Tim Schleinitz

Journalist, Historiker, Medienschaffender, Berlin

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Radio-Beitrag

Utopisches Erinnern an die Klimakatastrophe?

Gesendet im Magazin Zeitfragen

Wenn es nach den Aktivist:innen der Letzten Generation geht, dann ist das Brandenburger Tor ein Symbol für einen Wendepunkt in der Klimapolitik. Nicht nur Berlins regierender Bürgermeister Kai Wegner von der CDU sieht das sehr anders. Er wird bei Zeit Online und Focus mit den Worten zitiert:

„Mit diesen Aktionen beschädigt diese Gruppe nicht nur das historische Brandenburger Tor, sondern auch unseren freiheitlichen Diskurs über die wichtigen Themen unserer Zeit und Zukunft. “

Auch viele Leser:innen nicht nur bei Zeit Online fühlen sich angegriffen und hinterlassen Kommentare unter dem Text. Denn die letzte Generation will mit oranger Farbe einem der Symbole bundesdeutscher Identität eine neue Bedeutung geben. Ganz abgesehen von der Gesetzeslage etwa zu Sachbeschädigung: Viele Kommentare sehen darin einen auch Angriff auf das, wofür das Brandenburger Tor stehen soll: Mauerfall, Vereinigung, Demokratie.

„Der intentionale Versuch, ein Denkmal oder den Sinn eines Denkmals zu überschreiben, ist natürlich schon etwas Übergriffiges, weil Denkmäler eingerichtet werden in Gesellschaften mit einer spezifischen Erinnerungsfunktion, ein bestimmtes historisches Ereignis für die Zukunft sozusagen zu memorieren.“

Erklärt Rüdiger Graf, Historiker und Abteilungsleiter am Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam. Allerdings: die Beseitigung von Denkmälern oder die Umschreibungen ihrer Bedeutung seien recht häufig, sagt er. Zum Beispiel das Brandenburger Tor. Als ein nationales Denkmal wurde es erstmals im 19. Jahrhundert wahrgenommen, als:

„Napoleon die Quadriga abgebaut hat und nach Paris gebracht hat. Und dann nach den anti-napoleonischen Kriegen ist sie im Triumphzug nach Berlin zurückgebracht worden und wieder auf das Brandenburger Tor gesetzt worden ist. Dass das da sozusagen eine bestimmte Form des nationalen Denkmals war, grade im Konflikt mit Frankreich. Was aber in der Gegenwart überhaupt nicht mehr so erinnert wird.“

Denn diese Sinnzuschreibung des 19. Jahrhunderts würde überlagert von der Geschichte der Mauer und der friedlichen Revolution. Die Historikern Hedwig Richter argumentiert ähnlich. Und sie setzt kurz nach der Aktion der letzten Generation einen Tweet ab, der auf große Ablehnung stößt. Und über den (auch wenn er nicht mehr abrufbar ist) viel berichtet wird:

„Ein würdiger Gebrauch unseres Nationaldenkmals. Mir fällt momentan kein besserer ein.“