Tobias Brück

Sozialwissenschaftler & freier Journalist

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Artikel

Präsidentschaftswahlen in Frankreich 2022

48,7 Millionen Wahlberechtigte waren am 24. April in Frankreich dazu aufgerufen, einen neuen Präsidenten oder eine Präsidentin zu wählen. Der amtierende Staatspräsident Emmanuel Macron hat die Stichwahl um das Präsidentenamt gegen seine rechte Herausforderin Marine Le Pen gewonnen. Er erhielt laut dem vorläufigen Endergebnis 58,5 Prozent der Stimmen, Le Pen kam auf 41,5 Prozent. Rund 28 Prozent der Wahlberechtigten entschieden sich dagegen, ihre Stimmen abzugeben. Somit ist die Wahlbeteiligung im Vergleich zur letzten Wahl im Jahr 2017 von etwa 74,5 auf 72 Prozent gesunken. 8,6 Prozent der abgegebenen Stimmen waren ungültig oder leer. Die Wahl galt als richtungsweisend für Frankreich und Europa. Nun steht fest, dass Macron für weitere fünf Jahre in den Élysée-Palast einziehen wird.

Macron erhielt auch bei der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen am 10. April mit 27,85 Prozent die meisten Stimmen. Die zweitplatzierte Marine Le Pen erhielt 23,15 Prozent. Auf Platz drei folgte Jean-Luc Mélenchon mit etwa 22 Prozent. Éric Zemmour kam auf 7,1 Prozent. Valérie Pécresse erhielt 4,8 Prozent, Yannick Jadot 4,6 Prozent und Anne Hidalgo 1,7 Prozent der Stimmen.

Der Präsident steht im Zentrum des politischen Geschehens Frankreichs und an der Spitze eines stark zentralisierten Staatswesens. Sowohl in der Außen- als auch der Innenpolitik bestimmt der Präsident die politische Agenda des Landes. Derzeit amtierender Staatspräsident ist seit 2017 Emmanuel Macron. Er ist Mitglied der von ihm gegründeten, als liberal und proeuropäisch geltenden, Partei La République en Marche. In der Assemblée Nationale (Nationalversammlung) hält die Partei die absolute Mehrheit.

kurz erklärtDas französische Wahlsystem

Der französische Präsident wird in allgemeinen und freien Wahlen direkt vom Volk gewählt. Alle französischen Staatsbürgerinnen und Staatsbürger, die das 18. Lebensjahr vollendet haben und sich zuvor in ein Wählerverzeichnis eingetragen haben, sind berechtigt, an der Wahl des Staatspräsidenten teilzunehmen. Die Amtszeit beträgt 5 Jahre. Es ist möglich, beliebig oft wiedergewählt zu werden, jedoch dürfen höchstens zwei Amtszeiten unmittelbar aufeinanderfolgen.

Bei der französischen Präsidentschaftswahl gilt das Mehrheitswahlrecht. Wer im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit der Stimmen erhält, wird Staatspräsident. Wenn kein Kandidat oder keine Kandidatin die notwendigen Stimmenanzahl erreicht, findet zwei Wochen später ein zweiter Wahlgang statt. In dieser Stichwahl treten die beiden Kandidaten mit den meisten Stimmen aus dem ersten Wahlgang gegeneinander an. Die Wahl gewinnt, wer im zweiten Wahlgang die meisten Stimmen und damit die absolute Mehrheit erzielt.

Zumeist nominieren Parteien oder politische Lager eine Kandidatin oder einen Kandidaten. Man kann aber auch eigenständig eine Kandidatur erklären. Bewerberinnen und Bewerber für das höchste Staatsamt müssen die französische Staatsangehörigkeit besitzen, wahlberechtigt und über 18 Jahre alt sein. Zudem müssen sie die Unterschriften von 500 gewählten Vertreterinnen und Vertretern aus mindestens 30 verschiedenen Departements sammeln, wobei nicht mehr als 10 Prozent dieser Vertreter/-innen aus dem gleichen Departement stammen dürfen. Diese Hürde soll Kandidaturen von nationaler Tragweite absichern, steht aber auch in Kritik, da bereits aussichtsreiche Kandidaten wie Marine Le Pen und Jean-Luc Mélenchon drohten an ihr zu scheitern.

Die Kandidatinnen und Kandidaten hatten im Zeitraum vom 27. Januar bis zum 4. März 2022 die Gelegenheit, die erforderlichen Unterschriften für ihre Kandidatur vorzulegen. Bei der Präsidentschaftswahl 2022 haben 12 Kandidatinnen und Kandidaten genug Unterstützerinnen und Unterstützer gefunden, um zur Wahl antreten zu können.

Die französische Parteienlandschaft gilt als zersplittert und instabil. In den letzten Jahren kam es immer wieder zu Neugründungen, Spaltungen, Umbenennungen und Auflösungen. Macrons Präsidentschaft war innenpolitisch von den Gelbwestenprotesten und der Corona-Pandemie sowie außenpolitisch von europapolitischen Ambitionen geprägt. Zuletzt dominierte der Krieg Russlands gegen die Ukraine das politische Tagesgeschehen und auch die letzte Etappe des Wahlkampfes um das Präsidentenamt in Frankreich.

Die Kandidatinnen und Kandidaten

Der amtierende Staatspräsident Macron gehörte vor der Gründung seiner Bewegung La République en Marche der Sozialistischen Partei an und war Wirtschaftsminister unter François Hollande. Macron steht für Wirtschaftskompetenz, gesellschaftspolitischen Liberalismus und eine proeuropäische Haltung.

Seine größte Konkurrentin war die langjährige Parteichefin des als rechtsextrem eingestuften Rassemblement National (früher: Front National), Marine Le Pen, die auch 2017 die Stichwahl gegen Macron verlor. Ihre zentralen Wahlkampfthemen waren die Kaufkraft und Migrationspolitik. Le Pen zeichnet sich durch eine zuwanderungsfeindliche sowie nationalistische Position aus und agitiert gegen die Europäische Union. Die Idee einer multikulturellen Gesellschaft lehnt Le Pen ab. Sie möchte die Migration nach Frankreich, in der sie eine Gefahr für die innere Sicherheit und die nationalen Werte sieht, eindämmen.

Jean-Luc Mélenchon, Vorsitzender der als linkspopulistisch bezeichneten Partei La France insoumise (Unbeugsames Frankreich) trat als aussichtsreichster Kandidat der politischen Linken an. Er inszenierte sich in den vergangenen fünf Jahren als Oppositionsführer im französischen Parlament. Mélenchon richtet sich gegen die Wirtschafts- und Sozialpolitik von Präsident Macron, die in seinen Augen die soziale Spaltung im Land vorantreibe. Der EU-Gegner fordert eine Erhöhung des Mindestlohns, die Einführung einer 32-Stunden-Woche sowie die Rente ab 60 Jahren.

Der rechtsextreme Publizist und Autor Éric Zemmour kämpfte für seine Bewegung Reconquête (Rückeroberung) um den Einzug in den Élysée-Palast. Mit seinen provokanten Thesen zur Zuwanderung und der vermeintlichen Islamisierung Frankreichs sowie seiner aggressiven Rhetorik sorgt Zemmour regelmäßig für öffentliche Aufregung. Zemmour wurde bereits drei Mal - zuletzt im Januar 2022 - wegen rassistischer und volksverhetzender Aussagen von französischen Gerichten verurteilt.

Für die konservativen Républicains zog Valérie Pécresse ins Rennen um das Präsidentenamt. Sie versuchte sich mit Wirtschafspolitik und innerer Sicherheit zu profilieren. Unkontrollierte Einwanderung will sie stoppen und den Islamismus bekämpfen. Sie fordert eine Reform des Schengen-Raums, eine gemeinsame EU-Migrationspolitik, einen Abbau von Staatsschulden und mehr Wirtschaftsförderung.

Der Abgeordnete im EU-Parlament Yannick Jadot wollte für die französischen Grünen, Europe Écologie - Les Verts (EELV), in den Élysée-Palast einziehen. Er möchte Frankreich und Europa in eine klimaneutrale Zukunft führen und dabei Wirtschaftswachstum und Ökologie miteinander verknüpfen.

Die amtierende Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo trat für den Parti socialiste, die französischen Sozialdemokraten, als Präsidentschaftskandidatin an. Sie setzt sich für einen sozial-ökologischen Wandel, Umverteilung und soziale Gerechtigkeit ein.

Wahlkampfthemen

Die Wahlen fanden vor dem Hintergrund des Kriegs Russland gegen die Ukraine und der Corona-Pandemie statt. Staatspräsident Macron versuchte mittels diplomatischen Bemühungen, einen Krieg in Europa zu verhindern und erneuerte seine Forderung nach mehr europäischer Souveränität und einer europäischen Verteidigungsallianz als Ergänzung zur NATO. Auch wenn der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine andere politische Herausforderungen in den Hintergrund gerückt hat, spielten auch andere Themen im französischen Wahlkampf eine wichtige Rolle.

So nahm die Migrationspolitik und die damit verknüpften Fragen nach der französischen Identität im Wahlkampf 2022 viel Raum ein. Vor allem die konservativen und rechten Kräfte in Frankreich versuchten sich mit den Themen Identität und Einwanderung zu profilieren. Frankreichs Rechte und Konservative verknüpften dazu auch Sicherheitsdebatten mit Integrations- und Einwanderungsfragen. Dabei ging es ihnen nicht nur um Fragen von Recht und Ordnung, sondern sie stellten Migration als Problem für die innere Sicherheit des Landes und den gesellschaftlichen Zusammenhalt Frankreichs dar.

Bei der Präsidentschaftswahl entscheidend, waren auch gesellschaftliche Konfliktlinien rund um Kaufkraft und soziale Gerechtigkeit. Seit der Revolte der Gelbwestenbewegung ist die soziale Frage zu einem zentralen Thema der französischen Politik geworden. Viele Angehörige der Mittelschicht und Arbeiterinnen und Arbeiter klagen über den Verlust von Kaufkraft oder befürchten diesen. Die Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums hat auch nach Abebben der Bewegung nichts an seiner politischen Sprengkraft eingebüßt. Parteien aus unterschiedlichen Lagern versuchten diese für sich zu nutzen.

Der Wahlkampf fiel 2022 mit der französischen EU-Ratspräsidentschaft zusammen. Das Thema Europa war kontroverser als je zuvor. Während sich der rechte und linke Rand gegen die EU positionierte, forderte Präsident Macron mehr Macht für die Staatengemeinschaft und inszeniert sich als Impulsgeber für deren Erneuerung.

Zunächst waren energie- und klimapolitische Diskussionen im französischen Wahlkampf wenig präsent. Doch durch die steigenden Energiepreise vor dem Hintergrund des Kriegs gegen die Ukraine rückten die Themen mehr in den Vordergrund. Auch die Debatte um die Zukunft der Atomenergie gewann durch die Preisinflation und die EU-Taxonomie-Richtlinie, wonach Nuklearenergie als nachhaltig eingestuft wurde, wieder an Aktualität.

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Tobias Brück ist Volontär in der Online-Redaktion der bpb. Er studierte Soziologie und Politikwissenschaft in Rostock, Bremen, Prag, Berlin und Paris. Zudem arbeitete er u. a. für verschiedene Zeitungen und das Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB).

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