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Parken auf dem Gehweg: Ohne Rücksicht

Parken auf Gehwegen wird selten geahndet, dabei gefährdet es vor allem ältere und beeinträchtigte Fußgänger. Einige Städte wollen jetzt härter durchgreifen.

Autos, Mofas, Leihräder, E-Scooter, Transporter, Paketboten – die Liste von Renate Geifrig ist lang, und ihr Ärger groß. Sie alle stehen regelmäßig auf den Gehwegen Münchens herum. "Ich bin mittlerweile supersauer", sagt Geifrig. Sie ist Rollstuhlfahrerin. Und immer, wenn ein Autofahrer seinen Wagen auf dem Fußweg parkt, wird die Sache für sie gefährlich.

Gehwege sollten mindestens 2,50 Meter breit sein, empfiehlt die Bundesregierung. Mehr Platz bieten Gehwege selten, oft eher weniger. Ein parkendes Motorrad ist in der Regel kein großes Problem, ein schräg abgestellter E-Scooter nervt zwar, aber auch er kann meist umkurvt werden. Bei Autos ist die Lage anders, sie werden immer breiter. Der ADAC hat über 200 Automodelle verglichen. Das Ergebnis: "70 Prozent aller neu zugelassenen Fahrzeuge sind heute breiter als zwei Meter." Ein durchschnittlicher Rollstuhl ist 70 Zentimeter breit. Es ist eine simple Rechenaufgabe, mit deren Ergebnis Renate Geifrig täglich kämpft: "Parkt ein Auto auf dem Gehweg, komme ich mit meinem Elektrorollstuhl nicht daran vorbei."

Nun könnte man denken, ein auf dem Gehweg abgestelltes Auto würde abgeschleppt, andere Fahrzeughalter bekämen das mit und parkten künftig anderswo. Denn rein rechtlich ist die Lage ziemlich klar: Das Halten und Parken auf Gehwegen ist laut Straßenverkehrsordnung grundsätzlich verboten. Dort steht: "Fahrzeuge müssen die Fahrbahn benutzen." Und weiter: "Zum Parken ist der rechte Seitenstreifen, dazu gehören auch entlang der Fahrbahn angelegte Parkstreifen, zu benutzen." Also nicht der Gehweg. Dabei ist unerheblich, wie breit der Bürgersteig ist. Zwar gibt es Ausnahmen, bei denen das Parken durch Verkehrszeichen oder durch Parkflächenmarkierungen ausdrücklich erlaubt ist. Auf den meisten Gehwegen darf man sein Fahrzeug aber nicht abstellen. Parkt ein Autofahrer trotzdem auf Geh- und Radwegen, wird ein Bußgeld fällig. Stellt das parkende Auto eine konkrete Gefahr dar oder behindert es Feuerwehr, Müllabfuhr oder andere Verkehrsteilnehmer, darf es sogar abgeschleppt werden. Eigentlich also eine klare Regelung.

Gefährliche Umwege

Eigentlich. Die Realität sieht anders aus. "Gehwegparker behindern mich in München beinahe täglich", berichtet Rollstuhlfahrerin Geifrig. Auf dem Weg zur Arbeit, zum Einkaufen oder in den Englischen Garten, überall stößt Geifrig auf Falschparker. "Dann bin ich dazu gezwungen, den blockierten Abschnitt auf dem Radweg oder der Straße zu fahren." Sind dort Schnellradler oder hupende Autofahrer unterwegs, führt das schnell zu unangenehmen Situationen. Oder gar gefährlichen. "Eine Kollegin ist vor Kurzem seitlich vom Bürgersteig gekippt und umgefallen. Das Ergebnis was eine gebrochene Rippe", sagt Geifrig. Schon öfter hat sie mit der Polizei über das Problem gesprochen. Geholfen hat es bisher nichts. Menschen mit Rollator oder Kinderwagen sind ebenfalls gefährdet, wenn sie wegen Falschparkern auf die Straße ausweichen müssen.

Ob und wann das Zustellen von Bürgersteigen bestraft wird, liegt im Ermessen der jeweiligen Kommune. Selbst innerhalb eines Bundeslandes gibt es große Unterschiede. In Münster wird das Gehwegparken noch geduldet, wenn der frei gebliebene Fußweg mindestens einen Meter breit ist. In Köln sind 1,20 Meter die Maßgabe, in Wuppertal reichen sogar weniger als 80 Zentimeter, um straffrei zu bleiben.

Die Kommunen stecken in einer Zwickmühle: Einerseits müssen sie ihre Bürgerinnen und Bürger schützen und für die Einhaltung der Verkehrsregeln sorgen. Andererseits nimmt die Zahl der Autos in Großstädten stetig zu. Und der öffentliche Raum wandelt sich: Neue Radwege werden gebaut, Bäume gepflanzt und E-Auto-Ladesäulen installiert. Meist fallen dafür Parkplätze weg. Gerade in dicht besiedelten Wohngebieten sehen deshalb viele Autofahrer das Gehwegparken als letzten Ausweg. Alternativen zeigen die wenigsten Kommunen auf. Stattdessen kann jedes Ordnungsamt abwägen, ob es einen ertappten Gehwegparker bestrafen will, oder ob es das unverhältnismäßig findet.

Einige Städte verschärfen Regeln

Darauf verweist auch die Polizei München. "Steht ein Pkw unberechtigt auf dem Gehweg ist das immer eine Verkehrsordnungswidrigkeit, die einen 'Strafzettel' nach sich zieht", heißt es dort. Gleichzeitig könne verbotswidriges Parken auf dem Gehweg, zum Beispiel mit einer Fahrzeughälfte, von der Polizei im Rahmen des sogenannten "Opportunitätsprinzips" geduldet werden, solange andere Verkehrsteilnehmer nicht behindert würden. Das Ja-aber-Prinzip.

Andere Städte sind da schon einen Schritt weiter. Karlsruhe oder Ulm beispielsweise ahnden das Gehwegparken deutlich strenger. Die baden-württembergische Landesregierung hat den Spielraum der Kommunen eingeschränkt, Parken auf dem Gehweg soll nicht mehr generell geduldet werden. Und auch die Regelungen zum Abschleppen wurden verschärft: Ein Auto soll grundsätzlich entfernt werden, wenn auf dem Gehweg weniger als 1,50 Meter Platz bleiben.

Sharing-Fahrzeuge verschlimmern die Situation

Doch diese strenge Regelauslegung ist noch immer die Ausnahme. Ganz zum Ärger von FUSS e.V., einer Interessenvertretung von Fußgängerinnen und Fußgängern. Dort beschreibt man das Gehwegparken als "asozial, ohne Rücksicht auf die Behinderung und Gefährdung anderer". Der Verein fordert, die Regeln klarer festzuschreiben, höhere Bußgelder festzulegen und mehr zu kontrollieren. Der ADAC dagegen hält sich mit klaren Aussagen zurück. Die Regelfestlegung sei schließlich Aufgabe der Kommune, dort kenne man sich mit den Bedingungen vor Ort aus.

Am Ende trifft es Menschen wie Renate Geifrig. Ihr zufolge hat sich die Situation sogar zuletzt noch verschlechtert: "Die Tatsache, dass es mehr Sharing-Verkehrsmittel auf den Gehwegen gibt, scheint für viele Autofahrer der Startschuss gewesen zu sein, ebenfalls öfter auf Fußwegen zu parken."

Deshalb spricht Geifrig, die sich im Club Behinderter und Ihrer Freunde München engagiert, das Thema immer wieder an – gegenüber der Polizei und den Gehwegparkern. "Den meisten ist egal, wenn sie mich mit ihrem Verhalten gefährden", sagt sie. Weist sie auf das Problem hin, folgt oft ein Schulterzucken oder auch gar keine Reaktion. "Eine Entschuldigung habe ich noch nie gehört."

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