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Netzkonzerne kommen nicht nach: Putins Propaganda läuft und läuft

Der russische Machthaber Wladimir Putin. Bild: Sputnik/AP.

Twitter sperrt russische Staatsmedien mit Erfolg, TikTok geht nur zögernd gegen die Kriegspropaganda vor. Auch bei Facebook und Youtube hapert es. Warum gelingt es den Tech-Giganten nicht, Putins Informationskrieg auf ihren Plattformen einzudämmen?

Sie sprechen vom Triumph des russischen Bären. Vom russischen Bären, der Onkel Sam besiege und die Ukraine von Neonazis be­freie. Es wird behauptet, die Sanktionen gegen Russland führten zu einer globalen Hungersnot. Auf Facebook bittet eine Nutzerin Putin, die „Unterdrückung" durch westliche Staaten zu beenden und die Vereinigten Staaten sowie Europa zu zerstören, um eine „ge­rechtere Welt" zu schaffen.

Solche Aussagen sollten auf Facebook oder anderen Plattformen nicht mehr zu finden sein - zumindest nicht im Raum der Europä­ischen Union. Anfang März verhängte die EU Sanktionen gegen russische Staatsmedien und Kreml-Propagandisten, die Desinformation zum russischen Angriffskrieg auf die Ukraine verbreiten. Nach Analysen des „Disinformation Situation Centers", das zu Beginn des Krieges von mehreren zivilgesellschaftlichen Organisationen ge­gründet wurde, zeigen die Sanktionen Wirkung, doch nicht alle Plattformen setzen die gesetzlichen Vorgaben gleichermaßen um. Twitter konnte die Reichweite der Putin-Kanäle deutlich begrenzen, Tiktok nimmt seine Aufgabe dagegen nicht so ernst und gab kürzlich gesperrte Kanäle russischer Staatsmedien wieder frei. Auch Facebook und Youtube kommen ihren Verpflichtungen nicht vollends nach.

Der Kopf der russischen Hydra

Youtube hat nach eigenen Angaben bereits mehr als 9.000 Kanäle und 70.000 Videos, die Desinformation zum Krieg in der Ukraine verbreiten, gelöscht. Auch die Ka­näle der russischen Staatsmedien Russia Today und Sputnik sind in Ländern der EU nicht mehr verfügbar. Das Problem: Wenn ein reichweitenstarker Kanal geschlossen wird, schießen gleich mehrere kleinere Ka­näle mit ähnlichen Inhalten aus dem Bo­den. Die russische Hydra zeigt sich widerstandsfähig. Von 78 russischsprachigen Pro­pagandakanälen waren nach Angaben des „Disinformation Situation Centers“ Mitte Mai noch 50 abrufbar. Nur 36 Prozent der Propagandakanäle wurden gesperrt. Der Rest glorifiziert weiterhin Machthaber Putin, denunziert die Ukraine als „Nazistaat“ und ruft sogar zu Gewalt gegen Ukrainer auf.

Ein Großteil der Kanäle konnte in den letzten Wochen einen hohen Abonnentenzuwachs verzeichnen, die Gefolgschaft ei­nes einzigen Kanals wuchs um fast eine halbe Million Abonnenten. Die Bilanz: Propaganda ist Fließbandarbeit. So erzielen die 50 noch verfüg­baren, aber deutlich kleineren Kanäle mit 6,3 Milliarden Aufrufen fast eine gleich ho­he Reichweite wie die 28 gesperrten Kanäle. Mit insgesamt 93.000 veröffentlichten Videos beläuft sich ihr Output jedoch auf das Doppelte. Wieso Youtube einen solchen Zuwachs nicht bemerkt, bleibt fraglich. Auf Anfrage dieser Zeitung kündigte Youtube an, die betroffenen Kanäle zu überprüfen.

Weitere Analysen des „Disinformation Situation Centers“ enthüllen auch bei Facebook Defizite. Die gemeinnützige Initiative untersuchte Beiträge zum „Tag des Sieges“ am 9. Mai, der alljährlich Russlands Sieg über NS-Deutschland feiert. 36 der 110 reichweitenstärksten Beiträge verbreiteten die Propaganda des Kremls und wurden fast 50 Millionen Mal ge­teilt. In 18 Fällen wurde die russische In­vasion in der Ukraine befürwortet – das „Z“-Symbol und Nazivergleiche inklusive. Mit diesen Ergebnissen konfrontiert, verweist Facebook auf allgemeine Bemühungen, Beiträge russischer Staatsmedien als solche zu kennzeichnen und einzuschränken, was auch durchaus geschieht. Doch privat betriebene Fanseiten trifft das nicht. Russland selbst weicht einfach auf die Kanäle offizieller Auslandsvertretungen aus, die in der EU nicht sanktioniert werden und nun Putins Kriegspropaganda verbreiten. Die Followerzahlen besagter Kanäle sind seit Jahresbeginn um 21 Prozent gestiegen. Desinformation zum Krieg, die nicht von russischen Staatsmedien verbreitet wird, bleibt in Facebooks Statement un­erwähnt. Hier heißt es lediglich: „Wir entfernen Inhalte, die gegen unsere Richt­linien verstoßen.“

Taktikwechsel bei Putins Informationskrieg

Felix Kartte von der Tech-Initiative RESET, die das „Disinformation Situation Center“ gemeinsam mit der Alfred Landecker Stiftung gegründet hat, hebt vor al­lem die Problematik der vielen Dritt­accounts hervor, die das Material russischer Staatskanäle weiterverwerten: „Die russische Propagandamaschine hat ihre Tak­tik gewechselt, weg von den zentralen reichweitenstarken Propagandakanälen hin zu einem dezentralen Ansatz mit hunderttausenden sogenannten ‚Sockenpuppen-Accounts‘, die nun prorussische Propaganda verbreiten.“ Dass die Content-Moderation von Facebook und anderen Netzwerken eine solche Flut an Kanälen nicht bewältigen kann, sei „ein großes Investitionsproblem“. In den vergangenen Jahren sei zu wenig in KI-Systeme und Bilderkennungstechnologien in­vestiert worden, die zur Moderation von In­­halten eigentlich gebraucht würden, so Kartte.

Ein Grund für die fehlenden Investi­tionen sei schlicht und einfach die beherrschende Marktposition von Facebook: „Wir beobachten immer wieder, dass die Community-Richtlinien oftmals leere Ver­sprechungen sind, vor allem in all den nicht-prioritären Märkten außerhalb der USA. Wir haben mit der Organisation HateAid im letzten Jahr eine Studie zur Bundestagswahl durchgeführt, bei der Facebook 33 Prozent an rechtswidrigen Inhalten, wie zum Beispiel Hassrede, nicht moderiert hat.“


Die EU will stärker regulieren

Eine mögliche Lösung hält das neue Digitalgesetz der EU, der Digital Services Act (DSA), bereit. Der solle die Plattformen verpflichten, transparenter mit ihren Da­ten um- und stärker gegen Desinformation vorzugehen, so Felix Kartte: „Es ist wichtig, dass eine Regulierungsbehörde einen Mindeststandard setzen kann, welche Ressourcen Plattformen einsetzen müssen, um die gesetzlichen Vorgaben und die eigenen Community-Richtlinien auch wirklich gewissenhaft umzusetzen.“

Im Augenblick, das zeigt der Befund des „Disinformation Situation Centers“, reichen Kapazitäten und Aufmerksamkeit der Plattformen bei Weitem nicht aus, um der russischen Kriegspropaganda wirklich etwas entgegenzusetzen. Ob das neue Digitalgesetz für mehr rechtsstaatliche Kraft gegen Kriegshetze und Nationalhass bietet, ist noch nicht abzusehen. Der offizielle Text des vor Wochen von der EU als Meilenstein ge­feierten Gesetzes liegt immer noch nicht vor.

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