Vögel gibt es nicht. Es gab sie früher einmal, doch dann wurden sie in den 70er-Jahren von der US-Regierung ausgelöscht. Ersetzt wurden sie durch täuschend echte Drohnen, mit denen der Staat Bürgerinnen und Bürger überwachen will. Vögel, die auf einer Stromleitung sitzen? Das sind Drohnen, die sich wieder aufladen. Das Video, das zeigt, wie eine Katze einen Vogel erlegt? Bloß ein Ablenkungsmanöver der Regierung, damit die Bevölkerung keinen Verdacht schöpft.
Klingt komisch? Soll es auch sein. Die Erzählung vom Ende der Vögel ist ein Satireprojekt, das gängige Verschwörungserzählungen persifliert. Es wird von der Gruppe „Birds Aren't Real" (deutsch: Vögel sind nicht real) verbreitet. Seit 2017 ist „ Birds Aren't Real " auf Social-Media-Plattformen und mit Offlineaktionen aktiv. Etwa 400.000 Menschen folgen dem „Birds Aren't Real"-Movement bei Instagram, bei Tiktok sind es sogar mehr als 650.000. Die Anhängerinnen und Anhänger der Bewegung scheinen demnach vor allem junge, internetaffine Menschen zu sein, die den satirischen Charakter des Projekts erkennen - aber Gefallen daran finden, die Erzählung weiterzuspinnen. Warum tun sie das?
„So eine satirische Aktion kann ein Ventil sein, um sich auf einer anderen Ebene mit Verschwörungserzählungen auseinanderzusetzen", sagt die Expertin Katharina Nocun. In Zeiten, in denen jemand wie Donald Trump Präsident der USA war und täglich Lügen verbreitet habe und in denen Verschwörungserzählungen wie Qanon oder Corona-Leugnung Hochkonjunktur haben, könnten Ironie und Satire gerade jungen Menschen helfen, damit umzugehen.
Ein Safe Space für junge Menschen„Diese Bewegung ist einfach ein Safe Space für junge Menschen, die gaga finden, was gerade in der Welt passiert", sagt auch Hanna Klimpe, Professorin für Social Media an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg. „Es ist eigentlich ein in Aktion getretenes Meme." Memes, das sind meist Bilder oder Kurzvideos, die mit Text kombiniert in einen anderen Kontext gesetzt werden - und dadurch witzig werden.
Klimpe sieht in den Aktionen und Praktiken der „Birds Aren't Real"-Bewegung etwas sehr Typisches für die Generation Z, die mit einem totalen „Informationsoverload" aufgewachsen sei. Den etwa Elf- bis 25-Jährigen sei es überhaupt nicht mehr möglich, bei jeder Information nachzuprüfen, ob die wirklich den Tatsachen entspricht. Gleichzeitig sei es eine Generation, „die auch der Medienkompetenz der Älteren konsterniert gegenübersteht".
Bei „Birds Aren't Real" werde über das Prinzip der Nachahmung, der Mimesis, eine bestehende Kulturtechnik - in dem Fall nämlich eine Verschwörungserzählung - aufgegriffen und versucht, sich diese anzueignen, erklärt die Social-Media-Professorin. „Das ist eine jahrtausendealte Kulturpraktik, die in menschlichem Erleben und menschlichem Erzählen schon immer eine Rolle gespielt hat", sagt Klimpe. Und eine Praktik, die die Generation Z intuitiv beherrsche und im Internet, vor allem in sozialen Netzwerken, vielschichtig einsetze.
Von der Mimesis zur MemesisAuch wenn die Köpfe hinter „Birds Aren't Real" das nicht öffentlich sagen: Dass die Gruppe bekannte Motive und Stilmittel von Verschwörungserzählungen aufgreift und karikiert, lässt sich leicht erkennen. Dazu gehören zum Beispiel die dramatische Musik oder eine typische Rhetorik. In einem Video „interviewt" der Anführer von „Birds Aren't Real", Peter McIndoe, beispielsweise einen angeblichen „CIA-Agenten", der die Einführung der Drohnenvögel in den 70er-Jahren miterlebt haben will.
Die Gefahr, dass Menschen die Erzählung ernst nehmen könnten, sieht die Expertin Katharina Nocun aber nicht. Dafür sei die Zielgruppe zu klar und die Performance deutlich überspitzt. „Gleichwohl muss man aber sagen, dass Satire und Witz im Kontext Verschwörungserzählungen ein zweischneidiges Schwert ist", warnt sie. In der Vergangenheit habe es immer wieder einzelne satirische Aktionen, Medienberichte oder witzig gemeinte Postings gegeben, die von Anhängern und Anhängerinnen von Verschwörungserzählungen nicht als solche erkannt worden seien, sondern vielmehr in ihre eigene Ideologie eingebaut wurden.
„Experiment in Misinformation"In einem Interview mit der „New York Times" stellte Peter McIndoe im Dezember 2021 „Birds Aren't Real" als ein „Experiment in Misinformation" dar. „Wir waren in der Lage, eine völlig fiktive Welt zu erschaffen, über die die lokalen Medien als Tatsache berichteten und die von der Öffentlichkeit hinterfragt wurde", so McIndoe. In dem Interview sprach er auch davon, die Aufmerksamkeit rund um „Birds Aren't Real" nun für das Gute einsetzen zu wollen: „Ja, wir haben in den letzten vier Jahren absichtlich Fehlinformationen verbreitet, aber mit einem bestimmten Ziel. Es geht darum, Amerika im Internetzeitalter einen Spiegel vorzuhalten."
Auch in einem kürzlich erschienenen Video des US-Mediums „Vice" mit dem Titel „The Truth Behind ,Birds Aren't Real'" gibt er vor, ab jetzt mit der Performance brechen zu wollen. Wer seine Videos und Auftritte aus sozialen Netzwerken kennt, dürfte aber auch hier wieder sein Schauspiel wittern. Er erzählt „Vice" etwa, dass die Aktionen ihm geholfen hätten, mit seinem Aufwachsen in einem ultrareligiösen Haushalt voller Ideologien ins Reine zu kommen. „Man weiß natürlich nicht, ob seine Erzählung stimmt oder ob das sozusagen Teil des Narrativs ist", sagt Hanna Klimpe.
Gelingt das Experiment?Sowohl nach dem Interview mit der „New York Times" als auch dem Erscheinen des „Vice"-Videos postete McIndoe über den Instagram-Account von „Birds Aren't Real" im üblichen Verschwörungsfanatikermodus, dass es sich bei den Berichterstattungen um Fakes handele. Will er damit den Umgang von Journalistinnen und Journalisten mit (Fake-)Verschwörungen persiflieren? Was die Aktion langfristig bringen soll, bleibt auch für Social-Media-Professorin Hanna Klimpe offen: „Solange es in sich selbstreferenziell bleibt und kommerzialisiert wird, hat es keine politische Schlagkraft, die es eventuell haben könnte." Durch „Birds Aren't Real"-Merch in Form von T-Shirts, Mützen, Socken und Masken können nämlich McIndoe und sein Freund Connor Gaydos nach eigenen Angaben ihren Lebensunterhalt bestreiten.
Vollkommen überzeugte Verschwörungsanhänger erreiche man mit so einer satirischen Aktion jedenfalls nicht, sagt Nocun. Von Satire und Witz rät sie ab, wenn man eine Person, die Verschwörungserzählungen glaubt, umstimmen möchte. „In dem Moment, wo man sich über das lustig macht, was der andere glaubt, ist es wenig wahrscheinlich, dass man argumentativ weiterkommt, weil der andere sich so fühlt, als würde man sich über ihn lustig machen." Besser sei es, ernsthafte Gespräche zu führen und mit sachlichen Argumenten zu diskutieren. Wenn man damit nicht weiterkomme, helfen auch Strategien auf emotionaler Ebene, die an den durch Verschwörungserzählungen befriedigten Bedürfnissen ansetzen. „Man kann sich auch an eine Beratungsstelle wenden", empfiehlt Nocun.