Verena Fücker

freie Journalistin & Redakteurin, München

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Viele Unklarheiten zum Start | Corona-Ampel in Österreich vorgestellt

Screenshot: corona-ampel.gv.at

Einzigartig in Europa soll sie sein – die neue österreichische Corona-Ampel. Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) haben die Ampel in Wien offiziell vorgestellt. Kritik von Betroffenen ließ nicht lange auf sich warten.

Die Corona-Ampel soll vor allem der österreichischen Bevölkerung einen klaren Überblick über die aktuelle Gefahrenlage in ihrem Bezirk und Bundesland bieten. Ziel sei es, „landesweite Maßnahmen oder gar einen Lockdown zu verhindern,“ hatte Bundeskanzler Kurz bereits vor einigen Tagen bei seiner Rede zur aktuellen Corona-Lage erklärt.


Wie funktioniert die Corona-Ampel?

Angelehnt ist die Corona-Ampel an die Lawinenwarnstufen: Sie steht auf grün, gelb, orange oder rot. Das ändert sich je nach Gefahrenlage. Mindestens einmal pro Woche soll die Ampel neu eingestellt werden – und zwar für jeden österreichischen Bezirk einzeln.

Welche Farbe im jeweiligen Bezirk ausgerufen wird, hängt von vier Faktoren ab:

  • Die durchschnittliche Ansteckungszahl pro 100.000 Einwohnern in den letzten sieben Tagen
  • Die Kapazitäten der Krankenhäuser
  • Die Anzahl der positiven Tests im Verhältnis zur Gesamtzahl der Tests
  • Ob die Quelle einer Corona-Infektion zurückverfolgt werden kann

Eine Kommission aus Experten sowie Vertretern des Bundes und der Länder analysiert jeden Donnerstag die Lage und gibt dann für jeden Bezirk eine Empfehlung der Farbwahl ab. Danach entscheiden Bund und Länder, ob sich die Ampelfarbe ändert und welche Maßnahmen das jeweils genau nach sich zieht.

Die Ampel-Regelungen gelten voraussichtlich ab 1. Oktober 2020. Vorher muss der Nationalrat aber noch einem entsprechenden Covid-Maßnahmengesetz zustimmen. Bis dahin darf die Bundesregierung zwar zum Beispiel schon die Maskenpflicht ausweiten – viele weitere Maßnahmen aus dem Corona-Ampel-Paket gelten jedoch nur als Empfehlungen.


Welche Maßnahmen gibt es?

Das hängt von der Ampel-Farbe ab. Bei Grün dürfen an Veranstaltungen in geschlossenen Räumen und mit zugewiesenen Sitzplätzen 5.000 Menschen teilnehmen.

 

Ändert sich die Ampel auf Gelb, müssen beispielweise Kellnerinnen und Kellner einen Mund-Nase-Schutz tragen. Bei Sportveranstaltungen sollen nur noch 5.000 Zuschauer zugelassen werden – bei Grün wären dagegen 10.000 Zuschauer erlaubt. Bei Veranstaltungen ohne feste Plätze in Räumen oder im Freien sind maximal 100 Personen erlaubt. Das betrifft auch zahlreiche Veranstaltungen und Messen. Laut der Stadt Wien haben Veranstalter aktuell keine Planungssicherheit für ihre Events. Im Büro von Wirtschaftsstadtrat Peter Hanke (SPÖ) ist laut österreichischer Presseagentur APA von weiterer unnötiger Verunsicherung bei Messe- und Kongressveranstaltungen die Rede.

 

Steht die Ampel auf Orange, dann wird zum Beispiel die Sperrstunde von 1 auf 0 Uhr vorverlegt. An Veranstaltungen in geschlossenen Räumen und mit zugewiesenen Sitzplätzen dürfen dann nur noch maximal 250 Menschen teilnehmen. Sportarten, bei denen es zu Körperkontakt kommt, dürfen nicht mehr ausgeübt werden. Restaurants sollen dann auch die Kontaktdaten ihrer Gäste erheben.

 

Sollte die Ampel auf Rot stehen, soll es laut Bundeskanzler Kurz und Gesundheitsminister Anschober keinen Lockdown geben. De facto sind dann aber Veranstaltungen aller Art verboten, die Sperrstunde gilt bereits um 23 Uhr. Für Krankenhäuser, Reha-Anstalten und Altenheime gibt es ein Besuchsverbot. Fitnesscenter und Freizeiteinrichtungen müssten schließen. Sport im Freien ist nur alleine oder mit Mitgliedern des eigenen Haushalts erlaubt.


Auf welchen Ampelfarben stehen die Bezirke in Österreich?

Das lässt sich auf der eigens eingerichteten Webseite nachschauen. Aktuell wurde ganz Österreich als Grün eingestuft – mit Ausnahme der Städte Wien, Linz und Graz sowie des Bezirks Kufstein. Dort gilt Gelb.

Auch sechs weitere Bezirke stehen wohl kurz davor, von Grün auf Gelb heruntergestuft zu werden.


Welche Reaktionen gibt es auf die Ampel?

Klaus Luger, Bürgermeister der Stadt Linz (SPÖ) sagt, er sei entsetzt, dass seine Stadt nur Gelb gewertet wurde und nicht Grün. „Das erweckt den Eindruck der Willkürlichkeit und es ist auch von den Fakten nicht nachvollziehbar, dass Linz Gelb ist“, erklärte er im ORF. Linz habe in der vergangenen Woche massive Rückgänge der Corona-Fälle erzielt. Bei über 200.000 Einwohner gäbe es in seiner Stadt „exakt 59 erkrankte Menschen“. Luger will deswegen die Corona-Maßnahmen nicht weiter verschärfen.


Der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) war nicht überrascht, dass seine Stadt Gelb eingestuft wurde. Allerdings sagte er dem ORF: „Was mir abgeht, ist die Transparenz. Dass nicht ganz klar ist, nach welchen Kriterien diese Veränderungen der Ampelfarben zu erzielen sind. Und die Frage der Auswirkungen: Es ist jetzt ein Teil der Maßnahmen bekannt, die damit verbunden sind. Es gibt aber noch keinen gesetzlichen Rahmen.“


Dass trotz der Vorstellung des Maßnahmenkatalogs immer noch nicht klar ist, was er jetzt bedeutet, kritisiert auch Barbara Prainsack, Leiterin des Instituts für Politikwissenschaften der Uni Wien: „Für die einzelnen Menschen könnte die Ampel die Unsicherheit erhöhen, weil wenn bei Orange, Gelb und Rot nicht wirklich klar ist, was ich dann als Lehrerin, als Mutter, Vater oder als älterer Mensch dann tu. Und wenn es hier dann keine klaren Hilfestellungen gibt, glaube ich, wird das Unruhe in die Bevölkerung bringen und wird Radikalisierung auch in Richtung der so genannten Verschwörungstheorien Vorschub leisten.“


Medizinisch gesehen ist die österreichische Corona-Ampel aber sinnvoll, sagt Michael Kunze, Professor für Sozialmedizin an der Medizinischen Universität Wien. Anders als in Deutschland, denn dort schauen sich Experten nur die akuten Fallzahlen an, um zu entscheiden, wie hoch die Corona-Gefahr in einer Region ist: „Das Bild ist (dabei) nicht so exakt: Was spielt sich in der Region ab? Kann das Gesundheitswesen das bewältigen? Oder kann’s das nicht bewältigen? Es kann ja so sein, dass das Bundesland A viel besser aufgestellt ist als das Bundesland B, weil im Krankenhaus viele Kapazitäten sind.“

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