Dr. Ulrike Gebhardt

Freie Wissenschaftsjournalistin, RiffReporterin, Hildesheim

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Moderne Krebsmittel: Sie haben auch eine Schattenseite

Bei einigen Patienten bewirkt die sogenannte Checkpoint-Immuntherapie Erstaunliches. Mit zunehmender Verwendung der Medikamente häufen sich aber auch die Berichte über teilweise schwere Nebenwirkungen.


Ein 63-jähriger Mann wird mit starken Muskelschmerzen ins Spital eingeliefert. Die Ärzte finden rasch die Ursache für seinen Zustand: Die Muskeln, auch im Herzen, sind entzündet. Zwei Wochen zuvor ist der Patient wegen eines fortgeschrittenen schwarzen Hautkrebses, eines Melanoms, erstmals mit zwei neuen Medikamenten behandelt worden. Die sogenannten Checkpoint-Hemmer, für deren wissenschaftliche Grundlagen der letztjährige Medizinnobelpreis verliehen wurde, sollen die Immunabwehr gegen die Melanom-Herde in seinem Körper aufbringen.

Stattdessen muss der Patient vier Tage lang im Spital mit hochdosierten Immunsuppressiva behandelt werden, wie amerikanische Ärzte in einer Fallvorstellung in der Fachzeitschrift "New England Journal of Medicine" berichten. Die Therapie soll die lebensbedrohliche Muskelentzündung stoppen. Doch der Mann erleidet zweimal einen Herzstillstand und stirbt.

Seit einigen Jahren beobachten Ärzte immer wieder Fälle von tödlichem Herzversagen bei Melanom-Patienten, die zuvor mit Checkpoint-Inhibitoren (CPI) behandelt wurden. Nach den neuen Zahlen könne die durch diese Medikamente verursachte Herzmuskelentzündung nicht mehr als seltene Nebenwirkung angesehen werden, schreibt der Kardiologe Dinu Balanescu von der University of Texas in Houston in einer im Juni erschienenen Mitteilung des American College of Cardiology.

Laut verschiedenen Berichten kommt es bei bis zu 2,4 Prozent der Patienten zu einer Herzmuskelentzündung. Werden zwei CPI kombiniert, ist das Risiko noch deutlich höher: Bei fast jedem zweiten Patienten muss demnach die Therapie abgebrochen werden, weil das durch die Medikamente enthemmte Immunsystem das eigene Herz attackiert.

Neue Ära in der Krebsmedizin

Mit der Verfügbarkeit der Checkpoint-Inhibitoren hat zweifellos eine neue Ära in der Krebsmedizin begonnen. Die Medikamente lockern bei einer Gruppe von Abwehrzellen, den T-Zellen, molekulare Bremsen. Solche Bremsen sind nötig, um die Aktivität des Immunsystems in engen Bahnen zu regulieren und nach getaner Arbeit wieder zu drosseln. Im Kampf gegen Krebszellen kann die immunologische Aktivität aber zu gering sein. Durch die Blockade mit therapeutischen Antikörpern - sogenannten Checkpoint-Inhibitoren - soll das Immunsystem dann befähigt werden, das Tumorgewebe im Körper leichter beiseitezuschaffen.

Die Begeisterung über die neue Therapiemöglichkeit ist gross. Denn immer wieder wird von erstaunlichen Erfolgen in sonst aussichtslosen Fällen berichtet. 

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