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Materialität bei Anselm Kiefer

Glaube, Hoffnung, Liebe, emulsion, synthetic polymer paint, shellac on photodocument paper on linen canvas with lead construction by Anselm Kieffer, 1984-6, Art Gallery of New South Wales., aufgenommen 2011

Anselm Kiefer's Monumentalwerke spielen mit den Dimensionen Inhalt und Materialität, die ineinandergreifen und den Betrachter aktiv mit einbeziehen.

Der Prozess des Malens selbst wird auf der Oberfläche seiner Werke sichtbar. Dabei spielt die dominante Materialität der Bildmittel eine zentrale Rolle. Diese kann zur Hervorhebung von Sinneszusammenhängen genutzt werden. Genau diese Verbindung von Materialität und Bildinhalten ist interessant. In den Werken Anselm Kiefers wird die Materialität mitgezeigt. Indem er die Oberfläche eben nicht illusionistisch, sondern reliefartig gestaltet, entsteht auch der spezifisch morbide Charakter seiner Bilder. Oft dienen Anselm Kiefer dafür auch reale Fotografien als Vorlage.

In Anselm Kiefers Werk `Innenraum` von 1981 wird die NS-Architektur von Albert Speer als Bildmotiv aufgegriffen. Das Bild arbeitet auf zwei Ebenen, einerseits der Fluchtpunktperspektive und andererseits einer flächigen, schemenhaften, nicht naturalistischen Formgebung, der Materialität. Im ersten Fall wirkt das Bild eher illusionistisch und suggestiv durch seine strenge Konstruiertheit. Im anderen Fall scheint das Bild sich selbst auf der Leinwandoberfläche zu zersetzen und sich über die Grenzen des Illusionierten hinweg zu verselbstständigen. Die Gleichzeitigkeit beider Ebenen bewirkt eine Ruinierung des Vorbildes. Das Bild ruiniert sozusagen das Motiv, indem es sich selbst ruiniert. Ein Beispiel hierfür ist die Auflösung klarer Linien, die zu dem morbiden Charakter beiträgt. Dabei geht es nicht darum, das Bild als Ruine mimetisch dazustellen, sondern die Strategie des Bildes besteht darin, das Ruinieren des Bildes mit dem Ruinieren des Gebäudes (dem Motiv) zusammenfallen zu lassen. Das Bild arbeitet aus sich selbst heraus an seinem eigenen Zusammenbruch.

Das Bild `Nürnberg` von 1982 zeigt einen Acker mit der Silhouette einer Stadt im Hintergrund. Im rechten oberen Bildrand steht in schwer leserlicher Schrift `Nürnberg- Festspiel-Wiese`. Um dies zu entziffern, muss der Betrachter aktiv werden und Mühe und Zeit investieren - dasselbe gilt für die Realisierung des Bildmotivs. Der Betrachter kann es über Assoziation mit den Worten `Nürnberg` und ` Wiese` als Reichsgelände der NS-Zeit identifizieren. Das Bildmotiv entsteht nach einem ähnlichen Prinzip wie im Bild `Innenraum`. Durch einerseits aufgeklebtes Stroh bewirkt dessen Realpräsenz einen Flächeneffekt, der im Kontrast zu der räumlich-illusionistischen Bilderfahrung steht, die durch die Darstellung der Ackerfurchen hervorgerufen wird. Dabei interagiert die Realpräsenz (des Strohs) mit der Illusion des Feldpanoramas. Insgesamt arbeitet das Bild mit dem kollektiven Gedächtnis des Betrachters, wobei aber dessen Erinnerungsbilder durch die morbiden Kräfte, die in der Gemachtheit des Bildes existieren, in etwas anderes transformiert werden. Die Wirkung der Arbeiten Kiefers wird in der kunsthistorischen Rezeption kontrovers diskutiert. Findet bei ihm eine Verherrlichung des NS oder eine Dekonstruktion nationalsozialistischer Mythenbildung statt? Diese Kontroverse spiegelte sich auch in den Antworten wieder, die im Plenum aufkamen. Impliziert das Bild eine `Natürlichkeit` des NS? Oder überdauert die Natur auch `das Böse` und holt sich alles zurück? Was ist wirklicher, das reale Stroh oder die illusionistische Fluchtpunktperspektive und die Glorifizierung des Ortes? Das Bild als solches zersetzt sich, aber nicht die Erinnerungsbilder - das Bild als ´Sepia Postkarte´?

Das Bild `Varus` von 1976 referiert auf die historische Varusschlacht ( Schlacht um Teutoburger Wald oder Hermannsschlacht) im Jahre 9 n. Chr., bei der die römischen Truppen einem Germanenvolk unter der Führung Arminius (Hermann) unterlagen. Dargestellt auf dem Bild wird aber nicht die Schlacht und das Ereignis selbst, sondern lediglich ein leerer Waldweg.

Das Bild erzeugt keine Evidenz, sondern eine Prozessualität in und auf dem Bild - eine Auseinandersetzung mit dem Bild kann keine abschließende Entschlüsselung hervorbringen. Die Perspektive des Bildraumes - mit einer gewissen Sogwirkung - tritt in Konkurrenz mit den Blutflecken, die außerhalb der Perspektive auf der Bildfläche liegen wie Einstiche oder Wunden der Leinwand. Gleichzeitig destruieren und erläutern diese Blutflecken den Konstruktionsraum. Insgesamt wird die Differenz von Bildfeld und Bildwelt über die Materialität ausagiert. Die Blutflecken sowie die weißen Linien, die das Bild auf seiner Oberfläche durchziehen, haben dabei eine andere Beziehung zum Bildmotiv. Sie sind Teil eines Systems, das über das Bildmotiv gelegt wurde. Das Bild ist von einer Vielzahl von Namen überzogen. Varus ist hierbei der einzige Name, der in schwarz und in Druckschrift verfasst ist. Alle anderen Namen sind deutscher Herkunft und in weiß und Schreibschrift abgefasst und unterschiedlich groß geschrieben. Letztere haben keine konkrete Verbindung zu dem historischen Ereignis der Varusschlacht, rufen aber Größen der deutschen Geschichte auf, die für die nationalsozialistische Ideologie instrumentalisiert wurden. Insgesamt hält das Bild dazu an, einen Zusammenhang zwischen der Varusschlacht und den Personen, die im Bild genannt werden, herzustellen ( Z. B. Martin Heidegger, von Schlieffen, Klopstocks Gedicht etc. ). Gemeinsam ergeben sie in einer Art Schneeballsystem einen einzigen großen deutschen Mythos. Im Kontext des Bildes wird Arminius, der Bezwinger der Legionen des Varus zum deutschen `Hermann`, einer mythologisierten Symbolfigur und dementsprechend wird das historische Ausgangsereignis zum ersten Freiheitskampf des deutschen Volkes stilisiert. Auf einigen Umwegen (dem Netz der weißen Linien, die die Namen verbinden) kann sichtbar und verständlicher werden, wie letztlich der Vernichtungskrieg der Nationalsozialsten als pervertierte Fortsetzung des Mythos der Varusschlacht aufgefasst werden konnte. Hitler wird in diesem perfiden Gedankenkonstrukt zum ‚Vollender' der Mission, die Hermann begonnen hat.

Der Betrachter muss diesen von Kiefer nahegelegten Zusammenhang aktiv rekonstruieren, indem der hinter den Namen die Beteiligung der deutschen Elite am Wirksam-Werden des Herman(Arminius)-Mythos herausfinden muss. In diesem Durcharbeiten des Mythos erkennt er die Konstruiertheit des Mythos und kann ihm entgegen treten.

Die aktuelle Ausstellung von Anselm Kiefer ist noch bis zum 18. April 2016 in Paris zusehen.

http://de.france.fr/de/veranstaltung/anselm-kiefer-im-centre-pompidou-paris
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