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Klein-Sizilien im Scheunenviertel | Forum - Das Wochenmagazin

Ein Sizilianer kann einfach nicht ohne: Fabio Adesso lässt sich für das "Lekkamokka" seine eigenen Pistazien-Pasten herstellen. Foto: Ute Schirmack

Espresso, Eis und Dolci - was braucht der Mitte-Berliner mehr, um gut durch seinen Tag zu kommen? Vielleicht Pistazien, herzhafte Teigtaschen und sizilianische Weltläufigkeit. Das alles gibt's bei Fabio Adesso im „Lekkamokka" an einem Ort.

Fabio Adesso hat eine Mission zu erfüllen. Er muss die italienische Lebensart der Berliner verfeinern. Denn trotz jahrzehntelanger kulinarischer Sozialisation mit Espresso, Pizza, Pasta, Eis und Co gilt es, mit dem „Lekkamokka" an den Feinheiten zu arbeiten. Eines hat er bereits erledigt: „Es hat drei Jahre gebraucht, bis sich die Berliner an Eis in Brioche gewöhnt hatten." Der Sizilianer widmet sich solchen Aufgaben gründlich. „Ich habe Tutorials gedreht, wie man die Eis-Brioche richtig isst und sie auf Instagram gestellt." Merke: Wie einen Burger, nicht wie eine Bratwurst! Mit beiden Händen zusammendrücken, hineinbeißen, zusammen verzehren. Auf gar keinen Fall Fior-di-Latte-, Pistazien- oder Blaubeer-Minze-Eis separat herauslöffeln. „Dann steht man hinterher da und fragt sich: Was soll ich jetzt mit dem Brötchen? Das bringt ja nichts." Ob es beim herzhaften Zubeißen, ganz berlinerisch, wie aus einem Döner heraustropft? 


Eine Eis-Brioche ist eher eine Komplettmahlzeit als ein Snack. Wer's gemäßigter und knackiger um die Kugel herum mag, kann auf die bewährten Hörnchen zurückgreifen, die in transparenten Zylindern an der Wand hängen. Der italienische Feinschmeckerfotograf und ich testen in noch kleineren Einheiten: ein Löffelchen Pistazie, ein Löffelchen „Bacio" - Haselnuss und Schokolade - und ein Löffelchen „Etna". Der sizilianische Inselvulkan in Eisform ist eigentlich eine verwunschene Cassata. Kluger Move von Adesso, stattdessen auf Feuer und Lava, Büffelmilch-Ricotta, Mandelpaste, Schokostückchen, Orangen- und Zitronenzesten zu setzen. So ist jede Verwechslung mit vorkonfektionierten Industrieprodukten und groben, künstlich schmeckenden kandierten Früchten ausgeschlossen. Der „Etna" schmilzt uns in den Mund hinein, die Zitrusfrüchte harmonieren perfekt mit dem Mandeligen. Ein großes „Hachz" für diese Sorte!


Der Feinschmeckerfotograf und Fabio Adesso geraten über Ricotta-Sorten ins Philosophieren. Schafsmilch-Ricotta ist normalerweise Grundbestandteil der Cannoli-Füllung, aber sehr schwer in Berlin zu bekommen. Adesso hat ihn für sein Gebäck durch Ricotta aus Büffelmilch ersetzt: „Die Creme wird so noch geschmeidiger. Den Ricotta importiere ich aus Italien." Das Ganze ist wenig süß, lässt den frittierten Teigrollen und dem Pistazienhack den Vortritt, ohne je betont gesund zu wirken. Eine gelungene Variante! 


Mit den Cannoli hatte Adesso bei der Eröffnung im März 2013 einen Startvorteil: „Die waren bekannt und die Gäste sofort angetan." Die Rohlinge im Miniatur- oder Großformat stehen in Glasbehältern auf dem Verkaufstresen. Gefüllt werden sie immer erst nach der Bestellung. Knusper und Creme bleiben bis kurz vor dem Hineinbeißen voneinander getrennt. Wer viele Cannoli für Zuhause kauft, bekommt die drei Komponenten getrennt eingepackt: Rollen, Creme im Spritzbeutel und vorgehackte Pistazien. „Auch für die Show. Dann kann man selbst ein bisschen Pastry-Chef spielen."


Im Lekkamokka wird die gute alte Caffè-Schule zelebriert

Kurz vor der Laden-Öffnung hat sich Adesso einen Espresso „No. 5" gemacht. Der kommt als Treibstoff und Jungbrunnen in einer harmonisch-weichen Röstung ins Tässchen. „Mein Kaffee hält mich am Laufen", sagt er. Ich bleibe beim Cappuccino bei der durchsetzungsstärkeren „No. 3" aus 80 Prozent Arabica- und 20 Prozent Robusta-Bohnen. Im „Lekkamokka" wird die gute, alte italienische Caffè-Schule zelebriert, nach der beinah schokoladendicke, krawummsige Mischungen durch den Siebträger gejagt werden. Säure-, Frucht-, Dripping-, Cold-Brew und Sommelier-Vorträge haben bei Adesso nichts zu suchen. „Ich mache keinen Third-Wave-Coffee. Das hier ist Kaffee, kein Wein!" Obwohl er selbst jahrelang im „Coffee Business" tätig war, lässt er seine Röstungen von einem befreundeten sizilianischen Familienunternehmen herstellen: „Ich sehe zu, alles selbst zu machen. Bis auf das, was andere besser können." 


In der kleinen Bar gibt es das volle Programm - Eis, Espresso, Süßigkeiten und Calzoni -, aber derzeit lediglich zum Heraustragen. Barhocker finden nach einem kleinen Umbau und den Hygiene-Auflagen im winzigen Inneren keinen Platz mehr. Auf der Spitze des dreieckigen Platzes an der Rosenthaler Straße bespielt das „Lekkamokka" aber eine Terrasse, auf der die Abstände eingehalten werden können. Kaum ist Adessos eigener Kaffee in der Tasse, betreten Gäste den Laden. So will es das „Lekkamokka"-Gesetz. „In den vergangenen sieben Jahren ist es mir nicht gelungen, meinen Espresso auf einmal auszutrinken", kokettiert er.


Ein Mann und ein Mädchen kommen herein, treten vor den Eiswagen und wählen aus den Creme- und Fruchteis-Sorten, die Adesso im hinteren Raum selbst herstellt. 14 Sorten von „Caffè Mokka" über „Black Lemon" bis „Matcha Tee" stehen auf der Wandtafel. Sie können im Hörnchen, Becher oder in einer Brioche versenkt oder als „Afogato" in ein bis zwei Shots Espresso „ertränkt" werden. In der „Relax"-Variante gibt's noch einen Baileys obenauf. 


Am Mittag ist Kaffee- und Eis-Zeit pur. Selbst wenn die Rosenthaler Straße und das Scheunenviertel wochentags derzeit so wenig belebt sind wie eine durchschnittliche Kleinstadt-Fußgängerzone, hält Adesso mit Bohnenheißgetränk und Gelato seit vier Wochen dagegen. Eineinhalb Monate lang war das „Lekkamokka" zuvor geschlossen. „Die Leute aus den Büros sind im Homeoffice, die Hotels zu, und die Mütter mit ihren Schul- oder Kita-Kindern kommen kaum vorbei." Ein Gutteil der Kundschaft fiel weg, doch langsam belebe sich das Geschäft wieder, sagt Adesso. „Ich wollte auch nicht mehr zu Hause sitzen." Lieber etwas machen, andere Ideen entwickeln und schauen, was geht. Deshalb gibt's jetzt ganz neu herzhafte „Calzoni Siciliani". Die auf-die-Hand-tauglichen kleinen Geschwister der großen Klapppizza kommen frisch gebacken und in vielen Varianten in die Auslage. Brokkoli-Öhrchen, Spinathügel oder Tomatenkleckse am einen Ende des Halbmondes weisen auf die Füllungen hin. „Meine Gäste haben nach Herzhaftem gefragt. Das habe ich jetzt umgesetzt." Ich beiße in eine Pizzatasche mit Tomate, Mozzarella und Schinken. Das ist klassisches Bella Italia, ein schöner Mittagssnack. Ist der Strand vielleicht doch gleich vor der Tür? Ob die Salciccia in der Brokkoli-Calzone mit Fenchel sei, will der Feinschmeckerfotograf wissen.


Sizilianische Küche aufs Feinste veredelt

„Ohne!" Denn der fällt bei Fabio Adesso in die Kategorie „Mag ich selbst nicht". Was dem Chef nicht mundet, verkauft er nicht. Mit jahrzehntelanger Gastronomie- und Food-Business-Erfahrung weiß er, was bei seinen Gästen ankommt. Das bewies der weitgereiste Sizilianer, der „zu alt ist, um sich an sein Alter zu erinnern", schon in Metropolen, in denen er lebte, etwa Kopenhagen, Barcelona, Helsinki und New York. Was er besonders mag und was aus Sizilien kommt, lässt er gern fürs „Lekkamokka" herstellen. Das Pesto und die Crema aus sizilianischen Pistazien etwa. Nur Pistazien, Olivenöl, Salz und Pfeffer stecken in der herzhaften Version, satte 40 Prozent Pistazien, Zucker, Sonnenblumen- und Kokosöl sowie Kakaobutter in der süßen Crema. Die Pistazien von Bronte, das „grüne Gold" der Provinz Catania, sind aromatische Steinfrüchtchen mit Knack, die vom Cannolo bis zur Pasta, vom Eis bis zum Keks so ziemlich jedes sizilianische Essen veredeln. Versteht sich, dass Adesso auch den typisch italienischen, minifußballartigen Mandelkeks in Pistazienversion optimiert hat: Eine feine, ganz eben bissige und mit Puderzucker bestäubte Kruste umhüllt das weiche Innere. Bühne frei für die sizilianische Pistazie, die sich zartgrün, pur und vollmundig zum Caffè entfalten darf!


Nach gut sieben Jahren in Mitte ist die kulinarische Aufklärungs- und Bildungsarbeit weit vorangeschritten. Für die kommenden Monate hat sich Fabio Adesso ein neues Italianisierungsprojekt vorgenommen: Eis in der Thermobox für Zuhause. Denn das „Lekkamokka"-Eis wird ganzjährig frisch und auch in größeren Einheiten als Take-away verkauft. „Das wissen bislang nur Italiener und Spanier. Jetzt muss ich die Deutschen daran gewöhnen, dass man Eis das ganze Jahr über mit nach Hause nehmen kann."

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