Tobias Hausdorf

freier Journalist & Podcaster, Berlin

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Wie Oligarchen versuchen, Interpol zu unterwandern - DER SPIEGEL - Politik

Der Turkish-Airlines-Flug 0272, der Mitte September vergangenen Jahres von der moldauischen Hauptstadt Chisinau abhob, hatte eine besondere Fracht an Bord: einige Tausend Geschenkboxen, darin - angeblich - traditionelle Puppen und Bildbände, außerdem "Ausrüstung für Tänzer". So stand es zumindest in den Frachtpapieren. Deklariert waren die 2,286 Tonnen als diplomatisches Gepäck, das nicht geöffnet werden dürfe.

Tatsächlich soll die Ladung vor allem aus Spirituosen bestanden haben - der Absender jedenfalls war ein berühmtes Weingut in Moldau. Mehrere Hundert Liter Wein, Wodka und Kognak flogen nach Peking, genauer: zur Generalversammlung der Weltpolizeiorganisation Interpol. Dort sollten sie auf einer Party Hunderte geladene Gäste für den osteuropäischen Kleinstaat Moldau einnehmen.

Die hochprozentige Operation hatte offenbar Erfolg. Kurz darauf wählte die Versammlung der globalen Gesetzeshüter einen hochrangigen Polizeibeamten Moldaus als Vertreter Europas ins Exekutivkomitee von Interpol. Sein Name: Fredolin Lecari. Bereits 2016 war sein Landsmann Vitalie Pîrlog in ein Spitzenamt der globalen Polizeiorganisation gewählt worden.

Menschenrechtsaktivisten und Juristen reagierten auf die Personalie aus Peking mit Kopfschütteln. Kritiker von Interpol befürchten, dass sich dahinter der Versuch von autokratischen Herrschern und internationalen Verbrecherorganisationen verbergen könnte, Einfluss auf die Spitzenorganisation der weltweiten Verbrechensbekämpfung zu nehmen. Ziel sei das mächtigste Instrument, über das Interpol verfügt: die Fahndungsliste international gesuchter Verbrecher.

Diese Liste ist einerseits ein Segen, weil sie hilft, Kriminelle rund um den Erdball zu suchen. Andererseits sind die Fahndungslisten anfällig für Missbrauch. Diktatoren könnten ihren Gegnern Straftaten anlasten, die sie nicht begangen haben. Auf dieselbe Weise könnten kriminelle Oligarchen versuchen, Konkurrenten auszuschalten. Die Hinweise mehren sich, dass es zwischen befreundeten Schurkenstaaten eine regelrechte Zusammenarbeit gibt, um Interpol für politische Zwecke zu missbrauchen.

Der Europarat etwa hat Interpol im vergangenen Herbst scharf kritisiert, nachdem die Türkei in der Folge des Militärputsches Oppositionelle per Interpol suchen ließ. Einer davon war der deutsch-türkische Schriftsteller Dogan Akhanli, den die spanische Polizei in Granada festsetzte, aber nicht an die Türkei auslieferte.

Andere hatten weniger Glück. 2017 wurden drei Journalisten aufgrund türkischer Fahndungsersuche in der Ukraine festgenommen. Ein anderer politisch Verfolgter aus der Türkei, den die Behörden in Myanmar verhaftet hatten, wurde nach Thailand abgeschoben, von dort brachte ihn ein Gefangenentransport des türkischen Staats in die Heimat. "Interpol muss den Missbrauch der internationalen Fahndungsaufrufe weiter erschweren", fordert der CSU-Politiker Bernd Fabritius, der im Auftrag des Europarats Reformvorschläge für Interpol erarbeitet hat.

Noch besorgter sind westliche Politiker, auch Fabritius, über die jüngsten Personalmeldungen aus dem Geldwäscheparadies Moldau, in dem oligarchische Machtcliquen die Spitzen von Regierung und Verwaltung durchsetzen.

Der neue Interpol-Gesandte Lecari etwa gilt als Vertrauter des Oligarchen Wladimir Plahotniuc, der in Moldau die Fäden in Wirtschaft und Politik zieht und dem Verbindungen in die Unterwelt nachgesagt werden. Plahotniuc ist zudem Chef der Demokratischen Partei in der Republik Moldau.

Lecari leitete in den vergangenen Jahren das Verbindungsbüro Interpols in Moldau. Oppositionspolitiker werfen ihm vor, in einen Skandal um die Weitergabe vertraulicher Informationen aus dem Computersystem von Interpol an Geschäftsleute verwickelt zu sein. Eine Interpol-Sprecherin erklärte auf Anfrage, es sei "komplett falsch", anzunehmen, dass Einzelpersonen Einfluss auf Fahndungsaufrufe nehmen könnten.

Der zweite Moldauer an der Interpol-Spitze genießt gleichfalls einen zweifelhaften Ruf. Vitalie Pîrlog tritt als Datenschutzexperte auf. Tatsächlich war er in jener Zeit Justizminister, als die Demokratiebewegung in Moldau durch das Regime blutig unterdrückt wurde.

"Pîrlog und Lecari sind Teil eines Konglomerats aus Politikern und Oligarchen, die die Republik Moldau als ihren Privatbesitz betrachten", sagt Ana Ursachi. Die Anwältin kämpfte einst für politische Häftlinge in Moldau, jetzt ist sie ins polnische Exil geflohen.

Die resolute Frau rätselt, wie ausgerechnet Pîrlog zum Leiter einer Kommission ernannt werden konnte, die bei Interpol klären soll, wer aus politischen Gründen auf die Fahndungsliste gekommen ist. Bei Interpol gehen jeden Monat Tausende Fahndungsmeldungen ein. "Unrechtsstaaten spekulieren wohl darauf, dass politische Fälle durchrutschen", sagt Nikolaos Gazeas, Experte für internationales Strafrecht. In jüngster Zeit seien Fahndungsaufrufe, sogenannte Red Notices, aus Ländern wie Aserbaidschan, China oder der Türkei deutlich gestiegen.

Für die Gesuchten beginnt damit oft ein schmerzlicher Weg. Entweder werden sie wie aus heiterem Himmel ins Gefängnis gesteckt. Und selbst wenn die Behörden nicht zugreifen - wer auf einer Fahndungsliste steht, hat es schwer, eine Wohnung zu mieten oder auch nur einen simplen Handyvertrag abzuschließen. Außerdem erfordert es einen enormen juristischen Aufwand, bis man wieder von der Liste gestrichen wird.

Deswegen ist die Personalie Pîrlog so brisant. Die Kommission unter seinem Vorsitz musste sich vergangenen Oktober mit dem Fall eines moldauischen Oppositionspolitikers beschäftigen. Der war nach Russland ins Exil geflohen und stand seitdem auf Antrag seines Heimatlandes auf der Fahndungsliste - weil er angeblich einen Mord in Auftrag gegeben hatte. Ein Sprecher der Kommission entgegnet, Mitglieder des Gremiums dürften nicht über Fälle entscheiden, wenn ihr Heimatland betroffen sei. Missbrauch von Fahndungsaufrufen komme extrem selten vor, allerdings sei jeder Fall "einer zu viel".

Menschenrechtsaktivistin Ursachi berichtet von einem merkwürdigen Besuch ihres Landsmanns, des Oligarchen Plahotniuc, im Spätsommer vergangenen Jahres in Ankara - mitten in der türkischen Hatz auf angebliche Regimefeinde. Dort traf der dubiose Geschäftsmann, der in Moldau kein offizielles Amt bekleidet, den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. Am selben Tag empfing der Staatsführer einen weiteren Gast mit militärischen Ehren: Russlands Staatschef Wladimir Putin.

Ursachi warnt: "Wir müssen Interpol davor schützen, Handlanger der organisierten Kriminalität und der Autokraten dieser Welt zu werden." Pîrlog wurde mittlerweile von Interpol abgezogen. Sein neuer Job: Geheimdienstchef in Chisinau.

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