Ullrich Kroemer

Freier Sportjournalist (Print, Online), Leipzig

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Wie Lok Leipzig mit seinen Problemfans umgeht: Acht lange Minuten

Am vergangenen Wochenende randalierte Fans von Lok Leipzig beim Spiel in Erfurt. Der Imageschaden ist wieder einmal groß. Dabei kämpft der Klub schon länger gegen ein Klima der Angst.


Nach Auswärtsspielen seines 1. FC Lokomotive Leipzig hat Andreas Horster (Name von der Redaktion geändert) schon einige triste Heimfahrten erlebt. Als Anhänger des fünftklassigen Traditionsklubs braucht es schließlich eine gehörige Portion Leidensfähigkeit. Doch so übel wie auf der Rückreise aus Erfurt am vergangenen Sonntag hat sich der 36-Jährige selten gefühlt. "Ich war geschockt, frustriert, deprimiert", sagt Horster, der bereits seit seiner Kindheit dem 1. FCL die Treue hält. Angesichts der Entwicklungen in Verein und Fanszene in den vergangenen zwei Spielzeiten sagt Horster: "Ich dachte, so etwas muss ich bei Lok nie wieder mitansehen."

30 bis 40 vermummte Hooligans

Der Anhänger meint damit die hässlichen Szenen, mit denen es Lok am letzten Spieltag bei Rot-Weiß Erfurt II wieder einmal deutschlandweit unfreiwillig in die Schlagzeilen schaffte. 30 bis 40 vermummte Hooligans stürmten aus einem der beiden Lok-Fanblöcke auf das Spielfeld, schlugen und traten wahllos Ordner und bedrängten die eigenen Spieler. Auf dem Feld spielten sich vor laufenden Kameras Szenen ab, die man sonst höchstens von verabredeten Fights von Hooligangruppen auf freiem Feld kennt. Als ob all das nicht schon surreal genug gewesen wäre, versuchte mittendrin ein Ex-Nationalspieler zu schlichten: Loks Sportgeschäftsführer Mario Basler. Doch auch vor Basler machten die Schläger nicht Halt; er bekam laut eigener Aussage einen Schlag auf den Brustkorb. Erst, als nach acht langen Minuten auf Pfiff des Einsatzleiters die Polizei über den gesamten Platz in Richtung Lok-Kurve stürmte, zogen sich die Randalierer zurück in den Block. Als dort weiter provoziert, Fanutensilien in Brand gesteckt wurden und eine Imbissbude verwüstet wurde, brach der Referee die Partie ab.

Hat Lok keine Zukunft?

Auf der Autofahrt und den Tagen danach stellte Andreas Horster die Treue für seinen Verein wie zahlreiche Lok-Fans infrage. Der Projektingenieur steckt wie viele FCL-Anhänger jede Menge Herzblut, Freizeit und Geld in den Neuaufbau des Vereins. 2000 Euro hat Horster in dieser Spielzeit für die "Loksche" investiert, dazu engagierte er sich als Bauhelfer auf dem maroden Gelände des Bruno-Plache-Stadions. Nun grübelte er über den Sinn seines Engagements: "Vielleicht hat alles keinen Zweck, weil dieser Verein zu viele Idioten anzieht und zwar eine große Vergangenheit, aber eben keine Zukunft hat?" Nicht nur Andreas Horster, sondern auch die Verantwortlichen des 1. FC Lokomotive zweifelten. Trainer Heiko Scholz zum Beispiel, der die Randale sogar auf seine Kappe nehmen wollte, weil seine Mannschaft so trostlos kickte. Oder René Gruschka, als Vorstand einer der fleißigsten Macher des Vereins. "Natürlich war da anfangs sehr viel Resignation", sagt Gruschka. "Ich stand ohnmächtig auf dem Rasen, konnte nichts tun. Ich wusste, hier geht gerade vieles in die Brüche, was wir in den vergangenen zwei Jahren aufgebaut haben."

Als Lok im Frühjahr 2013 wieder einmal vor der Insolvenz stand, übernahmen langjährige Fans wie Gruschka und seine Mitstreiter die Verantwortung. Sie trugen nicht nur den Schuldenberg in Höhe von 618.000 Euro ab, den ihnen das alte Präsidium hinterlassen hatte. Sie sahen schnell ein, dass es für einen Neustart unabdingbar ist, an einem neuen, gewaltlosen Image zu arbeiten, also die Fanszene zu erneuern.

Als Wendepunkt gilt dabei das Auswärtsspiel in Babelsberg 2013, als Hooligans den gegnerischen Block sowie den Platz stürmten. Rädelsführer dabei waren Mitglieder der Fangrupperiung »Scenario Lok«, über die es im sächsischen Verfassungsschutzbericht 2014 heißt: »Die bei Scenario Lok aktiven Rechtsextremisten stammten aus dem Umfeld der NPD/JN oder den örtlichen neonationalsozialistischen Strukturen.«

»Die Gespräche sind alle gescheitert«

Nach der Randale in Babelsberg ergriff das Lok-Präsidium zahlreiche Maßnahmen, gründete unter anderem eine Stadionverbotskommission. Gegen etwa 30 Randalierer verhängte Lok Hausverbote, dazu erhielt »Scenario Lok« Auftritts- und Erscheinungsverbot im heimischen Bruno-Plache-Stadion. »Wir haben lange versucht, mit diesen Leuten zu sprechen, doch die Gespräche sind alle gescheitert«, sagt Gruschka. Die Ausschlüsse wurden 2014 auf unbestimmte Zeit verlängert.

Daraufhin wurden Autos der Vorstandsmitglieder und die Stadionanlage beschädigt, die Vorstände standen teilweise unter Polizeischutz. Trotz der zahlreichen Scharmützel einigte sich Lok laut Gruschka mit den ungewollten Problemfans auf einen Kompromiss. Scenario Lok löste sich im Oktober 2014 auf, dafür widerrief der Verein einige Hausverbote.
 
»Die Verlängerung des Auftrittsverbots war das richtige Zeichen, um weiterhin straight gegen gewaltbereite und rechtsradikale Fans vorzugehen«, sagt Juliane Nagel.

Die Linken-Politikerin, Leipziger Stadträtin und Abgeordnete des Sächsischen Landtages, begleitet den Verein seit Jahren kritisch. Sie bewertet das Engagement des neuen Lok-Vorstandes ebenfalls grundsätzlich positiv. So hätten Gruppierungen, die zuvor von »Scenario« unterdrückt wurden, die Chance bekommen, sich zu organisieren. »Das hat der Verein unterstützt«, sagt Nagel. Zuvor habe im Fanblock ein »Klima der Angst aus alten Zeiten« vorgeherrscht. Der Prozess, das weiter aufzubrechen, ist wichtig«, glaubt Nagel.

Neue, bunte Fangruppen
 
So entstanden neue Fan- und Ultragruppierungen wie »Fankurve 1966«, die sich zu einer bunten und heterogenen Fankultur bekennen und auf Ihrer Webseite klarstellen: »Jegliche Formen von Diskriminierung und sonstigem menschenverachtenden Gedankengut haben in unseren Reihen definitiv keinen Platz.«

Der Verein selbst gründete einen Fanbeirat ohne »Scenario«-Beteiligung, gab sich einen Ehrenkodex, in der Gewalt und Diskriminierung abgelehnt werden, und arbeitet seither deutlich intensiver mit dem Leipziger Fanprojekt zusammen. Angesichts einer derart vorbelasteten Geschichte und der teilweise extrem schwierigen und heterogenen Fanklientel haben die ehrenamtlichen Macher bei Lok in den vergangenen zwei Jahren vieles klar benannt, angestoßen und umgesetzt, was zuvor in zwei Jahrzehnten versäumt wurde.

Hochsicherheitsspiel? Bier wurde dennoch ausgeschenkt


Vor Gewaltauswüchsen wie in Erfurt ist der Verein dennoch nicht gefeit, wie sich am Sonntag zeigte. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass sich Ex-»Scenario«-Mitglieder mit anderen gewaltbereiten Lok-Anhängern – teils aus der Free-Fight-Szene – zusammengetan haben; auch Hallenser Hooligans sollen laut Gruschka beteiligt gewesen sein. »Wenn genügend Brisanz im Spiel ist und das Sicherheitskonzept es hergibt, können sich diese Leute überall bei Auswärtsspielen sammeln und losschlagen«, glaubt Fan Andreas Horster.

Obwohl vor der Partie zwei Sicherheitsbesprechungen stattgefunden haben, sei bei der Umsetzung laut Gruschka nicht alles optimal gelaufen. Andreas Nichelmann, noch bis 30. Juni Erfurter Sicherheitsbeauftragter, will sich dazu nicht äußern. Die Partie gegen Lok war das letzte Spiel seiner Security-Agentur »Guardian Force Security«; der Vertrag mit dem Sicherheitsdienstleister läuft zum Saisonende aus.
 
Augenzeugen berichten, dass die Einlasskontrollen teilweise mangelhaft gewesen und auch Fans ohne Tickets ins Stadion gelangt seien. Trotz der Einstufung als »störanfälliges Spiel« wurde alkoholhaltiges Bier ausgeschenkt, weil der Caterer so kurzfristig nicht mehr umplanen konnte, gibt auch der Erfurter Spieltags-Verantwortliche Jens-Christian Porsch kleinlaut zu.

Die Schläger waren auf Eskalation aus

Sonst habe Rot-Weiß Erfurt der Brisanz des Spiels jedoch mit zahlreichen Maßnahmen Rechnung getragen, unter anderem mit dem Umzug ins größere Steigerwaldstadion sowie 75 eigenen und 20 Leipziger Sicherheitskräften – eigentlich genug für ein brisantes Spiel in Liga fünf. Dazu wurden im Vorfeld unüblicherweise die Hymnen beider Klubs abgespielt. »Wir haben alle deeskalierenden Maßnahmen, die man ergreifen kann, durchgeführt«, sagt Porsch. Doch die Schläger, die diese Partie nach langer Abstinenz mal wieder als Bühne missbrauchten, waren auf Eskalation aus.
 
Nun arbeiten die Lok-Verantwortlichen mit Hochdruck daran, die Schuldigen ausfindig zu machen und hart zu bestrafen. Auf der Webseite prangt an Position eins der Reiter »Täter-Identifizierung«, bei dem die Gewalttäter auf zahlreichen Videos und Fotos im Netz zu sehen sind. Vorstand Gruschka sagt: »Wir werden rigoros durchgreifen, die Täter bekommen lebenslanges Hausverbot.« Über 100 Hinweise seien bereits eingegangen. Er ist guten Mutes, dass nahezu alle auf den Bildern zu sehenden Hooligans identifiziert werden können.

Dazu will Lok auch mit Rot-Weiß Erfurt zusammenarbeiten, der als gastgebender Verein Stadionverbote verhängen kann. Mit Hilfe der Polizei sollen Regressansprüche an die Täter weitergeleitet werden. »Notfalls setzen wir das mit dem Gerichtsvollzieher durch«, droht Gruschka. Bislang musste die Polizei die lediglich vier vorübergehend Festgenommenen allesamt wieder gehen lassen. Ullrich Kroemer

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