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Sie nennen das Spionage

In Herat haben die Taliban den jungen Journalisten Morteza Samadi festgenommen. Er hat über eine Demonstration berichtet. Droht ihm die Todesstrafe?


Die Taliban haben unlängst ihr Mediengesetz verkündet: elf Regeln, die Journalismus in Afghanistan massiv einschränken. Was sie bedeuten, zeigt die Festnahme eines Journalisten in Herat. Morteza Samadi, 24, ist freiberuflicher Fotojournalist, er studiert im siebten Semester Jura. Seit drei Wochen ist er in Haft, wie sein Bruder Mustapha, der in Berlin lebt, berichtet. Die Familie in Herat versucht vergeblich, vor Ort und auf nationaler Ebene Einfluss zu nehmen.

Die Organisation Reporter ohne Grenzen (ROG) ist durch Berichte von Kollegen auf den Fall aufmerksam geworden, wie Katja Heinemann sagt. Sie leitet die Nothilfearbeit von Reporter ohne Grenzen. Sie erhalte viele Nachrichten von Kollegen aus der Region mit der Bitte um Hilfe für Morteza Samadi.

Todesstrafe ein Gerücht?

Am Dienstag bekam Reporter ohne Grenzen die Nachricht, Samadi solle hingerichtet werden. Dies dementierte Herats Vizegouverneur Molavi Shir Ahmad Ammar jedoch umgehend. Die Taliban haben in Herat gerade erst die Leichen von vier erschossenen mutmaßlichen Entführern zu Schau gestellt und die Rückkehr zu drakonischen Strafen angekündigt. Festgenommen wurde Morteza Samadi am 7. September, als er auf einer Demonstration in Herat Bild- und Videomaterial aufnahm. Das sei „ein gravierendes Beispiel für dem Umgang der Taliban mit freien Medienschaffenden", sagt Katja Heinemann.

Und es sei typisch, in den vergangenen Wochen seien mehrere Journalisten bei Protesten festgenommen worden. So wolle man sie einschüchtern. Sie werden über Nacht festgesetzt und vor Gericht verwarnt. Morteza Samadi blieb in Haft, mittlerweile sitzt er seit drei Wochen ein, zunächst im nationalen Sicherheitsbüro in Herat, inzwischen im Gefängnis. In der Haft musste Samadi offenbar seine Passwörter für soziale Netzwerke preisgeben - unter welchen Bedingungen er dies tat, ist unklar. Auf seinem Facebook-Profil fanden die Taliban einen von Samadi geteilten Aufruf zu der Demonstration, auf der er festgenommen wurde. Dann veröffentlichten die Taliban Facebook-Beiträge unter Samadis Namen. Kontakte zu Nachrichtenagenturen sollen sie auf seinem Mobiltelefon gefunden haben, berichtet sein Bruder. Der Aufruf zur Demonstration könnte einer Anklage dienen.

Vieles sei unklar, sagt Mustapha Samadi. Informationen über die mögliche Anklage sind nicht gesichert, es gibt Gerüchte. So gelte die Digitalkamera als Indiz dafür, dass Morteza Samadi einen Spionageauftrag habe. Die Taliban werfen ihm genau das vor - ein westlicher Spion zu sein. Auf einem Telegram-Kanal habe er, heißt es, Botschaften gegen die Taliban veröffentlicht. „Die Taliban entwickeln das Szenario, Morteza spioniere", sagt sein Bruder.

Seine Familie dürfe ihn nicht besuchen. Auch über seinen Gesundheitszustand sei wenig bekannt. Seine Mutter konnte zwei Minuten mit ihm telefonieren. Da sagte ihr Sohn nur, sie solle sich keine großen Sorgen machen. Das Kultusministerium in Herat habe der Familie zum wiederholten Male gesagt: „Wir warten auf eine Antwort aus Kabul damit wir ihn freilassen können - das wird bald geschehen", berichtet Mustapha Samadi. Das ist nicht passiert.

Reporter ohne Grenzen hat wegen des Falls den deutschen Botschafter Markus Potzel kontaktiert, der von Katar aus arbeitet. Er verfügt angeblich über direkte Kontakte zu den Taliban. Ob es Ge­spräche über Morteza Samadi gibt, sei nicht bekannt, sagt ROG-Geschäftsführer Christian Mihr. Seine Organisation wende sich nun an die Politik. „Unseren Einschätzungen zufolge könnte politischer Druck auf die Taliban zur Freilassung Samadis führen", sagt Mihr. Die Taliban betonen schließlich, sie hätten ein Interesse an guten Verbindungen zu den Deutschen. Deutschland, meint Mihr, „könnte im Rahmen seiner Gesprächskanäle zumindest auch seinen Einfluss geltend machen und Druck ­ausüben".

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