Verena Carl

Journalistin und Autorin, Hamburg

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Artikel

Kinderwunsch: Der Traum von Huckepack

Je mehr seine Verzweiflung wuchs, desto abwegiger wurden die Auswege, über die Michael* nachsann. Natürlich weiß er, dass es in Deutschland illegal wäre, Frauen dafür zu bezahlen, eine Schwangerschaft für ein Paar auszutragen. Erkundigt hat er sich trotzdem, bei einem Unternehmen in den USA und einem in Osteuropa. Er hat dann schnell wieder davon abgesehen, er will ja nichts Kriminelles, niemandem schaden. Er wünscht sich nur so sehr ein Kind. Aber Michael ist 37 Jahre alt und hat kein Kind. Eines Tages hat er im Streit zu seiner Partnerin gesagt: "Was, wenn ich eines Tages vor dir stünde, mit einem Baby? Wenn ich dich einfach vor vollendete Tatsachen stellen würde?"

Er hat versucht, sich eine Zukunft ohne Nachwuchs vorzustellen, sagt er, "aber da wird es in meinem Kopf zappenduster". Malt er sich ein Leben als Vater aus, hat er dagegen Kino im Kopf: Ausflüge, gemeinsam malen, basteln, Fragen beantworten, die Welt erklären. Schöne, helle Bilder, die heil machen könnten, was er mit sich herumträgt: Erinnerungen an eine schwierige Kindheit, mit einer Mutter, die eines Tages ging, und einem Vater, der gebrochen zurückblieb. Er wollte es anders machen. Das wusste er schon mit 13.

Trifft man Michael im Park einer Großstadt ist der erste Eindruck: Da kommt ein freundlicher Mann. Nicht groß, nicht breit, eher leise. Die Worte rollen in weichem Dialekt von seinen Lippen. Seine Sätze beginnt er häufig mit "man" statt mit "ich" - gerade dann, wenn es im Gespräch emotional wird. Er könnte gut einer von jenen sein, die zur selben Zeit mit einem Baby im Tragetuch zwischen Krokussen und Schneeglöckchen spazieren gehen oder einem Kleinkind auf dem Laufrad hinterhereilen. Die Rolle würde zu ihm passen. Einmal war er sogar ganz nah dran.

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"Nachdem ich meine Lebensgefährtin kennengelernt habe, bin ich immer davon ausgegangen, dass wir eines Tages Kinder haben werden. Sie ist der totale Familienmensch, hat ein inniges Verhältnis zu ihren eigenen Eltern, schon eine Mahlzeit allein ist ihr zuwider." Als die Pläne für beide mit Mitte 30 schließlich konkreter wurden, so erzählt Michael es heute, war seine Partnerin sich plötzlich nicht mehr so sicher: Was würde eine Schwangerschaft mit ihrem Körper machen, was die Mutterschaft mit ihren beruflichen Plänen? Am Ende rang sie sich dennoch durch - ein wenig wohl auch ihm zuliebe. Er sagt, er wäre bereit gewesen, alles zu übernehmen: den Großteil der Elternzeit, nachts für das Baby aufstehen. Als 35-Jähriger wollte er Ernst machen mit neuen Rollenverteilungen.

Aber dazu kam es nicht. Statt einer Zeit der Hoffnung und Vorfreude war die Schwangerschaft ein Horror. Zu Beginn litt Michaels Partnerin unter extremer Übelkeit, dann, im vierten Schwangerschaftsmonat, kam das Kind tot zur Welt. "Ich habe noch selten im Leben so geweint", sagt Michael. Das Nachhausekommen aus dem Krankenhaus fühlte sich an wie eine grausame Parodie auf das, was er sich ausgemalt hatte: statt mit einem lebendigen Baby im Arm mit dem toten, kleinen Körper in einer verschlossenen, herzförmigen Spanschachtel, die sie schließlich dem Bestatter übergaben. Übrig blieben nur eine Geburts- und Sterbeurkunde mit dem Namen, den sie sich für ihren Sohn ausgesucht hatten, ein winziges Mützchen und ein taubes Gefühl.

Für seine Trauer, seinen Schmerz, seine inneren Kämpfe war danach nur wenig Platz, so hat Michael es empfunden. "Ich hatte so sehr versucht, für meine Partnerin da zu sein in dieser schweren Zeit. Alles getragen, alles organisiert, mitgedacht, als sie nicht dazu in der Lage war. Aber als es passiert war, fragte kaum jemand danach, wie es mir geht, die Freunde, die Kollegen. Nur danach, wie sie es verarbeitet. Als beträfe mich das gar nicht."

Die größere Ferne zwischen Vater und Kind

Es ist ein Paradox. Um ein Kind zu bekommen, braucht es zwei Personen, wenigstens ihre Keimzellen. Doch sobald es um Fruchtbarkeit, Schwangerschaft und Geburt geht, steht der Frauenkörper im Vordergrund. Naheliegend, denn die Gesundheit der Mutter, ihr Wohlergehen und auch Lebensplanung sind noch immer stärker mit einem Kind verknüpft als bei Männern, biologisch wie sozial, ob es einem gefällt oder nicht. Männer können Frauen nicht zwingen, schwanger zu werden oder es zu bleiben. Dafür können sie sich später leichter der Verantwortung entziehen. Frauen können dagegen zumindest beeinflussen, ob, wann und von wem sie ein Baby bekommen. Wenn sie Single sind oder in einer lesbischen Beziehung leben und einen unerfüllten Kinderwunsch haben, können sie die Hilfe einer entsprechenden Klinik in Anspruch nehmen. Männer haben diese Option nicht.

Die größere Ferne zwischen Vater und Kind schlägt sich sogar in der Statistik nieder. Während man recht genau weiß, ob eine Frau Kinder hat und wie viele, sind Erhebungen wie der amtliche Mikrozensus für Männer nur bedingt aussagekräftig. Erhoben wird zwar die Anzahl von minderjährigen Kindern pro Haushalt, nicht aber die familiäre Verbindung zu den Erwachsenen. So fallen Väter durchs Raster, die von ihren Kindern und der Mutter getrennt leben, und Väter, deren Vaterschaft beim Kind nicht eingetragen wurde. Das Berliner Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB) geht davon aus, dass etwa jeder fünfte Mann in seinem Leben nicht Vater wird.

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