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Helfende Hitparade

Nach der Flut im Ahrtal: Die größten Hits der vergangenen fünf Jahrzehnte, Versicherungstipps und Gottesdienste: Das neue „Ahrtalradio“ sendet im Flutgebiet und versucht Nachbarschaftshilfe zu leisten.


Auf den zehn Quadratmetern des leer stehenden Heppinger Pfarrbüros befindet sich seit Neuestem ein improvisiertes Radiostudio. Aus dieser Klause sendet seit etwa zwei Wochen das „Ahrtalradio". Das Studio ist nicht die einzige Besonderheit des Projekts. Man versteht sich als privatrechtlicher Hörfunksender und mediale Nachbarschaftshilfe zugleich.

Nach der Flutkatastrophe in der Nacht vom 14. auf den 15. Juli hat der Wiederaufbau im Landkreis Ahrweiler gerade erst begonnen. Was der Region bisher fehlte, wurde nun besonders deutlich: ein Lokalradiosender. Durch die Flutschäden sind weiterhin zahlreiche Haushalte ohne intakten Internetanschluss. Für sie sendet das „Ahrtalradio" auf der UKW-Frequenz 107,9 MHz. Für alle, die noch ans Netz angeschlossen sind, ist das Programm zusätzlich über einen Livestream zu empfangen.

Initiiert wurde das Projekt vom Euskirchener Radiomacher Christian Milling, der nicht nur Technik und Antennen zur Hand hatte, sondern auch innerhalb weniger Tage ein Team und Programm zusammenstellte. Nun arbeiten zwanzig ehrenamtliche Radiomacher aus ganz Deutschland am „Ahrtalradio". Milling sagt, „der Kerngedanke des Projekts entstand aus einer Verpflichtung zu helfen". Jeder tut, was er kann - und Milling kann eben Radio.

Überschüsse sollen gespendet werden

Neben den „größten Hits der letzten fünf Jahrzehnte" finden sich daher im Programm auch eine „Pinnwand" mit Hilfsangeboten aller Art, eine Stellenbörse, sowie Informationsformate zu den Bereichen Versicherung und Handwerk. An Sonntagen überträgt der Sender einen Gottesdienst. Der Sender will den Zuhörern all das bieten, was aktuell durch den Wiederaufbau schwer zugänglich ist.

Weiterhin gibt es im Ahrtalradio für alle von der Flut betroffenen Betriebe insgesamt sechzig kostenlose Werbespots. Das Interesse der Firmen zum Sendestart sei enorm, erzählt Milling. Erwirtschaftete Überschüsse sollen für den Wiederaufbau gespendet werden.

Im Ahrtal sind viele Orte nicht nur zu großen Teilen vom Festnetz und Internet abgeschnitten, auch Gas- und Elektroinfrastrukturen sind großflächig beschädigt. Für einige Anwohner wird es ein kalter Winter - ohne viele Möglichkeiten, sich abzulenken. Die Freude über das Ahrtalradio sei demnach groß: „Täglich melden sich Hörer und bedanken sich oder kommen vorbei und bringen kleine Geschenke oder einen Kaffee mit", berichtet Milling. Besonders gut laufe die Musikwunschsendung.

„Nun", sagt Milling, „haben die Politiker die Gummistiefel wieder eingepackt, auch die großen Kameras sind weg. Viele der Betroffenen fühlen sich von Politik und Medien alleingelassen." Dabei seien gerade jetzt regionale Informationen über Straßensperren oder die Reparatur der Gasleitungen wichtig für die Anwohner. „Regionale Medien wie der SWR senden vor Ort fürs ganze Land. Wir senden aus dem Ort für den Ort."

Um das Projekt zu ermöglichen, arbeiteten gleich mehrere Akteure zusammen: Die Medienanstalt Rheinland-Pfalz lizenzierte das Programm in Rekordzeit, die Bundesnetzagentur steuerte UKW-Frequenzen bei, und die Pfarreiengemeinschaft unterstützte den Sender mit Räumlichkeiten. Normalerweise liegt die Dauer einer Lizenzierung bei mindestens sechs Monaten, erzählt Milling.

Zunächst soll das Ahrtalradio bis zum 3. Oktober auf Sendung bleiben. Wenn es nach den Hörern geht, soll es darüber hinaus weitergehen, sagt Milling. Dafür müsste eine Finanzierung für die ehrenamtlichen Radiomacher gefunden und eine juristische Erlaubnis der Behörden erteilt werden. Kann das Erfolg haben? Milling verspricht: „Wenn es nach dem Herzen geht, zu hundert Prozent - jetzt muss der Verstand den restlichen Weg bereiten."

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