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Im Kreuzverhör der Jugend

Respekt? Ja. Samthandschuhe? Weit gefehlt. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der diesjährigen Jugendbegegnung des Deutschen Bundestages wollen Antworten von Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD). Anlässlich des 80. Jahrestages der Wannsee-Konferenz sind sie für vier Tage in Berlin. Hier setzen sich die 38 jungen Männer und Frauen in Arbeitsgruppen, bei Exkursionen und Vorträgen mit dem Thema NS-Zeit, Holocaust und den Verbrechen in der Nachkriegszeit auseinander.

Als die Bundestagspräsidentin den Saal im Jakob-Kaiser-Haus betritt, bricht das Summen der Unterhaltungen schlagartig ab. Mit "Feuer frei!" eröffnet Bärbel Bas nach kurzer Begrüßung das Podiumsgespräch. Die jungen Menschen kommen direkt zur Sache: "Was ist der richtige Ansatz, Antisemitismus zu bekämpfen?", fragt ein Teilnehmer ohne Umschweife. "Was kann man dagegen tun, dass viele Schüler jüdisches Leben nur in Zusammenhang mit der Shoa kennen?", erkundigt sich ein anderer. Geschichtliche Bildung sei sehr wichtig, fasst ein dritter Teilnehmer seinen Standpunkt zusammen. Doch die Schulen würden neben der Vermittlung von Daten und Fakten zu wenig in die Reflexion gehen. Die Frage "Was hat das mit uns zu tun?" bleibe oft auf der Strecke.

Bas hört aufmerksam zu, macht sich Notizen. Begegnungen seien wichtig, um antisemitische Vorurteile abzubauen, erklärt sie. Ebenso die klare Verfolgung von antisemitischen Straftaten. Doch auch die Zuwanderung von Menschen, deren Länder sich in jahrelanger Feindschaft zu Israel befinden, müsse in den Blick genommen werden. Es gehe darum, die Formel "Nie wieder!" mit Leben zu füllen, so Bas.

Doch die jungen Erwachsenen beschäftigt noch ein weiterer Themenkomplex: Der Krieg in der Ukraine und die Menschen, die vor der Gewalt und dem Elend fliehen. "Warum werden ukrainische Flüchtlinge anders behandelt als die aus Syrien?", will ein Teilnehmer wissen. Sie vermute, dass es damit zu tun habe, dass aus der Ukraine vor allem Frauen und Kinder nach Deutschland kommen - und dass die Hilfsbereitschaft im Land auch mit der räumlichen Nähe zur Ukraine zu tun habe, so die Bundestagspräsidentin. Doch die Unterteilung in Flüchtlinge nach erster, zweiter und dritter Klasse sei ein Problem. "Das dürfen wir nicht zulassen", sagt Bas.

Thema ist ebenfalls die Reise der Bundestagspräsidentin in die Ukraine und ihre Eindrücke vor Ort (siehe auch Seite 11). Der Kampfeswille der Ukrainer gegen den russischen Angriffskrieg sei ungebrochen, so die Einschätzung von Bas. Doch: "Mein Gefühl ist, der Krieg wird noch länger dauern." Was sie in der Ukraine an Zerstörung und Kriegsfolgen sah, habe sie entsetzt. "Wenn man durch die Ruinen läuft, den Menschen in die Augen guckt - das ist schon was anderes." Die Massengräber in der Ukraine erinnerten sie an die NS-Zeit und die Erschießungskommandos der Nationalsozialisten.

Sowohl die Vergangenheit wie auch die Gegenwart zeige, wie wichtig es sei, Dinge zu hinterfragen - und dadurch starre Strukturen zu durchbrechen, fasst Bas zusammen und appelliert: "Seien Sie immer ein Mensch, der Widerspruch gibt!" Das sei eine Frage des Mutes. 
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