Von Tobias Zoporowski
Als STEREO im Spätherbst 2005 (siehe Ausgabe 12/2005) zum ersten Mal auf die Auswirkungen des damals gerade frisch in Kraft getretenen, so genannten Elektroaltgerätegesetzes („ElektroG", Details siehe Kasten rechts) aufmerksam machte, erlebten wir die HiFi-Szene selten so in Aufruhr. „Das können wir weder logistisch noch finanziell umsetzen. Es kann uns die Existenz kosten", wetterten die einen, während andere darauf verwiesen, dass man gerade kostspielige HiFi- und HighEnd-Geräte doch wohl nicht ernsthaft mit Toastern, Computermonitoren und Leuchtstoffröhren in einen Topf - oder in eine Tonne - werfen könne und hier Ausnahmeregelungen erforderlich seien. Bei aller Irritation kann man da leicht den Überblick verlieren. Zumal die Debatte derzeit eine ganz neue und wenig erfreuliche Qualität erreicht.
Denn offenkundig gibt es Hersteller, Vertriebe und Händler, die - entweder aus Unwissenheit oder von der Komplexität des Regelwerks abgeschreckt - ihren Geschäftsbetrieb zunächst völlig unbeeindruckt und ohne die bis zum 23. November 2005 fällige Registrierung bei der Stiftung EAR (Elektroaltgeräteregister) fortgesetzt haben - ihre Produkte nach geltendem Recht seitdem gar nicht mehr legal verkaufen dürfen - und derzeit von einer regelrechten Abmahnwelle erfasst werden. Urheber der überwiegend wütend hochkochenden Reaktionen in der Branche ist Thomas Höhne, Inhaber der „High End Unterhaltungselektronik GmbH" in Elze und in dieser Eigenschaft „Inverkehrbringer" der Marken „Aaron" und „Sovereign".
Gegenüber STEREO macht Höhne keinen Hehl aus seinen Motiven: „Mir ist völlig klar, dass mich der Wettbewerb als Nestbeschmutzer oder Freibeuter beschimpft. Tatsache ist aber doch, dass sich hier einige Anbieter einfach rechtswidrig verhalten und damit eine ganze Menge Kosten sparen. Ich sehe hier einen Wettbewerbsnachteil, den ich nicht hinnehmen will." Und deshalb geht Höhne mit Hilfe eines Rechtsanwaltes gezielt gegen diese Unternehmen vor und bringt sie bei der EAR und dem Umweltbundesamt zur Anzeige.
Derzeit sollen Verfahren gegen rund 100 Firmen eingeleitet worden sein. STEREO hat Kenntnis von einigen aktuellen Bußgeldbescheiden in Höhe von nicht unter 10000 Euro, einhergehend mit zumindest befristeten Verkaufsverboten auch für Händler. Kleinere Betriebe können bei solchen Strafen schnell ins Schleudern geraten.
Verständlich also, dass viele Betroffene dem Aaron-Chef die gerechten Absichten absprechen und vielmehr Geschäftemacherei hinter den Abmahnungen vermuten. Auch STEREO hat von Höhnes Anwalt ein Fax mit dem „freundlichen Hinweis" bekommen, darauf zu achten, doch bitteschön keine mit „Rechtsmängeln" behafteten Produkte zu testen, da dies zumindest mittelbar als Einflussnahme auf den Endkunden gewertet werden könne. Ein Sachverhalt, den allerdings weder das Umweltbundesamt noch ein dem Verlag bekannter Rechtsanwalt bestätigte. Soll hier die Redaktion indirekt unter Druck gesetzt werden, auch wenn man das Schreiben nicht als „vorprozessoralen Schriftverkehr" verstanden wissen möchte?
Es rappelt also ganz schön im HiFi-Karton. Doch um was geht es eigentlich grundsätzlich? Am 24. März 2005 trat die EU-Verordnung über die Entsorgung von Elektro- und Elektronik-Altgeräten als Gesetz in Kraft. Nach dem Verursacherprinzip sind ab diesem Zeitpunkt alle „In-Verkehr-Bringer" (Hersteller und Vertriebe) sowie „Vertreiber" (Händler) im Rahmen ihrer Produktverantwortung verpflichtet, für die sachgerechte Verwertung ihrer Erzeugnisse Sorge zu tragen.
Ziel der Gesetzgebung, die noch von der rot-grünen Vorgängerregierung mit dem damaligen Umweltminister Jürgen Trittin auf den Weg gebracht wurde, war und ist, Elektronikprodukte langlebiger und verwertungsfähiger zu gestalten, sowie sie ohne Verwendung hochgiftiger Substanzen wie Blei, Quecksilber oder Chrom herzustellen. Das ist ein im Grundsatz erstrebens- und lobenswerter Ansatz, der in der praktischen Umsetzung indes für einige Aufregung sorgt: Während sich für den Endverbraucher, der sein defektes oder nicht mehr genutztes Altgerät zur kommunalen Sammelstelle bringt und dort abgibt, am Prozedere nichts geändert hat, sind seit Inkrafttreten des Gesetzes nicht mehr die Kommunen, sondern die Hersteller selbst für die Koordinierung und Finanzierung des fachgerechten Recyclings verantwortlich.
Damit dies nun alles nicht in heilloses Durcheinander ausartet, hat das Umweltbundesamt als aufsichtsführende Behörde die Stiftung „Elektro-Altgeräte-Register (EAR)" mit Sitz in Fürth mit der Aufgabe betraut, alle Produzenten und Vertriebe elektronischer Geräte zu erfassen und Sicherheitsleistungen von diesen zu erheben, die die Entsorgung ihrer Produkte in der Zukunft sicherstellen.
Dies sieht konkret wie folgt aus: Nach der Registrierung bei der EAR, die jeden Hersteller anfänglich rund 1000 Euro kostete (inzwischen sind hier Preisnachlässe üblich), hat dieser die Menge, das Gewicht und den Typ der von ihm pro Jahr in Verkehr gebrachten Geräteart zu melden. Dabei ist jede Marke - wichtig für Vertriebe, die diverse Anbieter unter ihrem Dach vereinen - meldepflichtig. Als Grundlage für die Berechnung der Sicherheitsleistung gilt die voraussichtliche Verkaufsmenge der jeweiligen Marke pro Jahr nach Gewicht, als Richtwert gelten hier 230 Euro Entsorgungskosten je Tonne verkaufter Ware. Zudem hat jede Firma eine Insolvenzversicherung abzuschließen, die die Abdeckung aller anfallenden Kosten für mindestens zehn Jahre sicherstellt.
An dieser Stelle machen viele HiFi-Hersteller - und das möglicherweise zu Recht - einen Mangel in der praktischen Umsetzung des Gesetzes aus, der im Einzelfall zu kuriosen Belastungen führt. So wird ein Lautsprecher, dessen zu entsorgende Elektronik nur aus einigen wenigen Bauteilen der Frequenzweiche besteht und dessen Gehäuse - zumeist aus eh gut verwertbaren Materialien wie Holz, Gestein oder Metall gefertigt ist - im Vergleich mit einem weitaus höheren Kostenanteil „gestraft" als etwa ein iPod, der ja im Grunde nichts anderes ist als Elektronik mit Plastik drumherum.
Apple kann als Großserienhersteller also aufgrund der Berechnung nach Gewicht seiner in Verkehr gebrachten Produkte weitaus mehr Exemplare in Umlauf bringen und wird finanziell in Relation viel weniger belastet als beispielsweise ein Kleinsthersteller wie der Schieferboxenbauer Fischer & Fischer, dessen Produkte schwer und vergleichsweise sehr teuer sind, von denen aber auch, gemessen an den Verkaufszahlen eines MP-3-Players, recht wenige pro Jahr in Umlauf gebracht werden.
Dass aus diesem nachvollziehbaren Ungleichgewicht, das für einzelne kleine Hersteller zu einer großen Belastung führt, die Forderung nach Ausnahmegenehmigungen für die HiFi-Branche erwächst, ist verständlich. Die Hersteller argumentieren damit, dass ihre Produkte keinesfalls ein kurzlebiger Wegwerfartikel, sondern vielmehr gerade im Hochpreissegment eine Investition fürs Leben sind, die schlicht nicht entsorgt wird. Auch unsere eigene Erfahrung zeigt, dass teils jahrzehntealte Geräte noch zu recht hohen Gebrauchtpreisen gehandelt und im Defektfall noch immer repariert werden.
Aus Sicht vieler Hersteller wäre es Aufgabe des Branchenverbandes „High End Society e.V" gewesen, sich bereits 2005, als sich die EU-Verordnung drohend am Horizont abzeichnete, mit gut organisierter Lobbyarbeit eine Sonderbehandlung für HiFi-Produkte zu erwirken. Ein schwieriges Unterfangen, denn: Für den Gesetzgeber sind alle Elektrogeräte gleich. Er kennt keine Liebhaberobjekte.
Und so hält Dr. Boris Brattig, Sprecher im Umweltbundesamt, uns HiFiisten entgegen: „Wie wollen Sie Ausnahmen begründen, zumal auch ein sehr teures Gerät irgendwann einmal eben doch entsorgt werden muss? Wenn nicht von dieser Generation, dann von der nächsten. Und letztlich ist eben auch diese Nachhaltigkeit Bestandteil und Grundlage des Gesetzes. "
Aus Brüssel rollt derweil schon die nächste bittere Pille auf die Hersteller zu: Hinter dem kryptischen Kürzel „EuP (Energy Using Products)" wird von den Eurokraten eine Rahmenrichtlinie diskutiert, die auch für Geräte der Unterhaltungselektronik so genannte „Mindesteffizienzanforderungen", anders ausgedrückt: Maximalverbräuche, festlegen will. So sollen sich beispielsweise die Verbrauchswerte im Off- und Standby-Modus am Standard des technisch Machbaren orientieren.
Für die Hersteller von Komponenten mit der bequemen Standby-Schaltung könnte dies bedeuten, dass ihr Gerät in diesem Modus nur noch ein knappes Watt konsumieren darf - womöglich sogar weniger. Über die exakten Werte wird jetzt in Gremien beraten. Irgendwann folgt dann ein Gesetz. Bis dahin bleibt genügend Zeit, um sich auf die Vorgaben einzustellen, sofern man sie zur Kenntnis nimmt. Wer aus Ignoranz oder Gleichgültigkeit alles beim Alten belässt, läuft wie im Falle des ElektroG Gefahr, plötzlich im illegalen Raum zu operieren und sich Angriffen geschäftstüchtiger „Rechthaber" auszusetzen. Also gibt es auch künftig einiges an Zündstoff und Gründe genug, zu fragen: Ja, geht's noch?