Mit ganz großem Kawumm wollte Karin Beier in ihre Intendanz am Deutschen Schauspielhaus Hamburg starten: mit dem Sechs-Stunden-Wurf "Die Rasenden", einem Klassiker-Marathon nach Euripides und Aischylos, nach Jean-Paul Sartre und Hugo von Hofmannsthal, mit legendären Figuren der Antike wie Agamemnon und Iphigenie, Orest und Elektra, mit Schauspielstars wie Lina Beckmann und Joachim Meyerhoff, Birgit Minichmayr und Götz Schubert. Doch die Pläne endeten mit einem ebenso großen Kawumm: mit einem Unfall, bei dem der eiserne Vorhang den Bühnenboden des Großen Hauses durchschlug.
Die Premiere musste auf den 18. Januar verschoben werden, und so geriet zur Eröffnung der Spielzeit am Wochenende eine völlig anders geartete Produktion in den Fokus: "Schwarze Augen, Maria", eine Performance-Installation des dänisch-österreichischen Künstlerduos Signa, ein zeitgenössisches Experiment, das nicht auf der Bühne des Schauspielhauses stattfindet, sondern in der ehemaligen Elise-Averdieck-Schule. Es ist nicht weniger verstörend als die "Orestie". Den Zuschauern schlug nicht antike Wucht entgegen, sondern eine perfekt simulierte Parallelwelt, die sie Minute für Minute mehr in sich aufsog. Als sie sie wieder ausspuckte, waren auch hier sechs Stunden vergangen.
Signa hat in dem Schulgebäude das Haus Lebensbaum eingerichtet, ein Heim für betreutes Wohnen, das die Theaterbesucher zu einem Tag der offenen Tür eingeladen hat. Auf den Böden liegen beigefarbene Teppiche, vor den Fenstern hängen nikotinfarbene Spitzengardinen, ein Geruch nach Kippen und Kantinenfraß, nach Wodka und Birnenbrand, nach Weichspüler und billigem Deo wabert umher. Die Bewohner tragen pinke Plüschpantoffeln und pastellfarbene Jogginghosen ...