Volker Zepperitz

Freier Journalist und Nonprofit-Redakteur

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Artikel

Mehr Vertrauen, weniger Stress... und niemand wurde faul

Das sind die Ergebnisse der bisher größten Praxisstudie zum Grundeinkommen aus Finnland

In Finnland haben 2000 Menschen zwei Jahre lang eine Art Grundeinkommen getestet. Die Praxisstudie war umstritten, weil der ursprüngliche Forschungsauftrag von der Politik zurechtgestutzt wurde. Volker fasst zusammen, was das Grundeinkommen kann, was es nicht kann – und warum viele die Studie für gescheitert halten.


So viel internationale Aufmerksamkeit wie an diesem Tag im Mai 2020 genießen finnische Wissenschaftler*innen vermutlich selten: "Ein historischer Moment" sei das, eröffnete die Moderatorin die Videokonferenz in Helsinki, bei der die Ergebnisse der Studie der internationalen Öffentlichkeit präsentiert wurden.



Die wichtigsten Ergebnisse auf einen Blick:


  • Grundeinkommen stärkt Vertrauen in die Zukunft, Institutionen und eigene Fähigkeiten
  • Grundeinkommen verringert Stress und Depressionssymptome
  • Grundeinkommen senkt nicht den Anreiz zu arbeiten, kann ihn sogar leicht erhöhen


Tatsächlich ist die Praxisstudie, um die es geht, die erste ihrer Art. Nie zuvor hat eine Regierung per Gesetz ein landesweites Grundeinkommens-Experiment dieser Größenordnung beauftragt: 2.000 erwerbslose Finnen im Alter von 25 bis 58 Jahren wurden zufällig ausgewählt. Sie erhielten für zwei Jahre jeweils 560 Euro im Monat. Etwaige Zuverdienste und Sozialleistungen wie Kindergeld wurden nicht angerechnet.


Macht Grundeinkommen zufriedener?

Die Wissenschaftler*innen wollten wissen, wie sich Menschen mit einem Grundeinkommen subjektiv fühlen: Wächst ihr Zutrauen in sich und andere? Werden sie zufriedener und weniger stressbelastet?


Die Antworten, die Minna Ylikännö vom Forscherteam der finnischen Sozialbehörde Kela gab, waren eindeutig: "Das Vertrauen der Menschen in die eigenen Fähigkeiten, in staatliche Institutionen und in die Zukunft nahm messbar zu."


Die Testgruppe empfand weniger Stress und negative Gefühle. Symptome einer Depression bemerkten 22 Prozent der Testgruppe, in der Kontrollgruppe ohne Grundeinkommen waren es 32 Prozent. Zudem hatten die Studienteilnehmer*innen das Gefühl, sich besser konzentrieren und besser lernen zu können.


Auch ihre eigene finanzielle Situation nahmen 60 Prozent der Testgruppe positiver wahr als zuvor, in der Kontrollgruppe waren es 52 Prozent.


Schafft Grundeinkommen Arbeitsanreize?

Neben den subjektiven Effekten eines Grundeinkommens sollten die Forscher*innen auch herausfinden, ob Erwerbslose mit Grundeinkommen besser zurück in den Arbeitsmarkt finden als solche, die klassische Sozialleistungen beziehen.


Von November 2017 bis Oktober 2018 arbeiteten die Teilnehmer*innen in der Testgruppe insgesamt sechs Tage mehr als die in der Kontrollgruppe. Am stärksten war der Beschäftigungseffekt bei Familien mit Kindern und Nicht-Muttersprachlern.


Mit Interpretationen dieses Ergebnisses hielt sich Minna Ylikännö zurück. Mögliche Gründe sind steigende Motivation, weil zusätzliches Einkommen nicht mit dem Grundeinkommen verrechnet wurde, und neue Kontakte in den Arbeitsmarkt durch mehr soziales Engagement der Teilnehmer*innen.


In diesem kurzen Video fassen die Forscher*innen ihre wichtigsten Ergebnisse zusammen:


https://youtu.be/yBQW1zi1xIMhttp://


Ist die Studie gescheitert?

Schon vor ihrer Veröffentlichung wurden die Studienergebnisse kleingeredet. Maheba Goedeke Tort, die bei Mein Grundeinkommen die Forschung verantwortet, hat das intensiv verfolgt: "Die ersten Ergebnisse sickerten bereits Anfang 2020 durch. Schnell setzte sich ein Tenor in der öffentlichen Debatte fest: Das Experiment habe sich nicht gelohnt, da sich kaum Effekte gezeigt haben."


Diesen Tenor teilt Maheba Goedeke Tort nicht: "Es hat sich gezeigt: Es gibt sehr wohl signifikante Effekte auf das subjektive Wohlbefinden der Teilnehmer*innen. Sie wurden auch nicht unmotiviert oder lethargisch, sondern kamen mindestens genauso gut in Arbeit wie ihre Vergleichsgruppe. Wie kann man hier nicht von einem positiven Effekt und einem lohnenswerten Experiment sprechen?"


Auch Jürgen Schupp vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin hebt in seiner Reaktion in der Frankfurter Rundschau die positiven Ergebnisse hervor: „Das Grundeinkommen bestärkte die Leute nicht, ihre Hände in den Schoß zu legen.“ Das beliebte Argument, Grundeinkommen mache faul, ist damit erneut widerlegt.


Ein handfestes Beispiel für die tatsächliche Wirkung des Praxistests zeigte die Tagesschau: die Existenzgründerin Sini Marttinen aus Helsinki:


https://www.tagesschau.de/multimedia/video/video-698287.html


Der Fehler liegt im Forschungsauftrag

Warum lesen Sozial- und Wirtschaftswissenschaftler*innen die finnische Studie anders als Grundeinkommenskritiker*innen und die meisten Medien?


Der Fehler liegt in der Verknüpfung von Grundeinkommen und Arbeitslosigkeit im Forschungsauftrag: Ursprünglich wollten die Forscher*innen ein landesweites Experiment mit Menschen aus allen Bevölkerungsgruppen, vom Arbeitgeber über Arbeitnehmer, Selbstständige bis hin zu Erwerbslosen, und einem wirklich existenzsichernden Grundeinkommensbetrag durchführen.


Politische Zwänge stutzten das Experiment jedoch zurecht: "Und so waren es letztendlich arbeitslose Sozialhilfeempfänger, die ein zusätzliches Grundeinkommen von 560 Euro erhielten", erzählte uns Olli Kangas, der Projektleiter, im Interview. "Wären wir bei unserem ursprünglichen Plan geblieben, hätten wir Masters of the Universe werden können."


https://youtu.be/wegHknfbFqk


Durch ihren Fokus auf den Arbeitsmarkteffekt hat die finnische Studie so ein beliebtes Missverständnis zementiert. Aber: Das Bedingungslose Grundeinkommen ist keine Eingliederungshilfe für Erwerbslose. Es betrifft nicht nur Hartz4-Empfänger*innen. Es geht um so viel mehr.


Wie geht es jetzt weiter?

Minna Ylikännö wirkte zögerlich, als sie in der Videokonferenz gefragt wurde, ob die finnische Regierung weitere Forschung zum Grundeinkommen plane: Man habe wegen der Coronakrise sicher gerade andere Dinge im Kopf.


Gleichzeitig wäre gerade in der Krise ein Grundeinkommen womöglich eine große Hilfe gewesen, sagt Minna Ylikännö später: "Es würde den Menschen Sicherheit geben, die plötzlich kein Einkommen mehr durch Erwerbsarbeit haben." Vielleicht ergibt sich durch die sozialen Erschütterungen, die wir derzeit erleben, ja ein neuer Forschungsdruck?


Olli Kangas, der Projektleiter, betonte im Interview mit uns, dass er die Praxisstudie schon deshalb für einen Erfolg halte, weil sie die Diskussion über soziale Gerechtigkeit zurück auf die politischen Agenda gebracht habe. Als er das sagte, spielte das Coronavirus noch gar keine Rolle.


https://youtu.be/A9MmTyIvnXU


Die in der finnischen Studie gemessenen Effekte ermutigen, das Grundeinkommen weiter zu erforschen, sagt Maheba Goedeke Tort von Mein Grundeinkommen: "Wie sehr könnte sich dieser positive Effekt noch verstärken, wenn Menschen ein Grundeinkommen in einer Höhe bekommen würden, die wirklich den Kopf freimacht. Und was würde das mit unserer Gesellschaft machen? Das sollten wir als nächstes testen!"





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