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Kolumne

Reiche, Schöne, Kriminelle

General Jesús Gutiérrez Rebollo wird verhaftet, der Mafiaboss Amado Carrillo Fuentes stirbt bei einer Gesichtsoperation und Joaquín „El Chapo“ Guzmán bereitet seine erste Gefängnisflucht vor. Die Staffel 3 der Netflixserie „Narcos: Mexico“ endet genau so, wie man es sich vorstellt: als Wegbereiter für die Staffel 4.

Mit der Verhaftung des obersten Drogenbekämpfers Rebollo, der auf der Gehaltsliste des Juárez-Kartells stand, begann in Mexikos Mafiawelt eine neue Ära. „Juárez“ verlor seine dominante Rolle, während das Sinaloa-Kartell an Macht gewann, nachdem „El Chapo“ 2001 das Hochsicherheitsgefängnis Puente Grande wohl in einem Wäschewagen verlassen konnte.

Viel Stoff also für die nächsten Folgen. Umso verwunderlicher ist es, dass Produzent Carlo Bernard nach dem Erscheinen der dritten Staffel im November erklärte, es werde keine weiteren Folgen mehr geben. „‚Narcos: Mexico‘ will sich nicht wiederholen“, sagte Bernard. Klar, kann man so sehen. Die Basics sind erzählt: „Narcos“ sind ziemlich gewalttätige Menschen, die sich auch gerne untereinander totschießen, um Gebietsgewinne zu erzielen. Sie halten enge Kontakte zu hochrangigen Politikern und Militärs, weil ihr Geschäft sonst nicht möglich wäre.

Nichts hat sich geändert
Daran hat sich in der Tat nichts geändert. Der ehemalige Sicherheitsminister Genaro García Luna sitzt derzeit in einem US-Knast, weil er mit El Chapo kooperiert haben soll. Der Ex-Verteidigungsminister Salvador Cienfuegos bleibt in Mexiko wegen ähnlicher Vorwürfe straflos, weil Präsident Andrés Manuel López Obrador das so will – oder weil die Militärs das so wollen.

Auch die Geschichte von US-Drogenbekämpfern, die selbst kriminell werden, bleibt uns erhalten. Letzte Woche hat US-Präsident Joe Biden Mexikos Kartelle zur besonderen Bedrohung der USA erklärt und „mehr Flexibilität“ im Kampf gegen die Mafia angekündigt. Soll heißen: Man wird noch freizügiger im Nachbarland agieren.

Also ja, nichts wirklich Neues, zumindest, wenn man sich auf das Gewohnte beschränkt: Ballereien, Glamour, böse Männer und boshafte Politiker. Das Problem von Serien wie „Narcos: Mexico“ liegt aber genau darin, dass sie sich auf diese Welt reduzieren. Nicht einmal Ehefrauen und Geliebte spielen in dieser Männerwelt eine eigene Rolle, geschweige denn jene, die auf den Feldern die Drogen anbauen und damit einen beachtlichen Teil des Reichtums produzieren.

Hernández Buch wirbelte viel Staub auf
Vor wenigen Wochen hat die Journalistin Anabel Hernández ein Buch herausgegeben, das sich mit den Frauen in den Kartellen beschäftigt. „Emma und die anderen Damen des Narco“ erschien beim mexikanischen Verlag Grifaldo und erzählt die Geschichte von El Chapos Ehefrau Emma Coronel sowie weiterer Partnerinnen von Mafiabossen.

„Sie sind ihr Sauerstoff“, erklärt Hernández. Sie umarmten die Männer, nachdem sie gerade ein Massaker angeordnet hätten, und gäben ihnen das Gefühl, nicht nur Monster zu sein. Das Buch wirbelte viel Staub auf, auch weil die Autorin Fernsehmoderatorinnen und anderen „Personen des öffentlichen Lebens“ vorwirft, intime Beziehung zu Narcos unterhalten zu haben.

Naturgemäß bewegt sich auch Anabel Hernández in der unappetitlichen Welt der Reichen, Kriminellen und Schönen. Wer wissen will, wie das Leben am anderen Ende des Drogengeschäfts aussieht, sollte sich den jüngst erschienenen Netflix-Film „Noche de Fuego“ – Nacht des Feuers – anschauen.

Auf der Grundlage des Romans „Prayers for the Stolen“ von Jennifer Clement beleuchtet die Filmemacherin Tatiana Huezo den Frauenalltag in einem mexikanischen Dorf, das vom Opiumanbau lebt: das Schweigen, die beängstigende Präsenz der Soldaten und die ständige Furcht davor, dass die Kriminellen ihre Töchter verschleppen. Im Gegensatz zu „Narcos: Mexico“ kommt „Noche de Fuego“ ohne brutale Gewaltexzesse aus – und beschreibt dabei viel besser, was die kriminelle Einheit aus korrupten Politikern, Militärs und Verbrechern aus diesem Land gemacht hat.