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Bad Tölz: Eine Leonhardifahrt aus dem Bilderbuch

Es ist schon fast zu kitschig, um wahr zu sein: Nach der zweijährigen Corona-Pause verläuft die Tölzer Leonhardifahrt am Montag dermaßen bilderbuchhaft, als hätte die Stadt sie so bestellen können. Der Himmel leuchtet weiß und blau, die Temperaturen fallen weder zu eisig noch zu warm aus, knapp 15 000 Zuschauer säumen den Weg der Traditionswallfahrt vom Kurviertel hinab zur Fußgängerzone, hinauf zum Kalvarienberg und wieder zurück durch die Marktstraße zur Mühlfeldkirche, und ja, auch Ministerpräsident Markus Söder ist gekommen, kein Gespannführer bringt seine Pferde zum Galoppieren, alles bleibt unfallfrei. Die Leonhardifahrt sei der Kitt, der die Gesellschaft in und um Bad Tölz zusammenhalte, resümiert Bürgermeister Ingo Mehner (CSU) hernach beim Empfang der Stadt im Pfarrheim Franzmühle. "Zwei Jahre lang hat man gemerkt, was passiert, wenn dieser Kitt fehlt."

Der Morgen oben am Kalvarienberg ist sonnig, aber frostig und dominiert von Vorfreude. Die ersten Gäste erklimmen den Kalvarienberg in Joppe und Jankern, die ambitionierteren über die Stiege vom Stadtzentrum, die gemütlicheren von der Austraße her über den Schotterweg, den später auch die Fuhrgespanne nehmen werden. Oben die erste Rast, der Blick schweift über die Alpen in der Ferne, die bewaldeten Waldhügel im Vordergrund und die Isarbrücke zu Füßen des Kalvarienberges. Dort auf der Brücke stehen die Menschen auch schon Spalier. Alles wartet, alte Bekannte treffen einander zum Plaudern, alles ist bereit.

71 Gespanne aus Bad Tölz und Bayern sind es in diesem Jahr, die die Trachtenvereine, Musikkapellen und den Stadtrat auf den Kalvarienberg ziehen, wo Stadtpfarrer Peter Demmelmair Vieh und Fuhrleute segnet. Die Zuspanner und Leonhardifahrer kennen das Prozedere bereits bestens, für einen anderen wird es eine Premiere sein: Markus Söder hat der Tölzer Wallfahrt zwar 2017 schon beigewohnt, nun aber erstmals als Ministerpräsident. Ein Grußwort von ihm gibt es aber wider Erwarten nicht, Aug und Ohr gehören allein dem Glockengeläut der Kalvarienbergkirche, den Schellen der feierlich geschmückten Rösser, den Rufen der Zuspanner und den Worten der Geistlichkeit. Um neun läuten die Glocken zum ersten Mal, unten in der Stadt fahren die Truhen- und Tafelwagen pünktlich los. Noch bevor der erste von ihnen den Kalvarienberg erreicht, ist Söder da, spaziert in grünem Lodenmantel mit seiner Entourage über den Kapellenvorplatz, schüttelt ein paar Hände, lässt sich fotografieren. Dann verschwindet er über die kleine Stiege Richtung Kalvarienbergkirche. "Der schaut sich jetzt unser schönes Oberland an", sagt eine Frau nebenan und blinzelt ihm hinterher.


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