Junge Menschen bekommen in den sozialen Medien veraltete Geschlechterrollen vermittelt. Trotzdem bringt es nichts, die Plattformen zu verteufeln. Ein Kommentar
Frauen sollten sich in erster Linie um die Kinder und den Haushalt kümmern? Es ist in Ordnung, dass Männer besser bezahlt werden? Das klingt eher nach 1950 als nach 2019. Doch genau diese Haltung scheinen viele junge Menschen ausgerechnet über ihre Social-Media-Kanäle vermittelt zu bekommen - und selbst weiterzutragen.
Die Kinderrechtsorganisation Plan International hat jüngst 1.000 Frauen und Männer zwischen 14 und 32 Jahren befragt. Wie nutzen sie Instagram, YouTube und Co.? Was macht das mit ihren Ansichten zu Rollenbildern? Der Bericht Rollenbilder in den sozialen Medien und ihre Auswirkungen auf die Gleichberechtigung kommt zu dem Ergebnis: Junge Menschen, die besonders aktiv in den sozialen Netzwerken sind, denken stärker in stereotypen Rollenbildern.
Obwohl ein Großteil der befragten Frauen (75 Prozent) und Männer (61 Prozent) angegeben haben, sie würden über Gleichberechtigung zumindest nachdenken, haben viele von ihnen ein ganz schön eindimensionales Rollenverständnis. Zwei Drittel der Befragten stören sich nicht einmal an den Stereotypen, die in den sozialen Netzwerken gepostet, geteilt und gelikt werden. Wie kann das sein?
Putzen, Kochen, LikenÜber die Hälfte der jungen Männer (57 Prozent) und etwa ein Drittel der Frauen (35 Prozent), die Social Media täglich nutzen, finden, dass Frauen auch heute noch für die häuslichen Aufgaben und Kinderbetreuung verantwortlich seien. Zum Vergleich: Befragte, die weniger in sozialen Netzwerken unterwegs sind, stimmen dem seltener zu (47 Prozent der Männer und 31 Prozent der Frauen).
Zudem haben knapp ein Drittel der befragten Frauen (32 Prozent) sowie über die Hälfte der Männer (52 Prozent), die täglich auf YouTube, Instagram oder Facebook aktiv sind, offenbar kein Problem damit, dass Frauen bei gleicher Arbeit weniger verdienen als ihre männlichen Kollegen. Von den Frauen, die weniger Social Media nutzen, finden es nur noch 17 Prozent in Ordnung, bei den Männern sind es noch 29 Prozent.
Männer haben Muckis - und Frauen sind normschönDie Befragung hat auch ergeben, dass jungen Menschen die klassischen Schönheitsideale besonders wichtig sind, wenn sie viel Zeit in den sozialen Netzwerken verbringen. So sind viele Männer (62 Prozent) der Meinung, dass Frauen vor allem schlank sein und klassischen Schönheitsidealen entsprechen müssten. Auch einige Frauen (37 Prozent) legen bei Männern Wert auf Muskeln sowie einen normschönen Körper. Für diejenigen, die nicht täglich Social Media nutzen, ist das weniger bedeutend. Hier haben 46 Prozent der Männer und 23 Prozent der Frauen angegeben, dass ihnen solche äußeren Merkmale wichtig sind.
Doch solche Schönheitsideale bevorzugen die Nutzer*innen nicht nur bei anderen, die allermeisten optimieren auch sich selbst auf ihren Bildern (94 Prozent der Frauen und 87 Prozent der Männer). Bevor sie etwas posten, achten über die Hälfte der befragten Frauen und Mädchen auf den Hintergrund, ihre Körperhaltung oder ihren Gesichtsausdruck. Und fast genauso viele bearbeiten die eigenen Bilder. Doch Selbstdarstellung ist nicht nur den Userinnen wichtig, auch männliche User achten genau darauf, wie sie sich auf Social Media präsentieren.
Warum das ein Problem istEs ist entscheidend, in welcher Welt junge Menschen aufwachsen, was sie täglich konsumieren. Soziale Medien sind längst Teil ihres Alltags. Wenn Gleichberechtigung dort kaum eine Rolle spielt, tut sie das auch nicht in der analogen Welt. Denn Bilder haben Macht: Etwa die Hälfte der befragten jungen Frauen und Männer haben angegeben, dass die Personen, denen sie online folgen, eine Vorbildfunktion für sie darstellen.
Aber was kann man nun tun? Sollten jetzt alle ihre Profile löschen, auf Social Media verzichten? Das ist für die meisten keine Option. Warum auch, wir gestalten die sozialen Netzwerke schließlich selbst mit - und können auf das, was wir sehen, einwirken. Die Feeds verändern sich, wenn die Nutzer*innen anders konsumieren, anderen Kanälen folgen, andere Bilder liken und natürlich selbst anders posten. Am Anfang dieses Prozesses stehen wahrscheinlich die Überlegungen: Warum laufen bestimmte Inhalte beispielsweise auf Instagram besonders gut, wer hat hier die meisten Follower*innen, welches Bild bekommt Tausende Herzen und wird dann wiederum vielen weiteren User*innen vorgeschlagen? Und was trage ich dazu bei, dass das so ist?
Damit sich die überholten Rollenbilder nicht mehr reproduzieren, brauchen wir neue Identifikationsfiguren in den sozialen Netzwerken. Hier hat jede*r Einzelne die Macht, bei jedem Post, mit jedem Like.
Von Wiebke Bolle auf EDITION F
Zum Original