Dieser Artikel erschien zuerst in der GQ-Printausgabe 12/15
Kurz nach sieben Uhr morgens. Über dem Kaunertal in Österreich geht die Sonne auf. Die weißen Spitzen der 3000er, die seitlich aus dem Tal ragen, bekommen ihre Goldkronen verpasst. Eine Aufbruchsstimmung, von der unter der dicken Wolkendecke nichts zu spüren ist. „Mit dem A4 waren Sie doch gestern erst hier", sagt der Tankwart. Dann drückt er einen Knopf. Leise rollt sich das Tor zur Waschanlage auf. „Stimmt. Aber wir schießen heute auch wieder Fotos, oben beim Gletscher." Unverständnis im Blick des anderen. Macht nichts. Er darf den neuen Audi A4 ja auch nicht fahren.
Das Ziel für heute: Die Kaunertaler Gletscherstraße: 2 750 Höhenmeter, 29 Kehren, bis zu 20 Prozent Steigung und - das Beste - Eis statt Asphalt. Okay. Also einmal Premium Wash. Die Herausforderung für heute: die Heißwachsschicht auf dem silbernen Metallic-Lack des A4 möglichst unbeschadet (also unbefleckt) nach oben zu bringen.
864 Meter Höhe. Tal, Schneeregen. Jeder Verkehrsteilnehmer wird zur Bedrohung für die Sauberkeit. Dann geht es doch ganz ohne Schlammdusche in Richtung Panoramastraße. Auf dem Weg wird deutlich: Dieser Audi verdreht keinem den Kopf. Zumindest nicht auf Anhieb. Das Design der Limousine buhlt nicht um Aufmerksamkeit und ist in der neuen Version eher Evolution. Die Revolution gibt's innen. Außen ist man etwas länger, etwas breiter, etwas weiter, genauso niedrig wie der Vorgänger, dazu gibt es zwei Kanten mehr auf der Motorhaube, die Seitenlinie tut sich durch einen tiefen Knick hervor. Und natürlich einmal „Grill Royal" - das neue Audi-Gesicht, die große kantige Singleframe-Architektur auch für die Limousine. In einem A4 ist man schließlich als Single genauso unterwegs wie als Außendienstler und Familienvater - eine Brücke, die mit einem geduckten Sportwagendesign nicht zu schlagen ist. Dass da ein 1,4-Liter-Turbo-Benziner mit 150 PS Leistung werkelt, überrascht - zumindest auf dem Papier. Auf dem Fahrersitz übersetzen sich die 250 Newtonmeter Drehmoment in einen kraftvollen Antritt in jeder Kehre. Wer mehr will, für den lässt die Audi-Palette keine Leistungswünsche offen.
1 250 Meter Höhe. Keine besonderen Vorkommnisse. Auf einer Gletscherstraße kommt man selten dazu, den Blinker zu setzen. Erst geht es rauf. Dann geht es wieder runter. Ganz anders, wenn man mit einem Fotografenteam unterwegs ist. Jede Kehre ein potenzielles Motiv. Also Blinker setzen und anhalten. Und da beginnt der Zauber. Audi nennt es dynamisches Blinklicht. Während man im Innenraum das bekannte Klick-Klack hört, sorgt draußen eine kleine Lichtshow für ein Kinoprogramm im Rückspiegel. An Front und Heck leuchten die LEDs wie aufgeschnürt in Abbiegerichtung auf. Der Blick des Hintermanns sagt: „Das ist doch ein A4." Eben. Die Ingolstädter waren spendabel. 2013 feierten die Matrix-LEDs ihr Debüt auf der IAA in Frankfurt, im Audi A8. Zwei Jahre später ist der Technikvorsprung in der Mittelklasse angekommen. Für den Aufpreis von 1 900 Euro holt man sich intelligente LEDs an Bord, die bereits vor der Kurve wissen, wohin die Biegung geht, und sich entsprechend ausrichten. Dafür greift das System auf die Navigationsdaten zurück. Gut für Vergessliche: Die Matrix-LEDs erkennen den Gegenverkehr und blenden ab. So kann man Vollzeit mit Fernlicht unterwegs sein.
1 767 Meter Höhe. Die Panoramastraße führt am Gepatschspeicher vorbei. Der sechs Kilometer lange Stausee ist leer und wirkt, als hätte Roland Emmerich gerade eine Naturkatastrophe durch Tirol gejagt. Danach kommen die ersten steilen Anstiege. Der Kehrenspaß beginnt. Solange die Winterreifen noch Asphalt unterm Profil spüren, ist es Zeit, sich dem Audi Drive Select zu widmen. Drei Wörter, die für vier Auswahlmöglichkeiten stehen. Im Comfort-, Auto-, Dynamic- und Efficiency-Modus kann man Motor, Dämpfer und Lenkung regulieren. Egal, wie man unterwegs ist, die Hand hat nun für die nächsten Kurven ihren festen Platz auf dem Knauf der Sechsgangschaltung.
2 150 Meter Höhe. Der Asphalt ist unter einer Schneedecke verschwunden. Perfekt. Von vorne wird es verdächtig laut. Auf der Gegenspur schiebt sich ein Räumfahrzeug vorbei. Da hilft auch kein Poliertuch mehr. Bevor es zurück in die Waschstraße geht, ist da noch dieser Parkplatz. Eine einzige große weiße Schneewiese. Vor allem: eine leere Schneewiese. ESC aus, Dynamic-Modus an. Die Konturbeleuchtung an der Tür wechselt auf Rot. Die Lenkung wird direkter, die Dämpfung straffer. Start, links, rechts, links - und schon schlittert der Audi gediegen über den Parkplatz. Der Fahrer vom Schneepflug gegenüber wartet. Unbeeindruckt, um danach die frisch umgegrabene Fläche neu zu planieren. Genugtuung auf beiden Seiten.
Zurück auf 864 Meter Höhe. Tankstelle. Noch mal Premium Wash, bitte.
Und dann wieder hoch auf 2 150 Meter. Am Fahrbahnrand ein Schild: Ab hier Schneeketten. Die liegen im Kofferraum. Aber bei minus zwölf Grad sind die Ambitionen für einen Außeneinsatz gering. In dem Moment überholt uns ein Transporter - ohne Schneeketten. Die Entscheidung steht. Zehn Minuten später folgt das Wiedersehen. Der Bus steht quer auf der verschneiten Fahrbahn. Zirkelt in kleinen Wendekreisen und fährt zurück. Der Weg ist dann doch das Ziel. Der Asphalt ist mit einer festgefahrenen Mischung aus Schnee und Eis überzogen. Das ESC blinkt im Display auf. Die Limousine schiebt sich trotzdem weiter nach oben, macht, was getan werden muss.
2 500 Meter Höhe. Langsam bricht der letzte Kontakt zur Außenwelt ab. Die Straße verschwindet im Whiteout. Das Radio gibt nur noch Knack- und Kratzgeräusche von sich. Solange man sich nicht gerade eine Schräge hochkämpft, ist jetzt die beste Zeit für eine Pause am Fahrbahnrand. Wie immer, wenn man nichts tut, wirft man einen Blick aufs Smartphone. Oder auf das 8,3 Zoll große Farbdisplay, das auf der Mittelkonsole sitzt. Wer sein iPhone in einem der zwei USB-Ports unter der Mittelarmlehne einsteckt, aktiviert Apple Car Play. Der Bildschirm, der sonst das ganze Infotainment zeigt, spiegelt jetzt das iPhone. Zumindest bis zu einem gewissen Grad. Aber die gängigen Funktionen des Smartphones wie Telefonieren, Nachrichten schreiben, Navigieren oder Musik und Podcasts hören, lassen sich so nutzen. Das funktioniert auch für Android-Handys. Wer das Audi Smartphone Interface dazubucht, erhält die Apple-Version genauso wie Android Auto. Die optionale Phonebox lädt auch drahtlos auf, sofern das Telefon den Standard beherrscht (also iPhone schon mal nicht). Mit der Premiumversion des Multimediasystems MMI ist die Smartphonewelt endlich über die Bluetooth-Verbindung hinaus im Auto angekommen. Der A4 wird zum WLAN-Hotspot. Gesteuert wird das MMI übrigens nicht am Display, sondern per Sprachsteuerung oder über das Wählrad auf der Mittelkonsole, dessen Oberfläche berührungsempfindlich ist. Hier kann man Buchstaben und Zahlen schnell zeichnen und so das Navi füttern. Soweit zur fortgeschrittenen Gegenwart.
Die Zukunft rückt ins Blickfeld, wenn man zwischen dem Drei-Speichen-Lenkrad auf die Instrumente blickt. Die 500 Euro für das Virtual Cockpit sollte man investieren. Für die Mittelklasse-Limousine ist das die beste Oberklasseanlage. Statt analoger Instrumente zieht sich ein 12,3-Zoll-Display über die gesamte Breite. Die Einstellmöglichkeiten reichen vom klassischen Tacho mit Zusatzansichten über Radio und Telefonkontakte bis zur beeindruckenden 3D-Landschaft des Navis. Eine echte Spielwelt mit Lenkradsteuerung. Mit der man sich lange beschäftigen kann. So lange, dass man sogar den Wetterumschwung verpasst. Die Sonne blendet durch die Windschutzscheibe. Ein paar Meter vor dem Auto zeichnet sich die Gondelstation ab.
2 750 Meter. Auf der letzten Schräge sieht der A4 aus, als wäre er einer Quattro-Werbung entsprungen. Dabei ist das Einstiegsmodell ein Fronttriebler. Wer hätte das gedacht?