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Wie Städte gerechter werden können

Spielplätze werden für Jungen konzipiert, Verkehrswege sind auf Autofahrer zugeschnitten, Menschen mit fremdländischen Namen finden keine Wohnung. In Städten geht es oft ungerecht zu - Stadtplaner wollen das ändern.


Wenn Eva Kail morgens von ihrer Wohnung in Wiens viertem Bezirk zur Arbeit ins Rathaus fährt, kommt sie an einem besonderen Spielplatz vorbei. Das Areal im Alois-Drasche-Park wurde 2003 auf ihre Initiative hin umgestaltet - und zwar so, dass vor allem Mädchen sich dort wohlfühlen. Sozialwissenschaftlerinnen hatten Ende der 1990er-Jahre festgestellt, dass sich ab einem Alter von etwa zehn Jahren fast nur noch Jungen auf Spielflächen und in Parks tummelten. Denn diese seien vor allem für männliche Jugendliche ausgestattet; etwa mit Fußballkäfigen oder Basketballkörben.


Vor der Umgestaltung des Parks ließ Kail deshalb etwa 60 9- bis 14-Jährige nach ihren Wünschen befragen - und sicherstellen, dass die Mädchen dabei zu Wort kommen. Das Ergebnis ist ein Spielplatz, der auch ruhigere Rückzugsorte bietet: Hängematten, ein Baumhaus und ein Labyrinth aus Büschen.


Diese Gleichberechtigung ist bei Eva Kail Programm. Seit mehr als drei Jahrzehnten setzt sich die Stadtplanerin dafür ein, dass Wien sicherer und lebenswerter wird; gerade für Frauen. Denn Städte, so sieht sie es, wurden von Männern geplant und bedienen daher vor allem deren Bedürfnisse. Das will Kail ändern. Als Obersenatsrätin und Expertin für Gender Planning der Baudirektion Wien hat sie die feministische Stadtplanung populär gemacht - und kann damit als Vorreiterin einer Vision gelten, die aktueller ist denn je: Es geht um eine „Stadt für alle".


Prognosen zufolge sollen im Jahr 2050 knapp zwei Drittel der Weltbevölkerung in urbanen Gebieten wohnen. Umso wichtiger ist es, die rasant wachsenden Metropolen nachhaltig zu gestalten - gerade mit Blick auf das soziale Miteinander. Das finden nicht nur einzelne Experten wie Kail, sondern auch die Vereinten Nationen: In ihrer Agenda 2030, einem Aktionsprogramm für bessere Städte, fordern sie „Gleichberechtigung der Geschlechter", „reduzierte Ungleichheiten" und „Frieden und Gerechtigkeit". Doch warum werden bestimmte Bewohner in Städten überhaupt benachteiligt - und wie ließe sich das ändern?


Benachteiligte Frauen

Dass Städte ungerecht sein können, fand Eva Kail bereits 1991 heraus. Damals befragte die studierte Raumplanerin Wienerinnen aus verschiedenen Generationen und Milieus zu ihrem Alltag in der Stadt. Sie stellte fest, dass die Frauen oft zu Fuß gingen, sich dabei aber über zu schmale Gehwege und zu kurze Ampelphasen ärgerten. Das damalige Ideal der autogerechten Stadt kam den - autofahrenden - Männern zugute. Eine Analyse der Wiener Verkehrsdaten, die damals erstmals geschlechtergetrennt erfolgte, bestätigte: Männer setzten sich öfter hinters Steuer, Frauen waren häufiger zu Fuß oder mit Bus und Bahn unterwegs. Das gilt bis heute: Eine Mobilitätsstudie des Bundesverkehrsministerium s von 2019 belegt, dass auch in Deutschland überwiegend Männer mit dem Auto fahren und insgesamt mobiler sind.


Die Studie erklärt dies mit den „unterschiedlichen Lebenskontexten von Männern und Frauen". Das bedeutet: Während er morgens mit dem Wagen zur Arbeit zu fährt, bleibt sie eher zuhause - um sich um Kinder, Großeltern und den Haushalt zu kümmern. Eine frauengerechte Stadt muss deshalb nicht nur fußgängerfreundlich sein, sondern auch eine gute Grundversorgung in Laufnähe bieten: Supermärkte, Apotheken, Ärzte, eine Post. Planer nennen das die „Stadt der kurzen Wege", in der alles innerhalb von 15 Minuten erreichbar ist.

Eine besonders große Rolle bei der feministischen Stadtplanung spielt das Thema Sicherheit. „Frauen werden im öffentlichen Raum oft sexuell belästigt ", erklärt Kail. Deshalb müssten Planer die Städte noch offener und überschaubarer gestalten, ohne verborgene Winkel oder dunkle Wege. Oft lässt sich mit wenig Aufwand nachrüsten: indem man Hecken niedrig stutzt, an unübersichtlichen Ecken Spiegel montiert oder Pfade so stark beleuchtet, dass Passanten in zehn Meter Entfernung erkennbar sind.


Von feministischer Planung profitieren oft noch mehr gesellschaftliche Gruppen: Über lange Grünphasen und stolperfreie Gehwege freuen sich kranke oder behinderte Menschen, die schlecht zu Fuß sind. Sowohl Senioren als auch Jugendliche schätzen Parks, um sich dort mit anderen zu treffen, um Boule oder Basketball zu spielen. Zebrastreifen oder autofreie Zonen kommen Kindern zugute. „Und eine leicht zu überschauende Architektur führt dazu, dass sich Menschen mit Demenz leichter orientieren können", sagt Kail.


Städte sind jedoch auch Orte, an denen Menschen wegen ihrer Hautfarbe oder Herkunft ausgeschlossen oder sogar attackiert werden. Das erzählt Frank Eckardt, Stadtforscher an der Universität Weimar. Seit gut zwei Jahrzehnten befasst er sich vor allem mit Armut und Exklusion in Städten. Am offensichtlichsten sei der Rassismus im öffentlichen Raum: rechtsextreme Demos, beschmierte Mahnmale, Angriffe auf Ausländer. Doch es gebe auch weniger sichtbare Diskriminierung: „Wer einen fremd klingenden Namen hat, wird von privaten Vermietern oft gar nicht erst zur Besichtigung eingeladen."


Betroffenen bleibe meist nichts anderes übrig, als auf dem Sozialwohnungsmarkt nach einer Bleibe zu suchen - und die lägen häufig in Stadtteilen mit wenig Grün, Kultur und Infrastruktur. „Dadurch verfestigt sich die Benachteiligung", sagt Eckardt. Wer einmal in einem solchen Quartier wohne, der komme nur schwer wieder von dort weg. Eine sozial nachhaltige Stadtplanung müsste daher vor allem beim Thema Wohnraum ansetzen, sagt Eckardt. Manche Probleme ließen sich nur über Gesetze lösen, die zum Beispiel regeln, dass große Wohnungsunternehmen offenlegen müssen, nach welchen Kriterien sie ihre Mieter auswählen.


Standard-Grundrisse für Kleinfamilien

Auch bei der Bausubstanz selbst sieht der Stadtforscher viel Verbesserungsbedarf. Da wären einerseits die Sozialwohnungen: Ihre Standard-Grundrisse seien auf Singles, Paare oder Kleinfamilien zugeschnitten und wenig flexibel. Größere Haushalte müssten sich darin auf engem Raum zusammenquetschen. Noch dazu befänden sich solche Wohnungen oft in einer ungünstigen Umgebung. Viele Einwohner werden etwa aus den innerstädtischen Quartieren verdrängt, weil sie sich die Mieten dort nicht mehr leisten könnten. Weiter außerhalb finden sie zwar billige Apartments, aber dafür keine Ärzte, Kinos oder Bibliotheken.


Selbst ein Zuhause mitten in der Innenstadt kann Nachteile bergen. Denn dort wohnt es sich oft günstig, aber ungesund; etwa, weil viel Verkehr durchrauscht. Studien belegen: Je niedriger der soziale Status von Stadtbewohnern, desto größeren Umweltbelastungen und gesundheitlichen Risiken sind sie ausgesetzt. Überall in Deutschland bemühen sich Planer seit einigen Jahren deshalb um mehr Umweltgerechtigkeit. Städtebaulich könne man jedoch häufig nur wenig dagegen tun, sagt Eckardt: Je größer die Wohnkomplexe und je stärker befahren die Straßen, desto schwieriger sei es für Stadtplaner, dort Tempo-30-Zonen oder Parks, Spielflächen und grüne Plätze zu schaffen.


„Stadtumbau ist schwieriger als Stadtneubau", sagt auch Eva Kail. Für Planer ist es einfacher, Häuser oder Stadtviertel von Grund auf sozial gerecht zu planen - wie das Projekt „Frauen-Werk-Stadt I" im 21. Wiener Bezirk, an dem sie federführend beteiligt war. Vier Architektinnen hatten die Anlage mit 360 Wohnungen Ende der 90er-Jahre entworfen; sie sollte vor allem dem Alltagsleben von Frauen gerecht werden. Konkret heißt das: Die Grundrisse der Wohnungen sind flexibel, auf jeder Etage gibt es Abstellräume für Kinderwagen, außerdem eine Waschküche sowie eine Gemeinschaftsterrasse auf dem Dach. Aus den Küchenfenstern hat man die zwei Gartenhöfe mit Kinderspielplatz gut im Blick.


Um Städte wirklich sozial nachhaltiger zu gestalten, müssen Planer wissen, was die Menschen vor Ort sich wünschen - und dazu braucht es Bürgerbeteiligung. Das Problem daran: Viele Verfahren erschweren eine breite Beteiligung. An Präsentationen mit Podiumsdiskussion nehmen vor allem Leute teil, die Interesse, Vorwissen und die Zeit dafür haben. Menschen mit Migrationshintergrund, aus bildungsferneren Schichten und sozial schwächeren Milieus werden kaum einbezogen, wie die Stadtforscherin Monika Kurath in Studien herausfand.


Doch auch die direkte Mitsprache hat ihre Tücken. Prekäre Viertel werden beispielsweise oft per Quartiersmanagement unterstützt. Das bedeutet: Vor Ort gibt es ein Stadtteilbüro, wo Anwohner ihre Sorgen, Wünsche oder Nöte äußern können; dort planen sie auch gemeinsame Aktionen, die der Nachbarschaft zugutekommen sollen - Straßenfeste, Aufräumtage, Hofverschönerungen. Frank Eckardt findet das schwierig: „Diese Viertel sollen sich wie Münchhausen am eigenen Zopf aus dem Sumpf ziehen." Zwar könnten solche Programme den sozialen Zusammenhalt in Problem-Vierteln fördern und das Leben der Bewohner verbessern; doch das ändere nichts an ihrer grundsätzlichen Benachteiligung.

Hinzu kommt, dass das Quartiersmanagement befristet ist und von den Kommunen nur für begrenzte Zeit gefördert wird; danach sollen sich betroffene Viertel selbst zu helfen wissen. Experten halten dieses Vorgehen für wenig nachhaltig. In einer Studie von 2017, bei das Quartiersmanagement in vier Berliner Gebieten ausgewertet wurde, kommen die Autoren zu dem Schluss: „Die Entwicklung benachteiligter Stadtteile ist nie fertig."


Der Wandel erfordert viel Geduld - das sagt auch die Wiener Expertin Kail. Eine Metropole für alle gerechter zu machen, kann Jahrzehnte dauern. Doch Projekte wie der Spielplatz vor ihrer Wohnung zeigen: Auch viele kleine Veränderungen können die Stadt nachhaltig besser machen.

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