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Die letzte Chance auf Wohnen

Auf der Schwanthalerhöhe entsteht ein Projekt für wohnungslose Frauen, die sonst keine Wohnung finden. Vorbild sind die „Lebensplätze“ am Harthof. Wie ist es, dort zu leben?
„Auf dem freien Markt findet keine unserer Frauen eine Wohnung“, erzählen die Sozialarbeiterinnen der „Lebensplätze für Frauen“. In der Einrichtung des evangelischen Hilfswerks wohnen 26 Frauen, alle über 50, manche haben jahrelang auf der Straße gelebt. „Unsere Frauen haben schon sehr, sehr viel mitgemacht.“ Für einige Bewohnerinnen ist es die erste eigene Wohnung seit langer Zeit. Isabel Torres ist eine von ihnen. Torres wohnt seit gut zwei Jahren in den „Lebensplätzen“. Eigentlich heißt Torres anders, damit die 60-Jährige offen erzählen kann, wurde ihr Name geändert. Denn sie hat eine bewegte Lebensgeschichte: Geboren ist Torres in Südeuropa, sie lebt aber schon so lange in München, dass ein bairischer Einschlag nicht zu überhören ist. Sie hat für Leiharbeiterfirmen gearbeitet, bis ihre Hüfte nicht mehr mitmachte. Die Bandscheiben. Torres wurde arbeitslos. Später landete sie auf der Straße. „Man stellt halt Sachen an, weil man Hunger hat“, erzählt sie. Torres hat geklaut, mehrmals. Wegen Ladendiebstahls kam sie elf Monate lang in Haft. Als sie wieder draußen war, stand Torres vor der Frage: Wohin jetzt? „Für Menschen wie mich ist es sehr schwer, eine Wohnung zu finden“, erzählt Torres heute. Natürlich hat sie gesucht, war aber chancenlos in einer Stadt, in der Immobilienportale Ein-Zimmer-Appartements für 1500 Euro anbieten. Zu keiner einzigen Besichtigung wurde Torres eingeladen. Über ihren Bewährungshelfer kam sie zu den „Lebensplätzen“. „Zweieinhalb Jahre lang habe ich auf diesen Platz gewartet.“ Das ist nicht ungewöhnlich, die meisten Bewohnerinnen bleiben in der Einrichtung, bis sie sterben oder in ein Altenheim umziehen müssen. Trotzdem bekommen die Sozialarbeiterinnen der Lebensplätze immer neue Anfragen. Genaue Statistiken gibt es nicht, doch die Zahl der wohnungslosen Menschen in Deutschland wird auf 700 000 bis 1,2 Millionen geschätzt. Sie leben in Übergangseinrichtungen, bei Freunden oder auf der Straße, weil sie sich keine eigene Wohnung leisten können. Das Auseinanderbrechen einer Familie, das Scheitern der eigenen Selbstständigkeit, die zu niedrige Rente – schnell kommt ein Teufelskreis in Gang. Frauen ziehen oft von Partner zu Partner, „auf Platte sein“ ist für sie besonders gefährlich. „Trotzdem sind Einrichtungen für wohnungslose Frauen immer noch ein Mangel in München“, weiß Dominik Lehmann. Der Sozialpädagoge sitzt für die Linke im Bezirksausschuss Schwanthalerhöhe. Dort, an der Westendstraße, will die Stadt ein Projekt aufbauen, das ähnlich wie die „Lebensplätze“ am Harthof konzipiert ist. Lehmann verspricht sich viel vom Neubau. „Gerade alleinstehende Frauen haben im Alter immer öfter das Problem, dass die Rente nicht zum Leben reicht.“ Wie Isabel Torres könnten sie in den „Lebensplätzen“ ein neues Zuhause finden. Sie hat jetzt ein Zimmer für sich, mit Küchenzeile, eigenem Bad und sogar einem Balkon. Richtig zufrieden ist sie trotzdem nicht: „Wenn ich könnte, würde ich gerne ausziehen.“ Zu klein sei die Wohnung, wenn man viel zu Hause sei. Und das ist Torres. Arbeit hat sie keine, Cafés, Kinos oder das Freibad sind teuer, wenn man von 400 Euro im Monat lebt. Die Wohnung zahlt die Stadt. Besuch einladen? Möglich wäre das in den „Lebensplätzen“. Doch in einer Ein-Zimmer-Wohnung ist das Wohnzimmer auch das Schlafzimmer, der Besuch säße im intimsten Bereich, zwischen Familienfotos und Schlafanzug. Trotzdem sind die Bewohnerinnen dankbar für ihre Wohnung. Einen derart geschützten und privaten Bereich für sich hatten mache lange nicht. „Ohne Notfall haben wir keine Befugnis, in die Wohnungen zu gehen“, erklären die Sozialarbeiterinnen. Sie bieten Hilfe an, aber keine der Frauen muss das Angebot annehmen. „Für immer will ich hier nicht bleiben“, sagt Isabel Torres. Eher unwahrscheinlich sei ein Auszug, halten die Sozialarbeiterinnen dagegen. Für die meisten Frauen sind die „Lebensplätze“ die letzte Chance auf eine eigene Wohnung in München.