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Reportage

Modefirmen stehlen indigene Motive

Einen kleinen Sessel, genug Faden und einen Gürtel, den sie um ihre Taille legt – Rubí García braucht nicht viel, um ihre farbenfrohen Stoffe herzustellen. Sie sitzt im Hof ihrer Familie und schiebt konzentriert zwei Holzstäbe von einer Seite des Hüftwebstuhls auf die andere. Erst einen, dann den nächsten. So wächst zwischen den Stangen Millimeter für Millimeter eine blau-weiße Stoffbahn, aus der die 24-Jährige später eine Decke, eine Bluse oder eine Tasche nähen wird. „Ich habe das von meiner Mutter gelernt – und ihr hat es meine Großmutter beigebracht“, sagt die junge Mexikanerin, während sie einen Blick auf ihre Tochter, ihre Geschwister und ihre Mutter wirft.

Die Sonne brennt, ein Baum und eine graue Mauer spenden etwas Schatten. Wie jeden Tag weben die Frauen und Mädchen der Familie García ihre Bahnen, selbst die Kinder arbeiten mit. Während die Männer auf den Feldern Mais, Bohnen oder Kürbisse für den Eigenverbrauch anbauen, sorgen sie dafür, dass ein paar Pesos in die Haushaltskasse kommen. So ist das in den meisten Familien hier in San Juan Colorado, einer Gemeinde im südmexikanischen Bundestaat Oaxaca.

„Wir arbeiten von Montag bis Sonntag“, erklärt Rubí García. Etwa einen Monat braucht sie, um eine ihrer wichtigsten Waren fertigzustellen: den Huipil. Diese ärmellosen Blusen oder luftigen Tunika-Kleider zählen zu den besonders gefragten Kleidungsstücken in der von Indigenen geprägten Region. Bei Hochzeitsfeiern, Dorffesten und anderen traditionellen Ritualen, aber auch im Alltag tragen Frauen einen Huipil. Das Design und die Muster kommen nicht nur bei den Einheimischen gut an, von denen die meisten zum Volk der Mixteken gehören. Die Garcías verkaufen an Händler, die ihre Waren Touristinnen und Touristen an den nahegelegenen Pazifikstränden und in der malerischen Landeshauptstadt Oaxaca de Juárez anbieten.

Auch internationale Modemacherinnen haben den Charme des indigenen Kunsthandwerks entdeckt. Im vergangenen Jahr nahm das spanische Unternehmen Zara Blusen in ihrer Kollektion auf, deren Schnitte und Muster fast identisch waren mit den Huipiles aus San Juan Colorado. In der Gemeinde wissen die meisten nichts davon. Auch Rubí García erfährt zum ersten Mal von den Kopien und reagiert empört. „Sie stehlen unserer Kultur, die Kultur unserer Großmütter und Urgroßmütter, um davon zu profitieren“, sagt sie. Für die Indigenen sind diese Plagiate eine Respektlosigkeit gegenüber ihren Vorfahren. „Wir sollten das nicht zulassen, die Firma sollte sich entschuldigen.“

Auch im Rathaus, einige Straßenecken vom Haus der Familie entfernt, ist das Vorgehen von Zara ein Thema. „Man sieht genau, dass die Muster von hier kommen, aber kein Unternehmen, kein Vertreter ist gekommen, um mit den Kunsthandwerkerinnen zu sprechen“, kritisiert Stadtrat Gregorio Nicolás, „geschweige denn, dass sie um Erlaubnis gebeten und Geld bezahlt hätten.“ Von seinem Schreibtisch aus blickt der Mittfünfziger auf den zentralen Platz und einige Stände, an denen ein paar Frauen gefüllte Maisfladen, Bananen und Gemüse verkaufen. San Juan Colorado lebe von den Webwaren, die Plagiate würden den ohnehin armen Familien schaden, erklärt er. „Die Muster sind kollektives Eigentum der Gemeinde“, betont Nicolás. Er spricht von Diebstahl.

Die fragwürdige Aneignung beschäftigt auch Hector Meneses. Der 40-Jährige leitet in der neun Autostunden entfernten Landeshauptstadt Oaxaca de Juárez ein Textilmuseum, das die heimischen indigenen Kulturen stärken soll. Auch er kritisiert das Vorgehen der Modefirmen. Die Motive seien in den Gemeinden oft über viele Jahre hinweg entwickelt worden und für die kulturelle Identität, die familiäre Dynamik und auch für das Einkommen sehr wichtig, kritisiert Meneses. Zugleich verdeutlichten die Raubkopien die politische, soziale und wirtschaftliche Ungleichheit: „Die Plagiate sind Ausdruck der Macht von Gesellschaften, in denen man denkt, man stünde über anderen und habe es nicht nötig, um Erlaubnis zu bitten.“

Nicht nur im Hof der Familie García sind die Weberinnen befremdet, als sie hören, dass ihre Muster ungefragt kopiert werden. Berichtet man den älteren Frauen in San Juan Colorado, die meist nur mixtekisch sprechen, sind sie etwas verwirrt. Sie können nicht gleich nachvollziehen, was es heißt, dass Zara die Blusen im Internet anbietet. Manche Jüngeren dagegen haben die Entwicklung im Netz genau verfolgt. Beispielsweise Flora Reyes. Die 32-Jährige, die ihr dunkles Haar offen bis unter die Hüften trägt, arbeitet in einer anderen Gruppe von Frauen, die gemeinsam weben und verkaufen.

14 Euro für vier Wochen Arbeit

Sie stört sich nicht daran, dass die Motive ihrer Vorfahren weltweit angeboten werden. „Letztlich könnte man sagen, dass das unseren Ruf stärkt und wir dadurch unsere Produkte besser verkaufen könnten“, sagt sie. Verärgert ist sie aber darüber, dass Zara nicht kenntlich macht, dass das Design aus San Juan Colorado stamme. „Sie tun so, als hätten sie das selbst entworfen.“ Dazu kommt, dass Zara die Blusen und Kleider für bis zu 1500 Euro anbieten, während die Weberinnen oft für einen Hungerlohn arbeiten. „Wenn es mir wirtschaftlich schlecht geht, muss ich einen Huipil für 600 Pesos abgeben“, erklärt sie. Manchmal müsse sie sogar bei einheimischen Händlern auf 300 Pesos heruntergehen. 300 Pesos, etwa 14 Euro, für zwei bis vier Wochen Arbeit. Auch das erklärt, warum 80 Prozent der Bevölkerung von San Juan Colorado in Armut leben, die Hälfte von ihnen ist extrem arm, manche haben nicht einmal fließendes Wasser und Strom. „Die Mädchen fangen oft schon mit sechs Jahren an, zu weben, “ sagt Flora Reyes. „Uns bleibt nichts anderes übrig.“

Angesichts dieser Verhältnisse sieht Kulturministerin Alexandra Frausto in der internationalen Vermarktung des indigenen Kunsthandwerks eine Chance. Vorausgesetzt, die Produzentinnen würden auf Augenhöhe am Gewinn beteiligt, betont sie: „Sie sind Trägerinnen dieses kulturellen Erbes und schaffen tagtäglich diese Werte.“ Deshalb setzt sich die Ministerin dafür ein, dass die Weberinnen zu ihrem Recht kommen. Zara schrieb sie einen Brief, in dem sie die „unrechtmäßige kulturelle Aneignung“ kritisierte. Auch in anderen Fällen wurde Frausto aktiv. Etwa, nachdem die französische Modeschöpferin Isabel Marant traditionelle Motive der indigenen Purépechas kopiert hatte. Oder als die Jeansfirma Levi´s auf ihren Hosen und Jacken Stickmuster der Mazateken-Gemeinde San Felipe ohne deren Genehmigung verarbeitet hatte. Frausto forderte Levi´s auf, öffentlich zu erklären, auf welcher Grundlage sie kollektives Eigentum kommerzialisiere. Zara nahm die Huipiles aus dem Angebot, Isabel Marant entschuldigte sich.

Ein Gesetz gegen kulturelle Aneignung

Zudem brachten die Kulturministerin und andere Politikerinnen und Politiker ein „„Bundesgesetz zum Schutz kulturellen Eigentums und der indigenen sowie afromexikanischen Völker“ auf den Weg, das im Januar dieses Jahres in Kraft trat. Wer nun unerlaubt Motive nutzt, muss mit hohen Geld- und mehrjährigen Haftstrafen rechnen. Gemeinden können Schadensersatz einklagen. Ein System zur Registrierung soll eine Art Patentierung ermöglichen und nur den Produzenten die Berechtigung zum Verkauf geben. Die Reform wurde von allen Parteien des Parlaments unterstützt.

Ob diese juristische Vorgabe die gewünschte Wirkung erzielt, muss sich jedoch erst noch zeigen. „Eine Gesetzgebung ist sicher nützlich“, sagt Museumsleiter Menenes, „ aber es ist schwierig, Konzepte zu entwickeln, die für alle Orte passen.“ Jede Gemeinschaft organisiere sich anders. Die angenommene „Homogenität“, so ergänzt die indigene Politologin Ariadna Solis, mache deutlich, dass lediglich die politischen Eliten, nicht aber die Gemeinden selbst das Konzept ausgearbeitet hätten. „Jede Gemeinde müsste auf ihren Versammlungen, in ihren Kollektiven und mit ihren Kunsthandwerkern die Mechanismen festlegen“, betont sie. Das Gesetz sei lediglich auf die Vermarktung ausgerichtet und entspreche nicht den Interessen der Indigenen.

Modeschöpferin Pippa Holt kooperiert mit Urhebern

Doch nicht wenige Weberinnen haben ein Interesse daran, dass ihre Waren auf den internationalen Markt kommen. So kooperiert die Kunsthandwerkerin Mónica Hernández mit der australischen Modeschöpferin Pippa Holt. „Pippa Holt nennt uns als Urheber und erwähnt, dass die Arbeiten aus San Juan Colorado in Oaxaca stammen, “ erklärt die 48-Jährige Lehrerin, die nach der Schule ebenfalls am Webstuhl arbeitet. „Wir haben uns zusammengesetzt, die Preise festgelegt und fast alle profitieren davon“, sagt sie. Zwar verkauft auch Holt ihre Kleider für etwa ein Zehnfaches dessen, was sie den Frauen in der Gemeinde zahlt. Aber dennoch bekommt Hernández wesentlich mehr als die 300 Pesos, die einheimische Händler Flora Reyes in schlechten Zeiten bieten.

Wie Reyes ist auch Rubí García nicht am Geschäft mit Pippa Holt beteiligt. Dabei könnte die alleinerziehende Mutter durchaus ein besseres Einkommen gebrauchen. Und eigentlich findet sie auch, dass es „etwas Schönes“ habe, wenn ihre Arbeit in der weiten Welt auf Gefallen stößt. Einmal habe Omar Chaparro, ein bekannter mexikanischer Schauspieler, einen ihrer Huipiles getragen, erzählt sie mit gewissem Stolz und erklärt: „Wir teilen gerne das, was wir tun, aber der Wert unserer Arbeit muss anerkannt und entsprechend belohnt werden.“