Veronika Widmann

Journalistin//Juristin im Werden

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Artikel

Jurastudium: Juristen brauchen Zeit, Geld und den Bachelor

Zurzeit beschäftigen wir uns in einem Schwerpunkt mit der Frage, ob das Jurastudium reformiert werden muss. Lesen Sie auch ein Plädoyer gegen das Jura-Examen, die Geschichte einer Studentin, die das Erste Staatsexamen nicht schaffte, und das Interview mit einem Dozenten, der ein breiteres Studium fordert.

Schafft das Staatsexamen ab, schrieb Anna K. Bernzen vergangene Woche an dieser Stelle. Jeder Jurastudent, der wie die Autorin selbst gerade über der Examensvorbereitung schwitzt, hätte ihr dafür wohl gerne auf die Schulter geklopft - verständlicherweise. Statt eines einheitlichen Abschlusses für alle Juristen fordert Bernzen eine frühe Spezialisierung. Wer brauche schon fundierte Kenntnisse im Strafrecht, wenn er später Anwalt für Gesellschaftsrecht werden will? Warum solle jemand Verfassungsrecht büffeln, der sich später mit Mietrechtsklagen herumschlagen wird? Aber trotz aller berechtigter Kritik am Staatsexamen ist die Abschaffung von einheitlichen Standards zugunsten einer frühen Spezialisierung die falsche Lösung.

Zwar werden Zivilrecht, Strafrecht und öffentliches Recht an der Uni getrennt unterrichtet und geprüft. Die meisten Juristen werden später hauptsächlich in nur einem der Gebiete arbeiten. Aber alle drei Bereiche sind Teil einer einheitlichen Rechtsordnung und ergänzen sich gegenseitig. Nur wer ein wenig Ahnung vom System als Ganzem hat, wird seinen Spezialbereich durchdringen. Das ist in anderen Disziplinen nicht anders: Wer noch nie etwas vom Blutkreislauf gehört hat, wird wohl eher ein schlechter Kardiologe, wer die Grundlagen der Physik nicht verstanden hat, ein schlechter Brückenbauingenieur. Ein Generalist kann im Berufsleben immer noch und früh genug zum Spezialisten werden. Andersrum funktioniert das nicht. Und auch wenn Jura in vielerlei Hinsicht mehr Ausbildung als Wissenschaft ist, findet das Studium immer noch an einer Universität statt. Sollte man angehenden Akademikern nicht zumuten können, sich für mehr als einen kleinen Teil ihres Fachs zu interessieren?

Der Generalistenanspruch des Staatsexamens ist also richtig und wichtig. Dass die Prüfungsform, mit den Worten eines Bundesrichters, lebensfern und demütigend ist, steht auf einem anderen Blatt. Dass sie in nächster Zeit geändert wird, ist aber unwahrscheinlich. Deshalb sollte man erst einmal am Weg dorthin arbeiten. Drei Vorschläge zur Verbesserung:

1. Schafft mehr Zeit für die Grundlagen!

Neun Semester beträgt die Regelstudienzeit bis zum ersten Staatsexamen. Zwei davon verbringt man mit dem Schwerpunkt, einer ersten Spezialisierung, zwei weitere, das berüchtigte Repetitorium, mit der Vorbereitung aufs Examen. Nur die ersten vier bis fünf Semester sind je nach Uni dafür vorgesehen, den Stoff zu lernen, der dann auch im Staatsexamen geprüft wird. Examensrelevant sind Verfassungs- und Verwaltungsrecht, der Großteil des BGB, Strafrecht, Arbeitsrecht und Handelsrecht, um nur ein paar Gebiete zu nennen. Das sind Fragen wie "Kann A von B Geld verlangen, wenn B zwei Bullen des A, die diesem zuvor von C gestohlen worden waren, zu Würsten verarbeitet hat?", oder "Kann X bestraft werden, wenn er Y den Arm gebrochen hat, weil er dachte, dass dieser die Z erwürgen wollte, obwohl Y und Z nur einvernehmlichen, von 50-Shades-of-Grey inspirierten Sex hatten?" Und ja, das ist auch die Frage, ob ein Bundespräsident seine Unterschrift und damit die Verabschiedung eines Gesetzes verweigern kann, wenn er es für verfassungswidrig hält.

ist 24 Jahre alt, studiert im vierten Semester Jura an der Humboldt-Universität zu Berlin und ist freie Autorin für ZEIT ONLINE.

Es sind zu viele und zu komplexe Fragen, um die Antworten auf alle innerhalb von vier Semestern im Detail zu verstehen oder sich gar Lösungswege selbst herzuleiten. Kein Wunder, dass vieles stur auswendig gelernt und in den Klausuren heruntergebetet wird. Hat man die bestanden, folgt mit dem Schwerpunkt sofort das nächste Rechtsgebiet, das man sich erarbeiten und auf das man viel Zeit verwenden muss - schließlich geht der Schwerpunkt zu 30 Prozent in die Examensnote ein. Das meiste aus den ersten vier Semestern ist danach wieder vergessen. Auf den Schwerpunkt könnte man deshalb getrost verzichten.

So bliebe mehr Zeit: sowohl für das Verständnis des Pflichtstoffes als auch für die so vernachlässigten Grundlagenfächer wie Rechtsgeschichte, Rechtsphilosophie, Rechtssoziologie oder Methodenlehre. Dann könnte ein Examenskandidat vielleicht nicht nur die Frage nach der Strafbarkeit von X beantworten, sondern auch Stellung dazu nehmen, was eigentlich der Sinn von Strafe ist, ob der Justizvollzug seinem Resozialisierungsanspruch gerecht wird, oder ob der Mordparagraf noch zeitgemäß ist. Für Interessierte weiterhin Seminare in einzelnen Rechtsgebieten anzubieten, widerspricht dem natürlich nicht.

2. Gebt mehr Geld für uns aus!

Ein Jurastudent ist billig. 4.560 Euro gibt der Staat pro Jahr für ihn aus. Zum Vergleich: Naturwissenschaftler kosten im Durchschnitt 8.160 Euro, Mediziner sogar 26.070 Euro. Das ist in Ordnung, schließlich brauchen Jurastudenten keine teuren Labore oder Experimente. Nicht in Ordnung ist aber, dass die Vorbereitung auf den Uni-Abschluss im letzten Jahr nicht an der Uni, sondern bei privaten Repetitorien stattfindet. Kostenpunkt: 1.500 Euro aufwärts. Es stimmt zwar, dass dort keiner hingehen muss. Dennoch ist es scheinheilig, wenn Juraprofessoren über die unwissenschaftlichen Methoden der Repetitoren und das Geschäft mit der Angst lästern.

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