Herr Martinowitsch, wären Sie ein guter Schauspieler auf der Bühne?
Normalerweise sind Schriftsteller die
schlechtesten Schauspieler überhaupt. Denn wir erschaffen die Welten,
wir spielen sie nicht. Aber ich glaube, dass ich eine Chance hätte.
Eines Tages, nachdem ich als Schriftsteller gescheitert bin, werde ich
meinen Lebenslauf an das Münchner Volkstheater schicken und sie bitten,
mich für eine kleine Rolle zu casten.
Ihr Roman "Revolution", in dem Sie anhand eines Moskauer Geheimbunds von Macht, Gier und die Verführbarkeit des Menschen erzählen, erschien 2021 auf Deutsch. Die Theateradaption feierte letztes Jahr am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg Uraufführung. Jetzt ist sie auf der Bühne des Münchner Volkstheaters zu sehen. Was bedeutet es für Sie zu sehen, welche Eigendynamik Ihr Buch entwickelt hat?
Es ist für mich das wahrscheinlich wichtigste Ereignis der letzten Jahre. Gerade in
der jetzigen Zeit, in der ich so mitgenommen bin von all den
Entwicklungen um mich herum und von meiner Unsichtbarkeit in meinem
eigenen Land, in dem ich keinen neuen Roman schreiben, nicht einmal die
alten Romane vorstellen oder aus ihnen lesen kann. Es ist gerade
wirklich schwer, an die Öffentlichkeit zu gehen. Das nun hier in Form
einer Theateraufführung zu können, ist ein großes Geschenk. Es ist
eigentlich ein Wunder, dass ich hier in München bin, denn ich war zuvor
in einer ziemlich deprimierenden Stimmung. Aber als ich die Einladung
bekam, fühlte ich mich wieder als Schriftsteller, als jemand, der etwas
Neues und Wichtiges erschaffen kann. Das ist also eine wirklich wichtige
Sache für mich.
Sie konnten die Inszenierung bereits selbst sehen. Wie wurde in Ihren Augen die sehr komplexe Geschichte des knapp 400 Seiten lange Buchs auf die Bühne gebracht?
Zunächst einmal hat der Regisseur Philipp Arnold eine großartige
Aufführung inszeniert. Ich bewundere wirklich die Sprache, die er für
die Handlung des Romans gefunden hat. Literatur ist im Theater immer
eine sehr komplizierte Angelegenheit, denn sie erzählt uns viel über die
inneren Zustände und Gedanken der Figuren. Aber Philipp und sein Team
haben mit der Musik, den Videoelementen und auch mit dem Kostüm eine
sehr intensive Aufführung geschaffen, ohne die Welt des Romans
wortwörtlich darzustellen. Am Ende hatte ich das Gefühl, dass meine
Geschichte in einer anderen Sprache erzählt wurde. Und sie wurde sehr
schön und sehr brillant erzählt.
Sie schreiben selbst Theaterstücke. Einige davon sind in Ihrer Heimat Belarus verboten. Gibt es denn demnächst ein Stück von Ihnen zu sehen?
Nein, leider nicht. Wenn sie denn nur den
Platz auf einer Bühne bekommen würden. Letztes Jahr unternahm ich meinen
letzten Versuch, veröffentlicht zu werden. Ich habe ein sehr lustiges Stück geschrieben. Eine Komödie über die Beziehung eines jungen Dichters zu seinem Tod. Sie
ist wirklich frei von jeglicher Politik. Ich habe mein Bestes gegeben.
Eines der Staatstheater in Belarus kaufte das Stück und zahlte mich im
Voraus. Aber das Stück wurde verboten und sie zwangen mich, den
Vorschuss zurückzugeben. Können Sie sich das vorstellen? Das war die Krönung
meiner Demütigung. Und weil sie mir den Vorschuss abzüglich der Steuern
gezahlt haben, musste ich mehr Geld an den Staat zurückzahlen, als ich
im Voraus für das abgesagte Stück erhalten hatte. Das sind die
Geschichten, mit denen ich mich gerade befassen muss.
In "Revolution" heißt es angelehnt an Nietzsche: "Den Menschen treibt nicht der Wille zur Macht, sondern der Wille zur Unterordnung." Wie verhält sich diese Beschreibung zu den Beobachtungen und Erfahrungen aus Ihrem eigenen Leben?
Das Thema der Unterordnung ist nicht nur auf Belarus und Russland
beschränkt. Die Macht, die immer mit der Unterordnung einhergeht ist in
jeder Art von Beziehung zu finden. Und natürlich ist sie in Belarus
und Russland viel offensichtlicher. Sie ist viel rauer, härter und
bitterer, aber sie ist auch hier in der westlichen Welt vorhanden. Bei
einer Passkontrolle ist man etwa jedes Mal mit der Macht des
Nationalstaats konfrontiert. Macht ist überall. Sie liegt in der Luft
und die einzige Frage ist, ob du bereit bist, dich von ihr verführen zu
lassen. Ob du bereit bist, deine Seele als Gegenleistung für die
Verlockungen herzugeben, die dir Macht und Dominanz bieten.
Wie gehen die Menschen in Belarus mit ihrer momentanen Situation um?
Es ist sehr schwer, darüber in ein paar
Sätzen zu reden. Man hat das Gefühl, dass man der einzige Normale
inmitten von Verrückten ist, weil wir keine unabhängigen Medien mehr
haben. Wir haben keine selbstbewussten Stimmen mehr. Alles, was man aus
dem Internet erfährt, ist Propaganda. Aber ich denke, die meisten
Menschen in meinem Land verstehen sehr gut, dass Gewalt etwas sehr
Schlechtes ist und dass wir in Frieden und mit guten Beziehungen zu
unseren Nachbarn leben sollten anstatt Krieg mit ihnen zu führen.
Ihr erster Roman "Paranoia" wurde 2009 kurz nach Erscheinen in Belarus verboten, alle Exemplare von "Revolution" wurden beschlagnahmt, 2021 saß Ihr Verleger kurzzeitig im Gefängnis. Warum, glauben Sie, lösen Ihre Bücher bei den Machthabern solche Ängste aus?
Wahrscheinlich können
Bücher etwas magisches bewirken. Denn der einzige Weg, Werte zu ändern,
besteht nicht darin, einzumarschieren und mit Waffen zu agieren,
sondern zu versuchen, mit Kultur und Literatur zu arbeiten. Das Wort ist
eine der mächtigsten Quellen, um die Werte zu ändern. Ich glaube, das
verstehen sie und deshalb haben sie Angst vor Worten.
Der einzige Weg, Werte zu ändern, besteht nicht darin, einzumarschieren und mit Waffen zu agieren, sondern zu versuchen, mit Kultur und Literatur zu arbeiten.
"Revolution" und auch Ihr aktuellstes Buch "Nacht", das vor wenigen Tagen auf Deutsch erschien, bestechen vor allem durch ihren sehr klugen und amüsanten Schreibstil. Fällt es Ihnen angesichts der düsteren Gegenwart schwer, diese Art des Schreibens beizubehalten und nicht in eine Art Fatalismus zu verfallen?
Wenn du schreibst, reproduzierst du dich
selbst. Man kann ein Buch nicht beenden, wenn man nicht daran glaubt
oder wenn man nicht selbst aus diesem Buch besteht. Ich denke, meine
Natur ist die eines lustigen Menschen. Ich lache gerne. Ich lache, um
mich über Dinge lustig zu machen, sogar in Zeiten wie diesen. Ich will
nicht stumpfsinnig werden. Der Schriftsteller Vladimir Nabokov hat einen
wunderschönen
Kurzroman mit dem Titel "Einladung zur Enthauptung" geschrieben. In
diesem Roman, der in seiner Essenz sehr antitotalitär ist, sagt er, dass
der einzige Weg, sich dem Totalitarismus zu widersetzen, das Lachen
ist. Je mehr man lacht, desto weniger Möglichkeiten gibt es, von den Machthabern unterdrückt und besessen zu werden.
Ist es für Sie überhaupt noch möglich, angesichts des Krieges und Ihrer Situation in Belarus zu schreiben?
Ich war lange Zeit still. Mein letzter Versuch, veröffentlicht zu werden, war im letzten Jahr, als ich versuchte, mit dem bereits erwähnten Stück über
den Tod eines Dichters an die Öffentlichkeit zu gehen. Danach habe ich
mir das Schreiben einfach verboten. Warum sollte man sich denn noch die
Mühe machen? Aber ich habe mich einfach wieder hingesetzt und
geschrieben. Ich arbeite gerade an einem Roman über
all die Dinge, die ich in den letzten drei Jahren um mich herum
beobachtet habe. Es wird eine sehr realistische Geschichte mit einer
sehr starken moralischen Komponente werden.
Viktor Martinowitschs Roman "Revolution" in der Regie von Philipp Arnold ist ab 23. März 2023 im Münchner Volkstheater zu sehen.
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