Sie haben ihm den Sohn genommen. Sie bedrohen ihn. Auch im Gefängnis saß er schon. Doch der Mexikaner Ildefonso Zamora kämpft weiter gegen die Banden, die illegal Holz schlagen und die Lebensgrundlagen der Indigenen bedrohen
Manchmal fliessen einfach nur noch die Tränen. "Nicht aus Feigheit, sondern weil wir nicht fähig sind, uns zu verteidigen", sagt Ildefonso Zamora. Seine Augen verraten eine tiefe Traurigkeit. "Es ist ein Schmerz, der nie vergeht, ein Verlust, den man nicht überwinden kann". Dann schweift sein Blick vom Esstisch hinüber zu seiner Frau Modesta, die über dem Feuer Maisfladen zubereitet. Zehn Jahre ist es jetzt her, dass ihr Sohn Aldo ermordet wurde. Gemeinsam mit seinem Bruder Misael war der junge Mann am 15. Mai 2007 in einen Hinterhalt geraten. Mehrere Männer eröffneten das Feuer und töteten Aldo. Misael kam mit einer schweren Lungenverletzung davon.
"Die Welt endete in diesem Moment", sagt Zamora. Es war der hohe Preis, den der 55-jährige Mexikaner dafür bezahlt hat, dass er sich für den Erhalt des Waldes in seiner Heimat einsetzt. Viel höher als die ständigen Bedrohungen durch Polizisten, Soldaten und Kriminelle sowie die Haft, die er erleiden musste. Seit zwanzig Jahren kämpft er gegen Banden, die rund um das indigene Dorf San Juan Atzingo illegal Bäume fällen. "Sie dachten, nach dem Mord an Aldo würden wir aufgeben, aber da haben sie sich getäuscht", sagt Zamora. Allein schon die Wut habe ihn weiter angetrieben. "Und es geht ja um die Zukunft unseres Sohnes, unserer Töchter und, darauf bin ich besonders stolz, um die unserer Enkelkinder."
Neun Fußbalfelder täglich
"Ohne Wald gibt es kein Wasser, und ohne Wasser gibt es kein Leben", erklärt Zamora, während seine beiden Enkel unruhig auf den Stühlen hin- und herrutschen. Deshalb wehrt er sich gegen den illegalen Holzschlag und kümmert sich darum, dass zerstörte Wälder wieder aufgeforstet werden. Und das nicht nur, weil er, wie er sagt, als Umweltschützer geboren wurde. Die Wälder von San Juan Atzingo sind Teil des Naturparks "Lagunas de Zempoala", der zu einem riesigen Wald- und Seengebiet gehört, das zwei Prozent der weltweiten Biodiversität beherbergt und drei Viertel des Wasserverbrauchs von Mexiko-Stadt sicherstellt. Durch die Holzdiebe gehen dort jedes Jahr 2400 Hektar Wald verloren – die Fläche von neun Fussballfeldern pro Tag. Es geht also ums Überleben.
Das müsste auch die Behörden beunruhigen. Doch Ildefonso Zamora erlebt das Gegenteil, seit er 1998 begonnen hat, die Wälder zu schützen. Als Mitglied des Gemeinderats war er damals für Wiederaufforstungsprogramme zuständig und erstattete Anzeige wegen des illegalen Holzschlags. Weil nichts passierte, wandte er sich an hochrangige Behörden: an das Umweltministerium und die Generalstaatsanwaltschaft. Aber auch dort reagierte niemand.
Zugleich begannen die Drohungen. "Deine Tage sind gezählt", riefen ihm einige Männer aus einem Fahrzeug zu, als er und andere 2006 dafür demonstrierten, dass der Holzschlag strafrechtlich verfolgt wird. Und: "Wenn du nicht leiser trittst, werden wir dich da treffen, wo es dich mehr schmerzt." Das haben sie getan. Sieben Monate später töteten sie Aldo. Drei Jahre dauerte es, bis zwei Täter, Mitglieder der Holzfäller-Bande, verhaftet wurden. "Die anderen beiden laufen bis heute frei herum, obwohl die Behörden genau wissen, um wen es sich handelt", sagt Zamora.
Korruption und illegale Geschäfte
Im November 2015 wurde er verhaftet und sass neun Monate im
Gefängnis. Sie schlugen ihn, beleidigten ihn, stiessen ihn die Treppe
hinunter. Er musste ertragen, dass zwei der Mörder seines Sohnes im
selben Knast einsassen. Hätten sich nicht die UN-Sonderbeauftragte für
indigene Völker, Amnesty International und andere um ihn gekümmert,
sässe er wohl noch heute hinter Gittern. Dabei waren die Vorwürfe
haltlos. Er soll einer Bewohnerin des Dorfes Geld gestohlen haben. Zum
Tatzeitpunkt war er aber auf der Gründungsveranstaltung einer
Umweltgruppe in der Landeshauptstadt Toluca. Der Vorwurf mit dem Raub
verärgert ihn: "Wir müssen nicht stehlen, unsere Familie arbeitet viel."
Der Baum als Lebensquelle
Auf dem Anwesen der Zamoras stehen drei kleine Häuser, ein Schuppen und drei Kleintransporter, umgeben von unzähligen Pflanzen. Die Familie lebt von dem, was der Boden hier in den Bergen im feucht-kühlen Zentralmexiko hergibt: Bohnen, Hafer, Kaktusblätter und vor allem Mais. Grossmutter Teresa betreibt einen Marktstand im nahe gelegenen Pilgerort Chalma.
Immer habe seine Familie zu ihm gestanden, sagt der 55-Jährige, während er zu einem der Felder läuft, das die Zamoras ernährt. Auch im Dorf halten alle zusammen; die "Verräter", wie er die Holzdiebe nennt, stammen aus anliegenden Gemeinden. Ausserhalb von San Juan Atzingo kann er sich kaum bewegen: "Zu gefährlich." Aber hier fühlt er sich sicher, obwohl immer wieder Polizisten ohne Grund vor dem Hof verweilen. Jüngst sind sogar Soldaten ins Haus eingedrungen, weil sie angeblich eine Hochzeit gesucht hätten.Ein Vorwand, ist Ildelfonso Zamora überzeugt.
Als er mit Misael und den Enkeln auf dem Feld steht, entspannt sich sein Gesicht. Zwischen den Bäumen und Büschen, von denen er jeden einzelnen kennt, spricht er über die Ernte. Über gelbe Bohnen, giftige Pilze und die heilende Kraft der Kräuter, die auf dem abschüssigen Stück Land wachsen. "Einen Baum zu pflanzen, hilft nicht nur mir, sondern der Menschheit", sagt der überzeugte Katholik. "Solange mir Gott die Erlaubnis zum Leben gibt, werde ich weiterkämpfen." Ob er sich je gegen die Kriminellen, Soldaten und Polizisten durchsetzen wird? Zamora ist auf seine Art optimistisch: "Vielleicht retten sie sich vor den weltlichen Gerichten, aber der göttlichen Gerechtigkeit kann sich niemand entziehen."