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Pures Leben

Pures Leben

Keine Armee, ein funktionierendes Schulsystem, kostenlose medizinische Versorgung, mehr Nationalparks als anderswo auf der Welt: Costa Ricas Sonderweg hat dem kleinen Land Touristen, Wohlstand, aber auch Probleme gebracht.

Foto: © photodiscoveries - Flickr Creative Commons

Für die spanischen Eroberer war es die "reiche Küste", heute gilt das tropische Paradies zwischen Karibik und Pazifik als die "Schweiz Mittelamerikas". Zu Recht, denn Costa Rica hat einiges zu bieten: rund 900 Vogelarten, Raubkatzen, exotische Pflanzen und grüne Berge, auf denen - wie bei den Eidgenossen - glückliche Kühe grasen. Die ökologische Vielfalt ist einmalig: Fünf Prozent der weltweiten Biodiversität befindet sich in dem Land, das im Süden an Panama und im Norden an Nicaragua grenzt. Regenwälder und vulkanische Bergketten wechseln sich ab mit subtropischen Trockensavannen und Mangrovensümpfen. Wer morgens in den Nebelwäldern des kühlen Hochlands wandert, kann den Nachmittag an Traumstränden mit Affen, Leguanen und Faultieren verbringen.

Zugleich leben die "Ticos", wie sich die Costa-Ricaner selbst nennen, in Verhältnissen, von denen viele andere Mittelamerikaner nur träumen. Kostenlose medizinische Behandlung, ein gutes Schulsystem, demokratische Wahlen. Das Tropenland hat sich zudem der "unbewaffneten Neutralität" verpflichtet, vor 70 Jahren schaffte die Regierung die Armee ab. Während andere Staaten in der Region unter Bürgerkriegen leiden mussten, wurde Costa Rica von Diktatoren, rechten Todesschwadronen und linken Guerilleros verschont. Vielleicht deshalb grüßen sich die Ticos gerne mit den lebensfrohen Worten "pura vida" - "Leben pur". Und vielleicht deshalb zählen die fünf Millionen Einwohnerinnen und Einwohner des Landes zu den glücklichsten Menschen weltweit.

Etwa drei Millionen Urlauber reisen jährlich nach Costa Rica. Kaum jemand bleibt lange in der Hauptstadt San José, schließlich locken 27 Nationalparks und weitere Bioreservate, die sich über das ganze Land erstrecken. Manche Reisende befahren das weitläufige Kanalsystem des Tortuguero-Parks, andere besteigen den Vulkan Irazú, von dessen 3432 Meter hohem Gipfel aus man bei gutem Wetter den Atlantik und den Pazifik sehen kann. 550 000 Costa-Ricaner leben von den Touristen und erwirtschaften damit circa acht Prozent des Bruttosozialprodukts. Auch die Tierwelt hat sich auf die solventen Besucher eingestellt, etwa die Waschbären im Manuel-Antonio-Nationalpark: Während einige der Tiere zur Ablenkung ihre Tanzkünste zur Schau stellen, rauben andere den Urlaubern den Proviant.

Schon lange setzt das Land auf Abenteuer- und Naturtourismus. Rund 27 Prozent der 51 100 Quadratmeter Landfläche stehen unter Naturschutz. In den 1970er- und 1980er-Jahren wurden große Teile des Regenwaldes gerodet, mittlerweile ist die Hälfte Costa Ricas aber wieder aufgeforstet. Doch die vielen Touristen, die auf der Suche nach Papageien oder Kolibris durch die Wälder trampeln, die Flüsse hinabraften oder im Meer tauchen gehen, hinterlassen Spuren. "Manche Ökosysteme sind sehr empfindlich, und der Tourismus macht sich schnell bemerkbar", sagt Gustavo Induni von der staatlichen Koordination der Naturschutzgebiete (Sinac) und verweist auf zerstörte Korallenriffe.

Alternative Reiseveranstalter setzen deshalb auf sanften Tourismus. Auch Mara Gerhards engagiert sich für nachhaltigen Tourismus. Im Rahmen eines Freiwilligenprojektes von Brot für die Welt arbeitet sie in einer Herberge, die auch Ausflüge anbietet, lokal angebauten Kaffee röstet und vermarktet. Etwa hundert junge Deutsche arbeiten derzeit als Volunteers in Costa Rica. Warum das Land so viele junge Menschen anzieht? "Ein Grund ist sicher, dass es als sehr fortschrittlich gilt und die Klimaziele bis 2021 erreichen will", sagt Mara Gerhards.

Doch so nachhaltig wie sein Ruf ist das Land nicht. Costa Ricas Wirtschaft lebt auch vom Export von Ananas, Bananen und Ölpalmen, die in agrarindustriellen Anlagen angebaut werden. Allein für Ananasplantagen seien innerhalb von 15 Jahren 725 000 Bäume gefällt worden, kritisiert Mauricio Alvarez von der Umweltschutzorganisation Fecon. 5566 Hektar Land seien so verloren gegangen, ganz abgesehen vom massiven Einsatz von Herbiziden wie dem wohl krebserregenden Glyphosat. "Costa Rica sprüht so viel Pflanzengift wie kein anderes Land", sagt Alvarez.

Nicht nur der intensive Tourismus und die fortschreitende Zerstörung der Regenwälder fordern die Gesellschaft heraus. Obwohl Costa Rica wesentlich stabiler dasteht als Nicaragua oder Honduras, nehmen die Konflikte zu. Wie in den anderen Staaten Mittelamerikas breitet sich die Drogenmafia aus, in der Folge steigt die Gewalt. Zudem flüchten derzeit Zehntausende vor der repressiven Regierung Nicaraguas in das Nachbarland, im Kampf gegen den Drogenschmuggel hat das Land Tausende US-Soldaten geholt

Doch trotz der Spannungen entscheiden die Ticos friedlich und mit dem Stimmzettel über die Geschicke des Landes. Den letzten Bürgerkrieg erlebte Costa Rica 1948: Nachdem ihr Wahlsieg nicht anerkannt wurde, kämpfte die von den USA unterstützte Opposition erfolgreich gegen die Regierung. Die Sieger riefen die Zweite Republik aus, deren demokratischer Charakter bis heute Bestand hat. Die Armee wurde abgeschafft, die frei werdenden Gelder in das Bildungs- und Gesundheitswesen investiert. "Dafür gibt es eine paramilitärische Polizei, die von chilenischen und US-Soldaten ausgebildet wurde und so schlagkräftig ist wie eine Armee", kritisiert Bettina Ide, die seit zehn Jahren im Land lebt und in der Entwicklungszusammenarbeit tätig ist. Um den Drogenschmuggel zu bekämpfen, wurden zudem mehrere Tausend US-Soldaten stationiert. Auch in der "Schweiz Mittelamerikas" hat die "unbewaffnete Neutralität" also ihre Grenzen.

Trotzdem haben der Verzicht aufs Militär, die Sicherheit und die demokratische Geschichte Daria Bieniek dazu bewegt, nach Costa Rica zu gehen. Die Deutsche arbeitet als Volunteer in einem Projekt nahe der nicaraguanischen Grenze, das sich um Flüchtlinge kümmert. "Hier in Costa Rica kann ich mich alleine im Land bewegen", sagt sie. Natürlich lässt auch sie sich von den Schönheiten des Landes bezaubern: "Erst letzte Woche habe ich in der Nähe des Dorfes ein Faultier und zwei Affen gesehen. Dazu die tollen Strände und die wilde Natur. Wo hat man so etwas sonst?"