Victoria Schwendenwein

Journalistin, Übersetzerin, Lanzenkirchen

1 Abo und 1 Abonnent
Artikel

In der Vorratskammer Costa Ricas

In der Vorratskammer Costa Ricas

Coronakrise trifft die Landwirtschaft hart, fehlender Absatz durch die Industrie und im Export machen der Branche zu schaffen – und zwar weltweit. Zu spüren bekommt das auch eine kleine Stadt am „anderen Ende der Welt“, Pacayas im Zentrum Costa Ricas. Ein Blick über den Tellerrand.

Blühende Erdäpfel-Äcker, pralle Zucchini-Felder oder riesige Sellerie-Kulturen, ein Tal voller Anbauflächen, eingebettet zwischen den Hängen der Vulkane Irazú und Turrialba – das ist Costa Rica. Auch Karotten, Kohl, Kraut, Brokkoli, Karfiol, Bohnen oder Sellerie gedeihen hier und werden wohl von den Wenigsten mit dem kleinen Staat in Mittelamerika in Verbindung gebracht. Die Kleinstadt Pacayas im Herzen Costa Ricas mit ihren rund 5.000 Einwohnern beweist, dass das ein Irrtum ist. Die Menschen hier leben von und für die Landwirtschaft. „Das ist für uns die Quelle unserer Arbeitsplätze“, erzählt Natalia Serrano Massís. Die junge Frau hat eine landwirtschaftliche Schule im Ort besucht, ein einschlägiges Studium absolviert und sich Mitte des Jahres selbstständig gemacht. Produziert werden hausgemachte Marmeladen sowie Eingemachtes und seit Neuestem auch Joghurt. Die Milch stammt von den ortsansässigen Landwirten. In der Bewerbung ihrer Produkte legt Massís Wert auf die regionale Herkunft, denn: „Ich möchte sichere, gesunde und hochwertige Lebensmittel anbieten“, betont die Jungunternehmerin. Pacayas und das Kanton Cartago, zu dem die Stadt gehört, sind nämlich so etwas wie die „Vorratskammer“ Costa Ricas. So werden beispielsweise 70 Prozent der im Land konsumierten Erdäpfel in der Region produziert. Das sind jährlich etwa 70.000 Tonnen. Es sind vor allem Klein- und Mittelbetriebe, die hier wirtschaften. „Hier kann ein Kleinbauer etwa einen halben Hektar haben“, erzählen Dario Chavarría und Jeison Leiton Marín , Vertreter der Vereinigung der unabhängigen Bauern von Nord Cartago (Asociación de Agricultores Independientes de la zona Norte de Cartago).

Produziert wird das ganze Jahr, die klimatischen Bedingungen lassen es zu. Dario und Jeison zeigen blühende Erdäpfeläcker und nehmen ProHektar mit zur Rote Rüben-Ernte. Es ist ein ungewohntes Bild: Die Ernte wird auf den Ladeflächen eines Geländewagens eingebracht. „Wir können aber leider nicht alles durch die rosarote Brille sehen“, schildert der Landwirt. Abgesetzt werden die Waren nämlich üblicherweise auf Märkten, in der lokalen Gastronomie oder auch im Tourismus. Der Export spiele hier kaum eine Rolle. Die Produktionskosten für Exportware und der Bürokratieaufwand dahinter seien zu hoch. Die großen Konzerne würden das Monopol auf Export haben.

Abgesehen davon gäbe es für die im Kanton produzierte Ware ohnehin kaum einen internationalen Markt, an dem man sich beteiligen könnte. Deshalb konzentriert man sich lieber auf den Vertrieb im Land. Aber auch das ist gerade mehr als schwierig. Die Corona-Krise habe viele in große fi nanzielle Nöte gebracht. Teilweise hätten Landwirte ihre Maschinen und Höfe verloren, schildert Dario. Dazu kommt der fehlende Absatz. „Wir haben jede Menge Überschuss“, erklärt er stellvertretend für seine Kollegen.Deshalb musste eine Lösung her. Um die Ernte nicht wegwerfen zu müssen, wurde kurzerhand eine Spendenaktion ins Leben gerufen und das überschüssige Gemüse an arme Familien verschenkt. „Wir müssen aufeinander schauen“, steht für Dario fest.

Aber schon vor der Krise hatten es die Bauern in Costa Rica nicht leicht. Zwar ist ein Großteil der landwirtschaftlichen Betriebe im Land kleinstrukturiert, allerdings werden laut dem Costa-ricanischen Landwirtschaftsministerium nur etwa 26 Prozent aller Anbauflächen im Land von diesen Betrieben bewirtschaftet. Der Rest gehört Großgrundbesitzern und Konzernen. Das ist den Behörden auch bewusst. „Trotz ihrer Bedeutung leben sechs von zehn Haushalten, die von der Landwirtschaft abhängig sind, in Armut und Unsicherheit“, heißt es in der nationalen Landwirtschaftsstrategie 2020 bis 2030.

Die Politik will deshalb Programme zur Förderung der bäuerlichen Familienbetriebe vorantreiben, um die Armut zu bekämpfen und ihnen einen Zugang zu Sozialschutzsystemen zu gewähren. Um darauf, und auch auf die Krise zu reagieren, wird auch in Costa Rica versucht, das Bewusstsein für die Landwirte als Garant für Ernährungssicherheit zu steigern. Der costa-ricanische Landwirtschaftsminister verlautbarte deshalb unlängst: "In diesem Kontext der Pandemie wissen wir, dass die wirtschaftliche Erholung aus dem ländlichen Raum kommen wird und dass bäuerliche Familienbetriebe nicht nur vorrangig daran beteiligt sein werden, uns zu ernähren, sondern auch, um aus der sozialen Wirtschaftskrise herauszukommen, die diese Pandemie hervorgerufen hat.“ Das gilt wohl „am anderen Ende der Welt“ ebenso wie in Österreich.