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"Digitaler Fußabdruck" - brand eins online

* Christoph Mätzold aus dem sächsischen Grimma erregte im März dieses Jahres mit seinem selbst gezimmerten Messestand bei der Cebit in Hannover die Aufmerksamkeit seines Landesvaters Stanislaw Tillich. Ein Orthopädieschuhtechniker aus Sachsen. Bei der größten Messe für Informationstechnik der Welt. So, so. Der Ministerpräsident wurde neugierig und steuerte auf Mätzold zu.

Tillich: „Na, was machen Sie denn hier?" Mätzold: „Ich digitalisiere die Schuh-Orthopädie."

Das Gesicht des CDU-Politikers war ein einziges Fragezeichen. Eine Reaktion, die der 31-Jährige kennt. Der Betreiber des nach eigenen Angaben weltweit ersten Onlinekonfigurators für Schuheinlagen möchte seinen Kunden den Weg in die Geschäfte der herkömmlichen Schuhorthopäden ersparen. Wenn es nach ihm geht, werden Einlagen, nach Brillen und Hörgeräten, ein weiteres Produkt der Gesundheitsbranche, das den Weg ins Netz antritt. Doch anders als so mancher Anbieter von Online-Gesundheitsangeboten ist Mätzold vom Fach: Der Sachse stammt aus einer Schuhmacher-Familie, schon sein Ur-Großvater hatte 1888 den ersten Schuhladen eröffnet. Mätzold erlernte, wie schon sein Vater vor ihm, das Handwerk von der Pike auf, bereits mit 24 erlangte er den Meisterbrief, arbeitete ein Jahr als Betriebsleiter in einem Münchener Orthopädie-Zentrum und bereiste mit 27 die Welt, um Berufserfahrung zu sammeln. Aufträge als Berater für Schuhorthopädie führten ihn nach Australien, Asien und Südamerika. „Ich komme viel herum", sagt Mätzold, „aber meine Zukunft sehe ich in der Heimat."

Mätzold war gerade aus Australien zurückgekehrt und wollte seinem Vater dabei helfen, das Geschäft auszubauen, das er später selbst übernehmen wollte, als alles anders kam: Am 1. Juni 2013 trat das Flüsschen Mulde in Grimma über die Ufer und verwüstete zum zweiten Mal nach 2002 die Stadt. „Das Hochwasser war für mich ein Einschnitt", sagt Mätzold, „da kommt man ins Grübeln." Er fragte sich: „Wie kann ich es schaffen, mich als Orthopädieschuhtechniker in meiner Heimatstadt anzusiedeln und das Hochwasser-Risiko zu umgehen?" Auf die Antwort kam er schnell: Er müsste mit seiner Dienstleistung online gehen. Nur: wie?

Bislang muss der fußlahme Kunde in einem Fachgeschäft in ein Trittschaumkissen steigen oder auf einen Scanner, um perfekt auf den Fuß angepasste Einlagen herstellen lassen zu können. Das geht bestimmt auch anders, dachte Mätzold. Er tüftelte zwei Jahre an einer Software, die so bedienungsfreundlich sein sollte, dass sie Laien an ihrem heimischen Rechner nicht vor Probleme stellt, dem Fachmann aber genug Informationen liefert, um passgenaue Einlagen herzustellen.

Seit Anfang Januar ist Mätzolds Website Myonso online. Auf ihr muss der Kunde zunächst angeben, an welchen Stellen und wie stark er Schmerzen verspürt oder eine schon vorhandene Diagnose angeben. Danach folgt die Hauptarbeit: die Fußtypbestimmung.

Die Lösung wirkt recht improvisiert: Die Kunden müssen mit nassem Fuß auf ein Blatt Papier steigen und den sich abzeichnenden Abdruck mit den Bildern des Konfigurators vergleichen. Bald möchte Mätzold auch eine Webcam oder Scanner anbieten. Anschließend liest ein Programm die Daten aus und übermittelt sie an eine CNC-Fräsmaschine, die bei Mätzolds früherem Orthopädiemeister in Baden-Württemberg steht. Von dort werden die Einlagen an die Kunden versandt.

Rund 200 Paar hat Mätzold bislang verkauft. „Da ist noch viel Luft nach oben", sagt er. Sie kosten zwischen 80 und 140 Euro. Die Krankenkassen übernehmen zwar die Kosten für zwei Paar Einlagen im Jahr, Onlinehändler dürfen jedoch keine Rezepte annehmen. Daher beschränkt sich Mätzolds Zielgruppe bei den Gesundheitseinlagen bislang auf Privatversicherte und Kunden, die ein drittes Paar benötigen. Bei Komfort- und Sporteinlagen laufe der Verkauf etwas besser.

Die klassischen Orthopädieschuhtechniker, Prothesenhersteller und Sanitätshäuser stehen dem Konzept skeptisch gegenüber. Der Zentralverband der Orthopädieschuhtechnik teilt mit: „Generell raten wir vom Onlineversand von Schuh-einlagen ab." Einlagen müssten individuell gefertigt und angepasst werden, das sei online nicht zu schaffen.

Auch wenn Mätzold von der Genauigkeit seines Konfigurators überzeugt ist, sieht er diese Skepsis als sein Hauptrisiko an. Außerdem hat er Sorge, dass findige Onlinehändler, die mit Standardeinlagen ein schnelles Geschäft wittern, das Vertrauen in seine Idee beschädigen könnten.

Als Mätzold vor die Tür des Schuhladens seiner Eltern tritt, deutet er auf eine Markierung an der Hauswand. „So hoch stand das Wasser damals", sagt er. „Ich habe mit Myonso zwar große Pläne und viele Flausen im Kopf, weiß aber auch, wie schnell etwas schieflaufen kann." ---

Kontakt: myonso.de

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