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Sohn von zwei Müttern: „Viele denken, uns fehlt der Vater - aber uns fehlt nichts"

Foto: Tycho Schildbach

Jakob war sieben Jahre alt, als ihm im Schulbus eines klar wurde: Seine Familie ist anders. Anders als die seiner Mitschüler. Jakob hatte soeben erwähnt, dass er zwei Mütter hat - und keinen Vater. Aber von Häme keine Spur. Kinder können gemein sein. Müssen sie aber nicht. Kinder sind in erster Linie neugierig. Statt Ausgrenzung und Spott kam ihm ein Schwall von Fragen entgegen - und der Siebenjährige genoss die Aufmerksamkeit.

Jakob war ein Wunschkind seiner leiblichen Mutter Jo, einer Deutschen, und deren US-amerikanischer Freundin Rachel. Das Paar erfüllte sich den Kinderwunsch mithilfe einer Samenbank und künstlicher Befruchtung. Es brauchte mehrere Versuche, viel Geduld und noch mehr Geld, doch schließlich war Jakob endlich da. Die junge Familie lebte damals in der US-Stadt Yonkers bei New York.

Rückkehr nach Deutschland

In Regenbogenfamilien ist mindestens ein Elternteil lesbisch, schwul, transsexuell oder bisexuell. Die Eltern erziehen ihre Kinder entweder alleinstehend, als Paar oder in einem größeren Verbund. Nur etwa zwei Prozent der Kinder von Regenbogenfamilien sind adoptiert. Die meisten stammen aus früheren Beziehungen oder werden in die Familie hineingeboren.

Als er vier Jahre alt war, starb Rachel an Sichelzellanämie, einer Erbkrankheit. An sie erinnern kann er sich kaum. Was bleibt, sind Erzählungen und der amerikanische Teil seines Nachnamens: Welsh-Eckardt. Nach Rachels Tod kehrte die Mutter mit ihrem Sohn nach Deutschland zurück. Er lernte neue Freunde kennen - sie verliebte sich in Cornelia. Das Paar zog zusammen, später folgte die Eingetragene Lebenspartnerschaft. Berlin war um eine „Regenbogenfamilie" reicher.

Konstanze Körner, Leiterin des Berliner Regenbogenfamilienzentrums, geht davon aus, dass über 1000 solcher Familien in der Stadt leben. Eine Statistik dazu gibt es nicht. Bisher beruht ihre Schätzung auf dem Umfang ihres E-Mail-Verteilers, mit dem sie die Familien über Aktionen und Angebote informiert. Und die Liste wächst stetig. Pro Tag kommen etwa 10 Adressen dazu.

Fest steht: Regenbogenfamilien sind wie bei Jakob überwiegend Frauensache. Laut einer Bamberger Studie deutschlandweit sogar in neun von zehn Fällen. Auch in Berlin besteht diese klare Tendenz. „Das hat mit den biologischen und rechtlichen Vorteilen der Mütter zu tun", erklärt Körner. „Denn Frauen können ein Kind selber austragen und sind nach der Geburt automatisch ein rechtliches Elternteil."

So war es auch bei Jo, Jakobs leiblicher Mutter. Cornelia hingegen wurde erst vor zwei Jahren durch eine Adoption seine rechtliche Mutter. Da war er schon lange nicht mehr das einzige Kind der Familie. Seine Mütter nehmen seit Jahren regelmäßig Pflegekinder auf, bis Adoptiveltern für sie gefunden werden. „Es fällt immer schwer, sich dann auch wieder zu verabschieden. Sie sind ja schließlich ein Teil der Familie gewesen", blickt Jakob nachdenklich zurück. „Bei Timo zum Beispiel ging das nicht mehr. Den haben meine Eltern dann selbst adoptiert." So bekam er vor vier Jahren noch einen "festen" Bruder dazu.

Heute ist Jakob 18 Jahre alt. Er trägt Muskelshirt und Kinnbart. Seine Kopfhörer hat er sich lässig über die Schulter gehängt, eine markante schwarze Brille umrahmt seine Augen. Vor wenigen Tagen feierte er in Spanien das bestandene Abitur mit seinen Klassenkameraden.

In der Schule legte sich die Aufregung um seine beiden Mütter schnell. In Frage gestellt wurde sein Familienmodell nie. „Die Story war einfach nicht gut genug für Gossip", erklärt er lächelnd.

Für selbstverständlich hält er die gelassene Reaktion allerdings auch nicht: „Das kommt bestimmt auf das Umfeld an. Meine Eltern sind mit mir oft zu Treffen der Ilse ( Initiative lesbischer und schwuler Eltern) gegangen. Dadurch hatte ich viele Freunde in ähnlichen Familien. Überhaupt war unser Umfeld in der Schule und auch außerhalb sehr offen."

Dass Jakob als Paradebeispiel für die gelungene Integration von Regenbogenfamilien in Berlin herhalten kann, äußert sich auch in seiner Verwunderung über einige Fragen. Manchmal stutzt er, schaut fast irritiert. Er hat doch Eltern, einen Bruder, eine "normale" Familie wie viele andere auch. Und doch: Vor dem Gesetz bleibt es hingegen weiter „unnormal", wenn zwei Männer oder zwei Frauen wie heterosexuelle Paare heiraten oder eine Familie gründen wollen.

Im Mai 2015 legalisierte das katholische Irland die gleichgeschlechtliche Ehe, die als prüde verschrienen USA folgten einen Monat später. In Deutschland bleibt es bei Diskussionsrunden in Polit-Talkshows und regenbogenfarbenen Solidaritätsbekundungen in sozialen Netzwerken. Seit 2001 dürfen sich Schwule und Lesben hierzulande lediglich „verpartnern".

Die Rechte dieser Lebenspartnerschaft wurden der Ehe zwar seitdem immer weiter angeglichen. Eine Legalisierung der gleichgeschlechtlichen Ehe ist in Deutschland aber weiterhin nicht in Sicht. Solange sich eine um ihre Stammwählerschaft am erzkonservativen Rand besorgte Union gegen die „Ehe für alle" stemmt, bleibt das Geschlecht - nicht die gegenseitige Liebe - die wichtigste Zugangsvoraussetzung für den Bund der Ehe.

Auch die Berliner CDU spricht sich bisher gegen eine rechtliche Gleichstellung homosexueller Paare aus, obwohl 73 Prozent der Berliner diese befürworten. Das ergab im Juni eine Forsa-Umfrage im Auftrag der Berliner Zeitung. Die Mitgliederbefragung zur „Ehe für alle" könnte allerdings die Position der Berliner CDU nach dem 15. Juli neu ausloten.

Laut Konstanze Körner vom Regenbogenfamilienzentrum bekommen homosexuelle Paare den Unterschied zwischen Lebenspartnerschaft und Ehe besonders bei der Familienplanung zu spüren. Die Lebenspartnerschaft der Eltern bedeutet zum Beispiel keine zusätzliche Absicherung für ein Kind. „In einer Ehe ist der Ehemann der Mutter auch der rechtliche Vater des Kindes. Die Lebenspartner sind hingegen nicht automatisch beide die rechtlichen Eltern des Kindes", erklärt Körner.

Hinzu kommt, dass ihnen die gemeinsame Adoption eines Kindes bisher verwehrt bleibt. Erlaubt ist nur die sogenannte Sukzessivadoption. Das heißt beide Partner müssen das Kind nacheinander adoptieren. Körner nennt das „absolut überflüssig. Denn das Ziel ist das gleiche wie bei heterosexuellen Paaren. Nur ist alles doppelt so teuer und doppelt so aufwendig. Außerdem ist das Kind zwischen den Adoptionen nicht ausreichend abgesichert." Konkret heißt das: Wäre Jo nach der Adoption von Timo tödlich verunglückt, hätte das Timo rechtlich gesehen zum Vollwaisen gemacht.

"Viel unnötiger Stress"

Die gesetzlichen Benachteiligungen seiner Familie ärgern den jungen Erwachsenen Jakob: „Das ist alles so viel unnötiger Stress". Als Kind hat ihn das noch nicht beschäftigt. Damals waren die entscheidenden Themen: Was gibt es zum Abendessen? Darf ich heute bei meinem Schulfreund übernachten? Wann fahren wir wieder zum Badesee? Fragen, die sich auch seine Freunde mit Mutter und Vater ständig stellten.

Die meisten Menschen verbinden mit ihren Eltern bestimmte Rollen. Die Klassiker für viele Jungs sind wohl: Fußballspielen mit dem Vater, Gutenachtgeschichten mit der Mutter. Wer glaubt, mit zwei Müttern fielen die "Vater-Aktivitäten" automatisch weg, wird von Jakob sanft, aber bestimmt aus seiner stereotypen Geschlechterwahrnehmung geschubst. „Viele denken, uns fehlt der Vater - aber uns fehlt nichts. Wenn mein kleiner Bruder Timo Fußball spielen will, dann spielt meine Mutter eben mit ihm Fußball."

Jakob erwartet auch gar nicht, dass seine Mütter all die Vater-Sohn-Geschichten seiner Freunde eins zu eins erfüllen können. „Als mir mal ein Freund von einem Angelausflug mit seinem Vater erzählte, war ich schon ein bisschen neidisch. Aber ganz ehrlich: Es geht nicht jeder Vater angeln. Viele dieser Klischees stimmen doch gar nicht."

Genauso wenig wie das Klischee, dass die Sexualität der Eltern einen Einfluss auf die Entwicklung des Kindes hat. Jakob hat sich auch mit diesem Vorurteil auseinandergesetzt, denn er interessiert sich für Männer. Dass ihn die Vorliebe seiner beiden Mütter für Frauen dazu "erzogen" haben könnte, findet Jakob absurd.

Sich und anderen seine Homosexualität einzugestehen, fiel ihm sogar trotz seiner lesbischen Mütter schwer: „Auch ich habe all die Disney- und Hollywood-Filme geschaut", erklärt er lachend. „Mein Traum war immer: Mann, Frau, Kinder, Haus - am besten mit einem weißen Zaun drumherum."

Keine negativen Reaktionen

Eine Zeit lang hoffte er deshalb sogar darauf, bisexuell zu sein. Mit 15 entschied er sich, das Versteckspiel zu beenden. „Man hört ja immer wieder von 50-jährigen Männern, die plötzlich ihre Familie verlassen und sich outen. So wollte ich nicht enden." An seiner Schule verbreitete sich die Nachricht von seinem Coming-out schnell. Aber negative Reaktionen erlebte er dort auch nie als es um seine eigene Homosexualität ging. 

Nur einmal, auf der Abifahrt, gab es einen Vorfall. Als Jakob davon erzählt, klingt ein gewisser Stolz in seiner Stimme mit: Während der Rückfahrt wollte ein Junge einer anderen Schule nicht neben ihm Platz nehmen und rief: „Ich sitze nicht neben der Schwuchtel". Anstatt wegzugucken, machten seine Mitschüler lautstark deutlich, dass sie in ihrer Gegenwart keine Homophobie dulden werden. „Das war wie im Kino", erinnert sich Jakob begeistert.

Es sind diese Momente, die Jakob optimistisch in die Zukunft blicken lassen. Momente des Eintretens für Vielfalt und gegen Intoleranz: „Ich glaube, ich lebe in einer guten Zeit. Wir sind noch nicht da, wo ich es mir wünsche, aber wir sind auf einen guten Weg". Was den Weg dahin mit Sicherheit verkürzen würde: Mehr Interesse zeigen, mehr fragen, weniger urteilen. So wie die Schulkinder im Bus.
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