Ja, ich bin, wenn ich den Begriff so nennen darf, geistig wach, "woke" in Neusprech. Ist das nicht ein Widerspruch? Ja, ist es doch dazu weiter unten mehr.
Als mir der Verlag DCV das E-Buch „Ich bin nicht woke“ von Mai Linh Tran zur Rezension anbot, habe ich sofort zugesagt. Zu sehr versperrt mir das Gendern den Geist. Zu sehr scheint mir etwas in die Gesellschaft gepustet was nicht fachlich-sachlich und sprachwissenschaftlich-fundiert herkommt sondern rein politisch-korrekt. Tran spricht mir aus der Seele:
"Worte ... (stellen) die Basis unseres Handelns und Denken dar(..), üben... einen kaum zu überschätzenden Einfluss auf unser Leben aus. Deshalb ist äußerste Vorsicht angesagt, wenn die Woke-Jünger versuchen, unsere Sprache zu manipulieren, indem sie uns moralisch motivierte Wort- und Sprechverbote aufoktroyieren.“ Ich bin nicht woke Mai Linh Tran, S. 190
Ich darf mich und das klingt paradox als "woke" bezeichnen. Wach, wenn es um gesellschaftliche Strömungen, um Trends, aber auch um Ungerechtigkeit oder Benachteiligung geht.
Wach, wenn darum geht sich für Schwächere einzusetzen. Ich beschäftige mich mit deren Probleme, bringe sie auf den Punkt und helfe sie zu überwinden. Ich stehe ein im Kampf gegen Rassismus, Klimawandel und Sexismus. Und ich klopfe auf die Wunden das ist mein Antrieb, das ist mein Job.
Und ja, ich darf mich als aufgeklärten liberalen Menschen nennen. Für mich sind alle Menschen gleich in Bezug auf Rechte und pflichtenunabhängig von Geschlecht Hautfarbe sexueller Orientierung, Weltanschauung oder sonstigen möglichen Unterscheidungsmerkmalen.
Aber: Ich lasse mir von keiner Minderheiten-Gruppe vorschreiben wie und was ich spreche und schreibe - und ich beziehe mich jetzt explizit auf die deutsche Sprache und Grammatik. Sprache verändert sich nicht, wie es verschleiernd in der woken Szene heißt sondern sie wird gemacht.
Für Veränderungen gibt es den „Rat für deutsche Rechtschreibung“ und dieser hat klar zum Ausdruck gebracht, "dass allen Menschen mit geschlechtergerechter Sprache begegnet werden soll und sie sensibel angesprochen werden sollen. Dies ist allerdings eine gesellschaftliche und gesellschaftspolitische Aufgabe, die nicht allein mit orthografischen Regeln und Änderungen der Rechtschreibung gelöst werden kann. Das Amtliche Regelwerk gilt für Schulen sowie für Verwaltung und Rechtspflege. Der Rat hat vor diesem Hintergrund die Aufnahme von Asterisk („Gender-Stern“), Unterstrich („Gender-Gap“), Doppelpunkt oder anderen verkürzten Formen zur Kennzeichnung mehrgeschlechtlicher Bezeichnungen im Wortinnern in das Amtliche Regelwerk der deutschen Rechtschreibung zu diesem Zeitpunkt nicht empfohlen." Punkt.
Schon das Übermaß an Anglizismen und Fachbegriffen, verdarb und verdirbt mir, das Lesen und Hören von Texten. Und nun auch noch das: Weil es explizit in der linken Szene (noch einmal zur Erinnerung: Meine politische Heimat ist links-liberal-sozial) schick ist, alles infrage zu stellen, wird gegendert, was das woke Zeug hält.
Was ist Gendern? Gendern oder Gendersprache bedeutet, auf geschlechtergerechte Begriffe zurückzugreifen (vgl. Diewald/Steinhauer, 2017). Dadurch schließt man im besten Fall Männer, Frauen und nicht-binäre Menschen gleichermaßen ein, repräsentiert und spricht sie an.
Wie sieht das aus?
Beispiel: Anstelle von „Probanden“ schreibst Du also etwa „Testpersonen“. Oder Du entscheidest Dich für Doppelnennungen, also „Probanden und Probandinnen“. Hierbei fallen jedoch nicht-binäre Personen hinten runter. Dafür gibt es dann verschiedene Gender-Arten mit Sonderzeichen, wie unter anderem die Gender-Gap oder das Gendersternchen.
Amtlich korrekt ist also, neben der Schreibweise in Klammern (Duden Band 9), nur die Schreibung mit dem Schrägstrich: Ärztin/Arzt bzw. Ärztinnen/Ärzte.
Mir fehlten die Worte, als ich nun folgenden Satz las (verkürzt): ... "Berater*innen und Verbündete und, was ich besonders tragisch finde: kein*e einzige*r Ärztin/Arzt .."
"Meine Güte, nun fängt die auch noch an zu gendern", schoss mir durch den Kopf. Ich löschte die E-Mail verärgert, ohne den weiteren Text zuvor gelesen zu haben. Obschon der Inhalt mir wichtig erschien - aber nicht lebenswichtig.
Und ja, ich schalte Sendungen im TV aus, wo gegendert wird, ich lege alles zur Seite, wo mir das "*" ins Auge fällt.
Das Thema Gendern ist das zentrale Thema in dem Buch „Ich bin nicht woke“ von Mai Linh Tran. Und noch darüber hinaus, sticht sie tief in die Zeit- und Gesellschaftsgeschichte der letzten Jahre ein.
Gendern ist nicht nur Trend, Gendern ist woke. Und woke ist auch mehr als Trend, woke ist nicht nur "aufgewacht" woke ist politisch gewollt. Warum das so ist beschreibt die Autorin ausführlich, charmant, ohne zu übertreiben, sachlich und versiert.
Das E-Buch ist ein Sammelsurium von Quellen und Fakten und die Autorin legt offen, um was es mit der woken Welt auf sich hat denn sie greift tief in unsere Gesellschaft ein, in unser aller Leben und in unser aller Wissenschaft und unser aller Kultur.
Beispiel:
„Im Jahr 2021 fanden über 1.000 Vogelarten einen neuen Namen. Der Grund: Die bisherigen Namen galten als diskriminierend, kolonial oder rassistisch. So wurde beispielsweise aus der Hottentottenente die Pünktchenente. „Hottentotten“ – das waren in der Sprache der niederländischen Kolonisatoren afrikanische Völker in Südafrika und Namibia, ein Ausdruck für Menschen zweiter Klasse.“ Auszug aus Ich bin nicht woke von Mai Linh Tran
Was oben schräg und absurd klingt, steigert sich noch will doch die woke Szene deren gleich "72 und mehr" (Seite 71) Geschlechter kennen obschon es nur zwei biologisch gibt. Wobei man differenzieren muss. Tran schreibt:
„Es gibt Menschen mit einem Y-Chromosom, die trotzdem weibliche Genitalien haben, weil ihnen ein bestimmter Rezeptor fehlt und ihre Zellen auf die männlichen Hormone nicht reagieren. Es gibt Menschen, die gleichzeitig Eierstock- und Hodengewebe haben. Das sind nur zwei von vielen Beispielen für intersexuelle Menschen, bei denen der Satz: „Männer haben …“ oder „Frauen haben …“ so nicht zutrifft“ (S. 69)
Wir reden hier von einer absoluten Minderheit, "etwa 0,007 Prozent der Neugeborenen oder 0,2 Prozent der Bevölkerung in Deutschland unter diese Ausnahme. Einige hundert Personen in Deutschland definieren sich selbst weder als Mann noch als Frau, weiß die renommierte Fachzeitschrift Ärzteblatt zu berichten“
Tran führt zahlreiche Beispiele auf, wohin uns die woke Welt führen will - ins Chaos, ins Anarchistische: Kinderbücher, Märchen, selbst Essen, das über Jahrzehnte eben so hieß - das berühmte Zigeunerschnitzel: Nichts bleibt verschont vor der ach so woken Welt. Sie bilanziert:
„Die aus den USA herüberschwappende Woke-Welle lehnt sie vehement ab, wie schon der Titel des vorliegenden Buches nahelegt. Sie wertet Woke als Versuch einer Minderheit mit intellektuellem Dünkel, die Mehrheit zu dominieren, indem sie dieser eine moralische Schuld zuschreibt, die es in Wahrheit gar nicht gibt.“
Mein Fazit: Ich kann diesen Titel empfehlen. Er ist lesenswert und erfrischend und in einer famosen Sprache. Tran spricht mir aus dem Herzen und geht gegen die Sprachverstümmelung, Geschichtsvergessenheit vor. Sie gibt der pseudo-moralischen Überlegenheit der Woke-Bewegung und ihren politischen Unterstützern Kontra - und das ist gut so! Danke!
„Ich bin nicht woke“ von Mai Linh Tran,
DCV, 184 Seiten,
ISBN 978-3-98674-065-8