbaugesellschaft gearbeitet hatten: «Wie in einer Prozession haben die Polizisten jeden einzelnen Lastwagen begleitet.»

Firmensprecher Orellana hält den Einsatz für gerechtfertigt. «Einige Fahrzeuge wurden beschädigt und die für die Produktion notwendige Kohle ging zu Ende», sagt er. «Es brauchte eine Antwort des Staates.»

Nach der Räumung verhängte die Regierung in der Region einen 30-tägigen Ausnahmezustand. An jeder Ecke patrouillierten Soldaten und Polizist*innen. Ich Chocs Mutter Angélica wachte eines Morgens von den Rufen eines ihrer vier Söhne auf, der aufgeregt gegen die Tür klopfte. «Das Haus von Luis ist von Militärs umstellt», habe er geschrien. Sie bekam Angst, schaute nach Luis, doch der war nicht da. Dessen schwangere Ehefrau war allein zuhause und erlitt einen schweren Schock, als die Soldaten in das Gebäude eindrangen.

Insgesamt 40 Durchsuchungen führten die Sicherheitskräfte durch, unter anderen bei den Mitgliedern des Alten Rates und beim kommunalen Radio Xyaab’ Tzuultaq’a. «Die Firma hasst uns, weil wir die Leute im Widerstand unterstützen », sagt Aktivist Robin Macloni. Erst Anfang Januar ging das Radio wieder auf Sendung. Auf die hölzerne blaue Gebäudewand sind die Gesichter verfolgter Bergbaugegner*innen gemalt. Angeblich waren die Militärs auf der Suche nach den Waffen, mit denen bei der Auflösung der Blockade geschossen worden sein soll. Allerdings ohne Erfolg. «Die haben etwas gesucht, was sie uns anhängen können», meint Luis Ich Choc. 60 Personen wurden während dieser Tage vorübergehend festgenommen.

Der Konflikt dauert an

Luis Ich Choc und einige Mitstreiter*innen waren vorsichtshalber abgetaucht, als der Ausnahmezustand ausgerufen wurde. Als Mitglied des Alten Rats stand der junge Mann besonders in der Schusslinie. Manche flüchteten in andere Städte, andere, wie Luis, in die Wälder. Vier Wochen lang schlugen sie sich dort durch. «Manchmal hatten wir tagelang nichts zu essen», erzählt er. Vier Wochen in derselben Hose, demselben T-Shirt. Ohne Dach über dem Kopf.

Seit ein paar Wochen ist Choc wieder in El Estor und fährt mit seinem Motorrad von einem Termin zum nächsten. Auch er rechnet immer damit, dass er angegriffen oder festgenommen wird. Choc ist Lehrer, doch nun nutzt er die Ferienzeit für die Arbeit in der Gemeinde. Wie seine Eltern kämpft er für die Rechte der Q’eqchi’, obwohl das seinen Vater das Leben gekostet hat. 2009 griff eine Gruppe des CGN-Sicherheitspersonals Adolfo Ich und andere in der Nähe des Werks an, das sich damals noch im Besitz eines kanadischen Unternehmens befand. Adolfo Ich starb durch einen Schuss, andere wurden schwer verletzt. Im Januar 2021 verurteilte ein guatemaltekisches Gericht den ehemaligen CGN Sicherheitschef wegen des Mordes an Adolfo Ich.

Als an jenem Oktobermorgen Militärs und Polizeikräfte das Haus ihres Sohnes umstellten, kamen bei Angélica Choc die Erinnerungen an das grausame Verbrechen wieder hoch. «Sie haben ihn mit der Machete verstümmelt und dann auf ihn geschossen», erinnert sie sich unter Tränen. Der Konflikt um den Nickelabbau begleitet die 54-Jährige schon seit ihrer Kindheit. Das Metall wird seit den 1970er-Jahren abgebaut. Damals herrschte in Guatemala ein blutiger Bürgerkrieg, dem zwischen 1960 und 1996 über 200 000 Menschen zum Opfer fielen. Die Angriffe galten auch den indigenen Bergbaugegner*innen. 1978 richtete das Sicherheitspersonal des damals kanadischen Unternehmens ein Massaker an Q’eqchi’ an, die sich gegen den Raub ihres Landes wehrten.

Für Angélica Choc hat sich in all den Jahren wenig geändert. «Wir waren immer gegen die Mine», sagt sie, während sie auf der ausladenden Terrasse ihres Hauses im Viertel La Union sitzt. Doch Choc räumt ein, dass nicht alle auf ihrer Seite stehen. «Viele sind bei CGN beschäftigt und wollen ihre Arbeit nicht verlieren. » Fragt man Ladenbetreiber*innen oder die Fischer*innen am Ufer, sind die Meinungen gespalten. Manche sind für, manche gegen die Firma.

David Orellana betont, sein Unternehmen kooperiere eng mit den Bürger*innen. Der Firmensprecher ist zufrieden. Seit Anfang Januar baue Fenix wieder Nickel ab, da die vom Verfassungsgericht geforderte Befragung vom Energieministerium durchgeführt worden sei, sagt er.

Tatsächlich hat das Ministerium während des Ausnahmezustands eine Konsultation organisiert. Luis Choc hält die Befragung jedoch für eine Farce. «Die Versammlungsfreiheit und andere Rechte waren eingeschränkt, die Polizei und das Militär waren präsent», sagt er. Zudem sei die traditionelle Vertretung der Q’eqchi’ – der Alte Rat – nicht in den Prozess eingebunden worden. «Die Umfrage wurde bewusst über Cocodes- Gruppen durchgeführt, von Leuten, die von der CGN korrumpiert wurden», ist Choc überzeugt. Das Unternehmen wirbt damit, gemeinsam mit den Cocodes – den Räten für ländliche und urbane Entwicklung –, Schulen und andere Projekte gefördert zu haben. Doch auch das Verfassungsgericht anerkennt die Cocodes nicht als legitime Vertreter*innen der indigenen Gemeinschaft für die Durchführung einer solchen Befragung.

Eduardo Bin Poou wirkt nachdenklich. Auch er sass eine Nacht im Gefängnis, mindestens zehn Mal wurde er kontrolliert. Seitdem fühlt er sich ständig verfolgt. Auch jetzt, während er mit seinem Boot über den Izabal-See fährt, schaut er immer, ob sich jemand nähert. «Wer in Guatemala für seine Rechte einsteht, gilt als kriminell. Doch CGN missachtet unsere Rechte ständig», sagt er. Zurzeit geht er selten fischen. Die Einnahmen sind folglich knapp.

«Die meisten hier leben vom Fischfang. Was sollen unsere Enkel tun, wenn der See vergiftet ist?» Der Bergbau bringe keinen Fortschritt, Solway zahle den einheimischen Arbeiter*innen 100 Quetzales am Tag, knapp 12 Franken. «Das reicht nicht zum Überleben», sagt er und will wissen, was man eigentlich in der Schweiz verdient. Dann steuert er das Ufer an. Von dort aus sind es nur ein paar Meter zu seinem aus Bambus gezimmerten Haus. Er hofft, dass er bald wieder ohne Angst von dort aus fischen gehen kann.