In der Serie Kontoauszug stellen wir regelmäßig Menschen vor, die erzählen, wie viel sie verdienen, wofür sie ihr Geld ausgeben - und wie viel sie in Zeiten hoher Inflation zurücklegen können. Hier berichtet die 30-jährige Sarah Jungbauer, die in München Lederprodukte anfertigt und zusätzlich als Kommissioniererin sowie als Pizzalieferantin arbeitet.
Beruf: Ich habe verschiedenen Jobs: Als selbstständige Handwerkerin gestalte und produziere ich Produkte aus Leder, vor allem Taschen, Gürtel und Brillenetuis. Weil ich damit aktuell aber kaum einnehme, arbeite ich zusätzlich als Kommissioniererin und als Pizzalieferantin. Als Kommissioniererin arbeite ich für eine Firma, die Ökokisten zusammenstellt und vertreibt. Das heißt, die Kundinnen und Kunden bestellen sich ihre Kisten und ich bepacke sie mit den Lebensmitteln. Die Firma bietet neben Obst und Gemüse noch viele andere Dinge an, bis zum Klopapier ist alles dabei - es ist, als kaufte man im Bio-Supermarkt ein. Ich bin für die Kühlprodukte zuständig, deshalb arbeite ich bei vier Grad in einem Kühlhaus. Selbst wenn es im Sommer draußen 35 Grad heiß ist, trage ich im Job deshalb immer mehrere Strumpfhosen übereinander, dicke Jeans, einige Pullis und meist auch eine Mütze. Die Arbeit ist ziemlich simpel: Ein Computer zeigt mir an, was die Kunden möchten, ich suche die Lebensmittel zusammen und packe sie ein. Fertig.
Zusätzlich liefere ich für eine Bio-Pizzeria Essen aus: Mit dem Fahrrad, dem E-Roller oder dem Auto der Firma bringe ich die fertige Pizza schnellstmöglich zum Kunden. Das war eigentlich nur kurzfristig geplant, aber es macht mir Spaß, deshalb mache ich damit noch etwas weiter. Ich lerne mein Stadtviertel kennen und verdiene mit dem Minijob etwas Geld extra. Durch diese beiden Jobs bin ich finanziell abgesichert und kann meine kreative Arbeit als Handwerkerin ohne Druck ausüben.
Familienzeit
In meiner Ledermanufaktur produziere ich nur auf Wunsch, ich fertige jedes Produkt individuell für den Käufer oder die Käuferin. Meist stoßen Kunden durch eine Empfehlung auf mich oder über meinen Onlineauftritt. Es ist mir wichtig, möglichst nachhaltige Materialien zu verwenden - alle meine Knöpfe und Verschlüsse zum Beispiel kommen aus Deutschland, um lange Transportwege zu vermeiden; und ein Großteil des Leders wird mithilfe von Olivenbaumblättern gegerbt, ohne Chemikalien. Am häufigsten stelle ich Handtaschen her. Dafür fertige ich erst eine Schablone an und schneide das Leder dann für die einzelnen Teile und ein passendes Futter zu. Anschließend nähe ich die Tasche mit der Maschine zusammen, manche Teile wie Innentaschen und Verschlüsse aber auch von Hand. Je nach Aufwand brauche ich für eine Tasche bis zu zwei Tage, bei einem Brillenetui sind es nur anderthalb Stunden. Deshalb kostet eine Tasche auch mehrere Hundert Euro, ein Etui gibt es für etwa 90 Euro.
Ausbildung: Nach dem Abitur habe ich in München ein BWL-Studium angefangen. Nach fünf Semestern habe ich aber in einem Praktikum gemerkt, dass ich nicht mein Leben lang Zahlen in einen PC tippen möchte. Weil ich in meiner Jugend viel geritten bin, habe ich eine Ausbildung in einer Sattlerei gemacht. Dort habe ich gelernt, Leder zu bearbeiten und Teile von Sätteln oder Zaumzeug herzustellen. Nach dem Abschluss bin ich für acht Monate zum Work & Travel nach Australien gegangen. Dort habe ich knapp fünf Monate auf einer Farm in Queensland mit 25.000 Rindern gearbeitet und anschließend eine Rundreise durch das ganze Land gemacht. Zurück in Deutschland wollte ich eigenständiger arbeiten und meine Ideen umsetzen, deshalb habe ich eine Fortbildung zur Gestalterin im Handwerk gemacht. Dort steht die Kreativität stärker im Vordergrund als in der Sattlerei, man beschäftigt sich ein Jahr lang mit Design, Fotografie und Grafik. Im Anschluss, das war 2017, habe ich in einer Lederwerkstatt in München gearbeitet, bevor ich an der Scuola del Cuoio in Florenz eine dreimonatige Fortbildung zur Täschnerin absolviert habe, das hat damals knapp 6.000 Euro gekostet. Dort habe ich gelernt, wie ich von einer Idee über die Schablonen bis zum Vernähen eine Tasche fertige - trotzdem ersetzt diese Fortbildung keine Täschnerausbildung. Obwohl ich vor allem Taschen produziere und die entsprechenden Techniken beherrsche, darf ich in Deutschland deshalb den Titel Täschnerin nicht offiziell tragen. Wenn ich als Sattlerin einen Meister machte, wäre ich gleichzeitig auch Feintäschner-Meisterin. Das habe ich aktuell aber nicht vor.
Arbeitszeiten: Als Kommissioniererin arbeite ich 24 Stunden in der Woche, verteilt auf drei Tage. Über meinen Pizza-Aushilfsjob kommen zehn Wochenstunden dazu. Meine Arbeitszeit als Handwerkerin variiert stark, 20 Wochenstunden sind ein realistischer Durchschnitt. Zusammengerechnet arbeite ich also circa 55 Stunden in der Woche. Damit bin ich ganz zufrieden. Ich merke aber auch, dass es nicht mehr werden dürfen. Die Arbeit im Kühlhaus ist körperlich anstrengender als in einem Büro zu sitzen. In Kombination mit dem Rest schafft mich das manchmal schon.
Brutto: Mit den Ökokisten verdiene ich monatlich 1.500 Euro brutto. Bei dem Minijob in der Pizzeria sind es knapp 430 Euro, hinzu kommt das Trinkgeld, schätzungsweise 130 Euro im Monat. Mit der Selbstständigkeit stehe ich noch am Anfang. Ich schätze, aktuell mache ich circa 2.000 Euro Umsatz im Jahr. Der Verkauf ist unter anderem wegen Corona sehr schleppend angelaufen, gleichzeitig hatte ich zu Beginn hohe Ausgaben. Für Maschinen und Material musste ich mehrere Tausend Euro ausgeben, das habe ich über ein Darlehen in Höhe von 17.500 Euro finanziert. Zurzeit decken meine selbstständigen Einnahmen gerade so meine Ausgaben und die Rückzahlungen für das Darlehen. Bis ich mit meinen Lederprodukten Gewinn machen werde, wird es noch etwas dauern. Es ist aber auch nicht mein Ziel, das als Hauptberuf zu machen - die Mischung aus Kommissionierung und Handwerk kann ich mir auch längerfristig vorstellen. Zusammengerechnet lande ich bei einem Bruttoeinkommen von etwa 2.200 Euro im Monat.
Netto: Netto bleiben mir davon circa 1.660 Euro. Abgaben zahle ich fast nur für den Teilzeitjob - für den Minijob fällt nur ein kleiner Betrag für die Rentenversicherung an und in meiner selbstständigen Arbeit ist der Umsatz zu gering, um Steuern zu bezahlen.
Wie mich die Inflation betrifft: Ich hatte zeitweilig überlegt, mir eine Stelle zu suchen, die etwas anspruchsvoller ist als bei der Ökokiste, aber es entlastet mich gerade sehr, dass ich wegen des Jobs so wenig Geld für Lebensmittel ausgeben muss, während die Preise so stark steigen. Insgesamt muss ich mich im Moment noch nicht einschränken, aber es ist etwas, das mich beschäftigt.
Wohnen: Ich lebe in einer Zweizimmerwohnung in München, für die ich 900 Euro Warmmiete im Monat zahle. Für Strom kommen noch einmal 20 Euro hinzu. Das ist aktuell wenig, ich muss abwarten, wie sich die Preise entwickeln. Die Wohnung gehört meiner Mutter, deshalb ist sie für Münchner Verhältnisse günstig – trotzdem lebe ich dort nicht kostenfrei. Meine Werkstatt habe ich in meinem Wohnzimmer eingerichtet. Trotzdem habe ich dort genug Platz und muss keine Räume anmieten.
Lebensmittel: Für Lebensmittel gebe ich sehr wenig aus, weil ich über die Ökokistenfirma eine Mitarbeiterkiste bekomme. Darin steckt viel Obst und Gemüse, gelegentlich sind aber auch andere Produkte dabei – das deckt rund 80 Prozent meines Bedarfs. Seit die Inflation die Preise nach oben treibt, hilft mir das ungemein. Wenn ich einkaufen gehe, brauche ich Nudeln, Reis oder Mehl, das kaufe ich dann im Bioladen. Ich koche gerne und viel zu Hause, esse selten auswärts. Deshalb liegen meine Kosten für Lebensmittel nur bei etwa 100 Euro im Monat.
Hygieneprodukte: Ich versuche, nachhaltig zu leben, und kaufe selten Pflegeprodukte wie Shampoo. Meist nutze ich feste Seife, ich habe mir aber auch lange meine Haare mit Roggenmehl gewaschen. Auch zum Friseur gehe ich nicht, ich schneide meine Haare selbst. Bei meinen längeren Haaren fällt das niemandem auf. Deshalb komme ich hier insgesamt nur auf Kosten von 15 Euro im Monat. Die gebe ich im Bioladen aus, wenn möglich; was ich dort nicht bekomme, kaufe ich im normalen Drogeriemarkt.
Kleidung: Auch was Kleidung angeht, bin ich sparsam. Auf den Monat gerechnet komme ich auf rund 40 Euro, die ich dafür ausgebe. Ich versuche mich zu informieren, wo und unter welchen Bedingungen meine Kleidung produziert wurde. Das macht es manchmal aber schwierig: Einerseits lasse ich mir ungern Kleidung schicken, die ich eventuell wieder zurückschicken muss, wenn sie mir nicht passt. Andererseits haben viele kleine Unternehmen, die nachhaltig produzieren, gar keine oder nur wenige feste Läden. Natürlich fahre ich nicht nach Berlin, nur um neue Socken zu kaufen, deshalb überlege ich dreimal, ob ich mir etwas kaufe oder nicht. Kaputte Kleidung kann ich natürlich oft auch noch flicken, aber bei aufwendigen Sachen wie bei einer Jackenreparatur sieht man den Unterschied zu einer ausgebildeten Schneiderin recht deutlich.
Internet und Handy: Für meinen Internetanschluss zu Hause zahle ich 30 Euro, einen Festnetzanschluss habe ich nicht. Für mein Handy kommen noch einmal 20 Euro dazu. Macht insgesamt 50 Euro im Monat.
Freizeit und Abos: In meiner Freizeit gehe ich regelmäßig ins Yogastudio. Dafür zahle ich 32 Euro im Monat, das reicht für zwei Stunden. Wenn ich aber mal nicht kann, verfallen die Stunden nicht, ich kann sie nachholen. Deshalb gehe ich fast jede Woche, wenn ich viel Zeit habe, und seltener, wenn es andere Dinge zu tun gibt. Mit sechs Euro im Monat beteilige ich mich an einem Familien-Netflix-Account. Hinzu kommt der Rundfunkbeitrag in Höhe von 18 Euro. Spotify und Soundcloud nutze ich kostenfrei mit Werbung. Außerdem bin ich Mitglied im Deutschen Alpenverein. Ich gehe zwar nicht mehr so oft zum Wandern in die Berge, aber der Verein ist zum einen eine Art Versicherung, wenn mir etwas passiert, und kümmert sich zum anderen darum, dass die Berge geschützt und Wege gut ausgebaut werden. Das sind mir neun Euro Mitgliedsbeitrag wert. Für weitere Freizeitgestaltungen gebe ich kein Geld aus: Ich zeichne gerne oder gehe fotografieren. Wenn ich ein Kinoticket im Jahr dazurechne, liegen meine Ausgaben hier bei 67 Euro im Monat.
Mobilität: Auch bei Schnee und Regen fahre ich alle
Wege mit dem Fahrrad. Zur Arbeit bei der Ökokiste ist das eine gute
Stunde Fahrzeit. Das ist mir lieber, als in der S-Bahn zu sitzen,
außerdem hält es mich fit und dauert fast genauso lang. Vor zwei Jahren
habe ich 800 Euro in ein neues Rad investiert, seitdem musste ich keine
Fahrkarten mehr für den ÖPNV zahlen. Die meisten Reparaturen erledige
ich selber. Laufende Kosten habe ich deshalb keine.
Reisen: Ich habe in diesem Jahr den ersten Urlaub seit dem Beginn meiner Selbstständigkeit gehabt: eine Woche lang Camping in Kroatien. Ich habe mir das Auto von den Eltern meines Freundes geliehen, deshalb war es ein günstiger Urlaub. Insgesamt habe ich etwa 500 Euro ausgegeben. Weitere Urlaube sind aktuell nicht geplant, im Monatsdurchschnitt komme ich für dieses Jahr deshalb auf etwas mehr als 70 Euro. Lediglich nach Weilheim fahre ich einmal im Monat, um eine Freundin zu besuchen. Dieses Ticket kostet mich 25 Euro. Insgesamt habe ich also Reisekosten von etwa 95 Euro monatlich.
Versicherung: Ich habe drei Versicherungen: eine Hausrats-, eine Haftpflicht- und eine Reiseversicherung. Wenn ich die jährlichen Beiträge auf den Monat rechne, zahle ich 7,50 Euro dafür.
Sparen: Geld zurückzulegen ist in meiner Situation schwierig, trotzdem versuche ich vorzusorgen, damit meine persönliche Rentenlücke nicht zu groß wird. Ich habe bei einer Versicherung einen Vertrag über eine Privatrente abgeschlossen, das kostet mich 50 Euro im Monat. Seit diesem Jahr investiere zudem in einen Nachhaltigkeitsfonds, da fließen noch einmal 50 Euro im Monat hin – irgendwann möchte ich gerne 150 Euro monatlich einzahlen.
Rückzahlungen: Während meiner Ausbildung zum Gestalter im Handwerk habe ich Bafög bekommen. Hier zahle ich im Monat 130 Euro zurück.
Was am Ende übrig bleibt
Am Monatsende bleiben mir derzeit 110 bis 120 Euro übrig. Dieses Geld lasse ich auf einem Tagesgeldkonto, um mir dort einen finanziellen Puffer aufzubauen. Das sind aktuell 800 Euro, 2.000 Euro sollen es mal werden. Davon kann ich dringende Ausgaben bezahlen oder mal ein Geschenk für eine Hochzeit.
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