Ullrich Kroemer

Freier Sportjournalist (Print, Online), Leipzig

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Artikel

Roter Stern Leipzig in Schildau – Moderner Schildbürgerstreich

Lionel C. Bendtner

LEIPZIG/SCHILDAU. Das nordsächsische Städtchen Schildau rühmt sich, Originalschauplatz der Schildbürgerstreiche zu sein. Der Legende nach versuchten die Schildbürger, Licht in Eimern und Säcken ins fensterlose Rathaus zu tragen oder Salz auszusäen. Laut dem ehemaligen Schildauer Pfarrer Schollmeyer verstehe man heute unter Schildbürgerstreichen „die Ergebnisse von kommunalen Borniertheiten, behördlichen Unzulänglichkeiten, bürokratischen Überspitzungen und amtlichen Fehlentscheidungen”. Die Provinzposse, die sich am vergangenen Samstag in der knapp 8000 Einwohner zählenden Gemeinde in der Fußball-Landesklasse (siebte Liga) zutrug, passt ganz gut dazu.

Vor dem Gastspiel von Roter Stern Leipzig, dessen Mitglieder und Fans aktiv gegen Neonazismus, Rassismus und Diskriminierung eintreten, wappnete sich der TSV 1862 Schildau wie folgt: „Um andere Leute nicht zu provozieren”, wie der Vereinsvorsitzende Uwe Tempel sagt, verbot der Klub eigens für dieses Spiel durch eine Ergänzung der Hausordnung alle Fahnen und Banner. „Politische Meinungsäußerungen gehören aus unserer Sicht nicht auf den Sportplatz”, sagt Tempel. Hintergrund: Bei einem früheren Aufeinandertreffen beider Klubs 2010 war es zu Ausschreitungen von Neonazis der Kameradschaft „Schildauer Jungs” gekommen. Die hatten im Vorfeld ebenso plakatiert („Love Football – Hate Roter Stern”) wie die Anhänger des Klubs aus Leipzig-Connewitz („Wer Deutschland liebt, den hassen wir”). Deswegen habe sein Verein politische Botschaften verhindern wollen, erklärt Tempel.

Ein Großteil der 80 mitgereisten Fans des Roten Sterns wollte sich jedoch nicht derart reglementieren lassen und verzichtete darauf, vier Euro Eintritt pro Person zu zahlen. Die RSL-Anhänger blieben lieber vor den Sportplatztoren, um gegen die Maßnahme zu protestieren. Ihre Transparente hängten sie auf dem Parkplatz auf; das Spiel wurde per Telefonkonferenz über eine Anlage nach draußen übertragen. „Das Problem ist doch, dass Nazis ins Stadion kommen und nicht, dass wir Transparente zeigen”, sagt RSL-Sprecher Jens Frohburg. „Es ist unsere Befürchtung, dass das Beispiel Schildau Schule macht.”

Ob ein derartiges Vorgehen überhaupt juristisch haltbar ist, ist nicht sicher. Zwar untersagte das DFB-Sportgericht den Fans von Borussia Dortmund bis Ende 2015 große Fahnen, Block- und Zaunsfahnen sowie Transparente bei Auswärtsspielen. Dem gingen allerdings diverse Pyrotechnik-Vergehen der BVB-Anhänger voraus. Auch Dynamo Dresden war von solchen Fahnenverboten bereits betroffen. Und im Stadion von RB Leipzig sind politische Statements ebenfalls nicht erlaubt. Der Sächsische Fußball-Verband (SFV) äußerte sich bis Redaktionsschluss noch nicht dazu; Stephan Oberholz, Vize-Präsident Recht beim SFV und Spezialist für Vereinsrecht, prüft den Fall.

In Schildau umgingen die „Sterne” das Verbot zunächst dadurch, dass die Spieler selbst ein Transparent neben der Auswechselbank aufhingen („Love Football – Hate Fascism”). Nachdem die Gastgeber Mitte der zweiten Halbzeit keinen Eintritt mehr verlangten, betraten die Leipziger Fans doch noch den Sportplatz, wobei sie ein Banner hereinschmuggelten und Zeuge eines 3:1-Auswärtssieges wurden.

Um die Spiele von Aufsteiger Roter Stern in der Provinz abzusichern, müssen die Vereine eigens Sicherheitsleute beauftragen; Schildau hatte Bauzäune aufstellen lassen, um Heim- und Gästefans voneinander zu trennen. Dazu werden die Partien regelmäßig von großem Polizeiaufgebot abgesichert. Schildaus Vorsitzender Uwe Tempel ist „schockiert und traurig”, dass wegen eines Fußball-Landesklassenspiels „ein solcher Aufriss” veranstaltet werden müsse. Doch die Sicherheitsmaßnahmen sind notwendig: 2009 war der Rote Stern beim Auswärtsspiel in Brandis von 50 Neonazis massiv attackiert worden.

Zwar sei es in der bisherigen Saison laut RSL-Sprecher Frohburg bislang verhältnismäßig friedlich geblieben. Doch auch in Schildau hätten sich hinter einem der Tore einschlägig bekannte Neonazis aufgebaut, die die Spieler unter anderem als „Zeckenschweine” beleidigt haben sollen. Schildaus Vorsitzender Uwe Tempel sagt, das sei Klientel, „dass wir nicht kennen” und dass der Rote Stern anziehe. „Von Rechtsradikalen distanzieren wir uns ausdrücklich”, sagt Tempel, „wir sind kein Nazi-Verein.” Er sei enttäuscht, dass der Rote Stern „uns in den sozialen Netzwerken in die rechte Ecke drängen und damit unseren Verein und unsere Stadt in den Dreck ziehen will”. Ob er beim nächsten Gastspiel der „Sterne” wieder ein Fahnen- und Transparentverbot verhängen wird, „müsse man im Vorfeld besprechen und dann erneut entscheiden”. Dass die Gästefans draußen blieben, kostet Schildau etwa 500 Euro. Die veganen Tofu-Würste, die Tempel extra für die Kundschaft aus Leipzig gekauft hatte, blieben unangetastet. Ullrich Kroemer


  • Stellungnahme des Sächsischen Fußball-Verbandes (SFV): „Wir haben den Fall im Fokus”
LEIPZIG. Der Sächsische Fußball-Verband (SFV) hat sich gegen pauschale Verbote von Meinungsäußerungen im Fußball ausgesprochen. Stephan Oberholz, SFV-Vize-Präsident und stellvertretender Vorsitzender des DFB-Sportgerichts, sagte: „Fans machen doch den Fußball aus. Fankultur durch allgemeine Grundsatzregeln pauschal ohne Unterschied einzuschränken, ist nicht im Sinne unseres Verbandes.” Es müsse den Anhängern „generell möglich sein, mit Bannern, Fahnen und Transparenten ihre Zuneigung zu ihrem Verein zu äußern und auch Botschaften auszutauschen”, sagte der Jurist.

Das ND hatte am Mittwoch über den „modernen Schildbürgerstreich” beim Fußball-Landesklasse-Spiel zwischen dem nordsächsischen Klub TSV 1862 Schildau und dem antifaschistischen Verein Roter Stern Leipzig berichtet. Der Gastgeber hatte per Zusatz in der Hausordnung für dieses Spiel Fahnen und Transparente für alle Fans verboten, um Provokationen zu vermeiden. Bei einer früheren Begegnung beider Klubs war es zu Ausschreitungen von Neonazis gekommen.

Nun erklärte Oberholz: „Pauschale und undifferenzierte Einschränkungen durch Zusätze in der Hausordnung sind juristisch zweifelhaft und gehen wohl zu weit.” Das Hausrecht sei schließlich „nicht grenzenlos gewährleistet, es darf nicht willkürlich ausgeübt werden, sondern muss verhältnismäßig sein”, argumentiert der Richter. Im Einzelfall könnten Maßnahmen wie in Schildau jedoch durchaus richtig und notwendig sein. Absprachen, die in der Sicherheitsberatung beider Vereine von Fall zu Fall getroffen werden, „halten wir für richtig und rechtlich unbedenklich, um beispielsweise Provokationen zu vermeiden”, sagte der Rechtsexperte des SFV.

Fußball sei zwar laut Oberholz keine keine politische Bühne, „aber politische Botschaften sind nicht grundsätzlich verboten”. Dass sich der Rote Stern gegen antidemokratische Haltungen einsetze, begrüßt er ausdrücklich. Der Jurist leitet selbst die Arbeitsgruppe Fair Play & Gewaltprävention (ehemals AG FEX) im SFV. Doch bei sensiblen Themen wie diesem müsse auch der Ton stimmen, appellierte Oberholz an beide Seiten. Eine generelle Beschneidung ihrer Fankultur müssen die Fans von Roter Stern Leipzig wohl nicht befürchten. „Wir haben den Fall im Fokus. Wenn pauschale, nicht gerechtfertigte Einschränkungen bei Spielen mit Beteiligung des Roten Sterns Methode werden sollten, werden wir entsprechende Maßnahmen ergreifen”, versicherte Oberholz. Ullrich Kroemer



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