Tobias Appelt

Freier Journalist, Duisburg

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Italienisch essen im Revier - Wie die Pizza das Ruhrgebiet eroberte

Die Pizza fand in den 60er Jahren ihren Weg ins Ruhrgebiet.Foto: WAZ FotoPool

Essen. Pizzerien gibt es in Deutschland heute an jeder Straßenecke. Doch als die ersten Pizza-Bäcker in den 60er Jahren das italienische Nationalgericht ins Ruhrgebiet brachten, hatten sie es nicht leicht: Die meisten Einheimischen standen dem großen "Pfannekuchen" zunächst skeptisch gegenüber.

„Pizza? Das lassen Sie mal schön bleiben! So was wollen die Leute hier nicht." Der Vermieter war also dagegen. Und da man einem Vermieter nicht widerspricht, blieb Salvatore de Rosis nichts anderes übrig, als mit Hähnchen, Pommes und Mayonnaise in die Selbständigkeit zu starten. Damals, 1968 in der Oberhausener Helmholtzstraße, war das alte Adenauer-Motto „Keine Experimente" offensichtlich noch gängige Meinung.

Doch davon wollte der junge Italiener nichts wissen. Er wollte kochen. Er wollte zaubern. Er wollte den Deutschen zeigen, was die Küche seines Heimatlandes alles zu bieten hat. Nur eben dafür waren die Deutschen noch nicht bereit. Nun war Salvatore de Rosis aber ein Mann, der schon oft beweisen musste, dass er seinen Willen durchsetzen kann.

Selbstgemachte Eiscreme

Als er 1937 in der kalabrischen Ortschaft Spezzano Albanese geboren wurde, schien sein Lebensweg vorgezeichnet. Der Vater hatte bestimmt, dass der Sohn eines Tages den elterlichen Hof übernehmen soll. Doch Salvatore hatte einen anderen Plan. Er sah die vielen Eselskarren und Pferdegespanne, die tagaus, tagein durch sein Dorf zogen. Er sah die müden und durstigen Reiter und Reisenden. Er träumte von einem eigenen Café, in dem er sie bewirten kann. Doch diesen Wunsch des Sohnes tat der Vater als „Hirngespinst" ab. Salvatore de Rosis übernahm nicht den Hof. Stattdessen ging der junge Mann zum Militär. Und arbeitete dort als Koch. Doch die Zeit beim Militär ging irgendwann vorbei.

Das "Salvatore" in Oberhausen ist die älteste Pizzeria des Ruhrgebiets.

Den Hof des Vaters zu übernehmen, kam Salvatore de Rosis noch immer nicht in den Sinn. Und noch immer wollte sein Vater diese Entscheidung nicht akzeptieren. Salvatore sah nur einen Ausweg. Er schnappte sich ein Kalb vom Vater, verkaufte es auf dem Markt, investierte das Geld in einen neuen Anzug und eine Zugfahrkarte nach Deutschland. Dort wollte er sein Glück machen.

Salvatore de Rosis fand eine Anstellung in Essen: „Zeche Zollverein, Schacht 3/10". In der Stadt blieb er von 1961 bis 1964. So steht es in seinem Arbeitsbuch. Das erste selbstverdiente Geld schickte Salvatore de Rosis in die Heimat - als Wiedergutmachung für das „geliehene" Kalb. Dann hatte er genug Startkapital beisammen, um sich den Traum vom eigenen Café zu erfüllen. In Gladbeck fand er die passenden Räumlichkeiten, und auch ein Name stand rasch fest: „Bella Napoli". Im Angebot hatte Salvatore de Rosis selbstgemachte Eiscreme - und regelmäßig gab es Live-Musik.

Sein Eis-Café wurde Anlaufstelle für die steigende Zahl italienischer Gastarbeiter im Revier. Der Laden brummte, die Zeit war reif für weiteres Wachstum. Die Zeit war reif für eine Pizzeria! 1968. Oberhausen, Helmholtzstraße. Der Mietvertrag ist also unterschrieben. Und der Vermieter will, dass Salvatore de Rosis' Pizzeria eine Pommes-Bude wird. Doch auch in diesem Fall fand de Rosis einen Ausweg. „Er hat einfach nach und nach, ohne dass es groß auffiel, immer mehr italienische Gerichte in die Karte aufgenommen", sagt die Nichte des 2005 verstorbenen Pizza-Pioniers, Rosetta Leone (54), als sie seine Lebensgeschichte erzählt.

Wenn sie heute an die Skepsis der damaligen Vermieter denkt, muss sie schmunzeln. „Inzwischen sind wir die älteste Pizzeria im Ruhrgebiet." Und Salvatore ist ein Stück weit unsterblich geworden: Durch den Namen des Restaurants und durch die Pizza, die bis heute seinen Namen trägt - „Pizza Salvatore", knuspriger Teig, belegt mit Schinken, Salami, Pilzen, Paprika, Tunfisch, Oliven und Artischocken.

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