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Betreutes Online-Trinken | Forum - Das Wochenmagazin

Jeanine Rupp moderiert das Online-Weintasting in der Kreuzberger Weinhandlung "Suff". Foto: Ute Schirmack

Der eigene Wein ist zu Hause einzuschenken und zu trinken, besprochen wird er aber in geselliger Runde am Bildschirm. Jeanine Rupp von der „Weinhandlung Suff" zeigt, wie eine Online-Weinverkostung trotz der Distanz zum informativen Vergnügen wird.

Jeanine Rupp und Michael Trübe haben es sich an ihren Rechnern in der „Weinhandlung Suff" bequem gemacht. Die Veranstaltungsleiterin hinter der Acryl-Trennscheibe im Verkaufsraum, der Mitarbeiter am Schreibtisch im Büro. Jeder hat ein Glas vom gut gekühlten Chardonnay aus dem Hause Schroth vor sich. Ein letzter interner Test von Ton- und Bildqualität via Web. Schon trudeln kurz vor 19 Uhr die ersten Gäste über eine Webinar-Software ein. Die Klassiker-Dialoge zur Suche nach dem Ein- und Ausschalten von Mikro und Kamera laufen erfolgreich ab. Das zweite interaktive Online-Weintasting der Weinhandlung beginnt.


Die Kreuzberger Oranienstraße funkt an diesem Samstagabend in die weintrinkende Online-Welt: Neun Teilnehmerinnen und Teilnehmer haben sich zur anderthalbstündigen Verkostung angemeldet. Sie haben zehn Euro überwiesen, „Aromaräder" für roten und weißen Wein heruntergeladen. Jeder hält einen eigenen Weiß- und einen Rotwein parat. Nach den Spielregeln zum Schwenken, Schnuppern und Verkosten von Jeanine Rupp stellt jeder seine Weine vor. „Es ist doch spannend, was die Leute trinken", sagt die studierte Fachfrau für internationale Weinwirtschaft. Eine bestimmte Flasche müsse es keineswegs sein. „Ich kann den Teilnehmern dann etwas zu ihren Weinen sagen."


Es gibt weitere pragmatische Gründe, weshalb sie keine Online-Verkostungen mit Weinpaketen anbietet: Die Pakete kommen im Versand derzeit oft zu spät an. „Und bei drei Flaschen gefällt meistens eine sowieso nicht." Drittens, vielleicht am wichtigsten: „Ich will mit den Leuten sprechen, niemand stummschalten." Also keine Wein-Vorlesung über 90 Minuten, lieber ein Miteinander- und bisweilen wildes Durcheinander-Sprechen. Inklusive Knarzen, bis etwa Jupp in seinem Garten das durchgestrichene Mikro gefunden, sich selbst und vor allem seine Hintergrundgeräusche abgestellt hat.


Alle haben ihren ersten Weißen im Glas. „Schaut erst einmal hin, ob er eher gelb ist." Ist die Farbe ausgeprägt, hat der Wein „Sauerstoff gesehen". Die Oxidation kommt durch den Ausbau im Holzfass oder lange Reifung in der Flasche zustande. „Dann ist er würziger, cremiger." Ein Ausbau im Stahlfass dagegen ist ein Hinweis darauf, dass das Aroma eher in Richtung Frucht geht. Jeanine Rupp hält ihr Glas schräg vor das Kameraauge. Schwenkt es hin und her. Bögen werden sichtbar. „Nicht zu doll! Ihr müsst auf eure Rechner aufpassen!" Die Bögen geben Auskunft über die Viskosität des Weins, die durch Alkohol, Zucker oder Farbstoffe aus den Beerenschalen beeinflusst wird. Ein letzter Blick gilt dem Etikett. Der im Holzfass ausgebaute 2017er Chardonnay von Schroth hat 13,5 Volumenprozent. „Ganz schön viel für einen Weißen." Jetzt geht's ans Schmecken: „Mein Chardonnay ist sehr würzig. Er hat ein bisschen Rosmarin und Butter. Er schmeckt spürbar nach Alkohol. Mehr ist da erst mal nicht."


„Spannend, was die Leute trinken"

Jeanine Rupp ermutigt jeden, dem eigenen Geschmack zu trauen: „Erst frage ich nach der Nase und dem Mund vom Wein. Stimmt das, was ich rieche, mit dem Geschmack im Mund überein?", sagt sie. „Die zweite wichtige Frage ist: Schmeckt mir dieser Wein oder nicht? Das ist immer eine persönliche Angelegenheit." Steht der eine auf Mineral, liebt der andere die Säure. So ziemlich alles ist Geschmackssache. „Laien sind oft viel fantasievoller in der Beschreibung." Rupps Lieblingsweinbeschreibungen handeln etwa vom „Kamel, auf dem ich in Marokko durch die Wüste geritten bin" oder vom „G20-Gipfel, bei dem es nach verbranntem Gummi riecht".


Jupp ist mit einem 2019er „Grau Weiß Gut" von Julius Zotz aus Heitersheim, einer Cuvée von Grau- und Weißburgunder sowie Gutedel, dabei. „Der hat eine tolle Frucht in der Nase. Ich sag mal: Obstsalat. Wenn ich trinke, bin ich aber etwas enttäuscht. Er hat für mich keinen Abgang, keinen Schwanz." Auf der Zunge zeige der Wein eine kräftige Säure. „Aber dann ist er weg."


„Nimm mal ein bisschen Salz auf die Zunge", rät Jeanine Rupp. Salz neutralisiert die Säure. „Mit Salz wird er noch flacher", befindet Jupp. Jeanine Rupp lässt ihre Gäste in ihren „Einsteiger-Webinaren" gern an ihrem Weinwissen teilhaben. Wer informierter trinkt, kauft bewusster. So erfährt Teilnehmerin Kathrin, dass sie ein besonderes Schätzchen vor sich hat. Katrin stellt ihren Weißen von der Mosel vor - einen Auxerrois. Die autochthone, ursprünglich nur in Frankreich beheimatete Rebsorte wird an der Mosel kaum angebaut. 91 Prozent der Mosel-Weine sind Weiße, davon 60 Prozent Riesling und nur 0,2 Prozent Auxerrois. „Du wusstest gar nicht, was für eine Rarität du da im Glas hast", sagt Rupp. Kathrin ist von ihrer Wahl angetan: „Ein sehr guter Essensbegleiter."


In der Weinhandlung Suff mit ihren vier Filialen ist der Verkauf an die Großabnehmer aus der Gastronomie so wie bei allen anderen Händlern beinah komplett weggebrochen. Doch die Individual-Kunden strömen in die Geschäfte und bestellen online. „Man trinkt mehr und teurer", beobachtete Michael Trübe. Vor Corona wurden im Schnitt fünf bis acht Euro pro Flasche ausgegeben, jetzt sind es zehn bis 15. „Zehn Euro sind ganz normal", ergänzt Jeanine Rupp. Es fehle das Ausgehen, das Gläschen Wein mal hier, mal dort. „Man gönnt sich was und nimmt noch einen Champagner oder Wein mehr mit."


Der Onlineshop wurde erst in der Krise eröffnet 

„Suff" bietet seine Dienste auch in Kooperation mit dem „Kochu Karu" an. Bini Lee, Gastgeberin und Sommelière, organisierte das Ganze von Restaurant-Seite aus. José Miranda Morillo kocht seine spanisch-koreanischen Gerichte, die in der Oranienstraße zum Abholen bestellt werden können. Sie müssen zu Hause nur noch aufgewärmt werden. „Suff" hält passende Weine zum Dazukaufen vor Ort bereit. Einen Onlineshop hat die Weinhandlung ebenfalls: Dort sind die Anmeldungen für die nächsten virtuellen Verkostungen mit Jeanine Rupp am 9. und am 30. Mai buchbar. Eine Initiative für die Nachbarschaft wiederum ist das „SO36 Soli-Paket" mit einem Obstler und fünf Flaschen Wein. Zehn der 59,90 Euro je Paket gehen an den „SO36"-Club ein paar Häuser weiter. Wer kauft, trinkt mit für den Erhalt der Kreuzberger Kultur-Institution nach dem Lockdown.


„In Corona-Zeiten trinken die Leute mehr und teurer."

In der zweiten, der roten Runde des Webinars finden David und Christine heraus, dass sie mit ihrem „Sans Tralala" einen Naturwein aus Frankreich gekauft haben. Lea dagegen hat Pech mit einem biodynamischen Cabernet Franc von der Loire. „Ausgeprägte Bögen und in der Nase Leder", beschreibt Lea ihn. „Aber auch ein bisschen modrig oder muffig." Weitere Aromen ließen sich nicht recht erschmecken. „Riech mal am Korken. Riecht er nach altem Keller?", will Jeanine Rupp wissen. „Vielleicht hast du einen leichten Korkfehler. Kommt ein bestimmter Pilz mit dem Chlor vom Flaschenreinigen in Kontakt, gibt's leicht einen Korkschmecker."


Später kommt das Gespräch auf Öko-Siegel und die Gründe, warum Naturweine in Deutschland meist als „Landwein" etikettiert werden. Sie fallen meist durch das Raster der offiziellen Kategorien, „können aber durchaus 40 Euro pro Flasche kosten", weiß Rupp. Die Winzer setzen auf aufwendige Handarbeit. Sie verzichten auf Fungizide, Pestizide und Herbizide. Trübstoffe werden nicht herausgefiltert, es wird nur minimal geschwefelt. Kriterien, die im „normalen" Weinbau keine so große Rolle spielen.


Michael Trübe schenkt seine Naturwein-Wahl, einen 2018er Pinot Noir von Enderle & Moll, ein. Der Wein fließt beinah bräunlich rot, aber dennoch transparent ins Glas. Er entfaltet sein Potenzial leicht gekühlt am besten. „Die Leute vergessen immer, dass sich das mit der Zimmertemperatur beim Rotwein auf Zeiten bezog, in denen die Häuser kaum geheizt wurden. Damit sind nicht 22 Grad gemeint." Er schwärmt vom „leicht Gemüsigen" des „Einsteigerweines" der beiden Winzer: „Ich muss mich beherrschen, ihn nicht gleich auszutrinken."


Das sind die Tücken des Online-Trinkens: Wer allein oder zu zweit ein, zwei gute Flaschen vor sich hat, braucht unbedingt passende Snacks vor dem Monitor dazu. Sonst hat er ganz schnell denselben entrückten Gesichtsausdruck wie die heilige Maria, die als große Statue im Schaufenster über die Online-Mittrinker, die Weinhandlung und die Passanten auf der Oranienstraße wacht.

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