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Das Filmlager galt als das Allerheiligste der Kirch-Gruppe. Nun ist unklar, was daraus wird: Keiner will "La Strada"

Es sind traurige Anlässe, die in Unterföhring bei München für verhaltene Freude sorgen. Neulich starb Gregory Peck, am Sonntag Katharine Hepburn. Für die Fernsehsender ist der Tod der Schauspieler ein Anlass, noch einmal ihre bekanntesten Filme zu zeigen - etwa "African Queen" in der 20. Wiederholung. Die alten Filme der Kirch Media, die selbst im Sterben liegt, sind dann plötzlich für einen Abend wieder gefragt.


Wen Leo Kirch besonders beeindrucken wollte, dem bot er einen Gang in sein Hochregallager an. Das Allerheiligste der Kirch-Gruppe wurde streng behütet und abgeschirmt, immerhin lagern darin die 60 000 Stunden der Filme, auf deren Verwertung Leo Kirch sein Imperium aufgebaut hatte. Die Geschichte, wie Kirch einst selbst nach Italien fuhr und die Rechte für seinen ersten Film "La Strada" kaufte, durfte in keiner Firmenbroschüre fehlen, um den märchenhaften Aufstieg des Filmhändlers zu bezeugen. Kirch richtete die Politik seines gesamten Unternehmens darauf aus, den Wert seines Filmstocks zu vermehren. Das Filmlager diente auch als Garantie für Banken, wann immer er frisches Geld brauchte. 


Leo Kirch heizte den Markt künstlich an. Ein großer Teil seiner Geschäfte waren Deals, bei dem der eigene Sender A der eigenen Tochterfirma B Filme abkaufte. Je höher der Preis, desto mehr mussten Kirchs Sender an Kirch zahlen. Mit solchen internen Geschäften wurde der Branche große Nachfrage vorgegaukelt. Die Preise für die Filme stiegen. Auch pflegte Kirch Pakete zu schnüren, bei denen die Abnehmer für einen guten auch noch zehn mittelmäßige und 20 schlechte Filme nehmen mussten. Diese Art von Geschäften ist nach Kirchs Abgang vorbei. Deshalb sind die Preise für alte Filme stark gesunken. 


Heute dienen manche der Werke nur noch dazu, die Mitarbeiter, die sie betreuen, wenigstens vor der Arbeitslosigkeit bewahren. In ihren guten Zeiten beschäftigte die Taurus Media Technik (TMT) rund 400 Leute, die die Filme säuberten, restaurierten, Kopien herstellten und sie den Käufern überspielten. Rund 80 sind noch in Unterföhring beschäftigt.


Vor einigen Tagen hat der Insolvenzverwalter Michael Jaffé die Mitarbeiter der Kirch Media mit dem Hinweis verunsichert, die Konzernmutter, zu der der Filmstock gehört, werde abgewickelt. Was genau heißt Abwicklung? Das Ende des Filmhandels? Es bedeute, dass die Kirch Media keine Neugeschäfte mehr tätigen wird, sagt Sprecher Rudolf Wallraf. Es werden keine neuen Rechte mehr eingekauft. Die Verwertung, also der Verkauf bestehender Rechte, laufe freilich weiter, sagt er. Die Abwicklung des vorhandenen Geschäfts werde zehn bis zwölf Jahre dauern, heißt es. Da keine Filme mehr eingekauft werden, sind die Einkäufer arbeitslos. 


Momentan wird geprüft, wie viele von ihnen zur ProSiebenSat1 Media AG wechseln können, deren Sender ihre Einkäufe künftig selbstständig tätigen. Die restlichen Mitarbeiter müssen mit der Kündigung rechnen. Der Betriebsrat verweist auf eine Beschäftigungsgarantie bis 30. April 2004. Die Geschäftsleitung, die diese Garantie unterzeichnet hat, sieht die Abmachung als hinfällig an, falls Kirch Media aufgelöst wird. Während man die Mitarbeiter billig abspeisen will und zugesicherte Abfindungen einfach nicht auszahlt, möchte man die Filme so teuer wie möglich abgeben. 


Kirchs Filmstock bestand aus 18 000 Filmen. Zweitausend wurden kürzlich an die ProSiebenSat1 verkauft. Mitarbeiter nehmen an, dass es sich dabei um die besten Filme des gesamten Stocks handelt. Es sind Hollywood-Erfolge wie "Men in Black" oder "Pretty Woman" darunter, bestätigt Torsten Rossmann, der Sprecher von ProSiebenSat1. Im Gegensatz zu früher, musste die Sendergruppe nicht die Katze im Sack kaufen, sondern konnte die Titel genau aussuchen. Auch wurde keine konkrete Kaufsumme vereinbart, sondern ein Richtwert, der bei rund 700 Millionen Euro liegen soll. Abgerechnet wird erst nach der Ausstrahlung. Erzielt ein Film eine hohe Quote und große Werbeeinnahmen, wird entsprechend viel bezahlt. Ist die Quote gering, ist der Erlös gering, den Kirch Media erhält. "Das ist für uns sehr vorteilhaft", sagt Torsten Rossmann; die Zahlungsbedingungen seien "besser als früher".


Die Reste ins Museum 


Insolvenzverwalter Michael Jaffé sagt, mit dem Teilverkauf werde man ein besseres Ergebnis für die Bibliothek erzielen, als wenn sie an einen einzigen Bieter gegangen wäre. Was aber ist mit den restlichen 16 000 Filmen? Liebhaber befürchteten, im Zuge der Abwicklung könnten wertvolle Filme vernichtet werden. Jaffé versicherte deshalb: "Es werden keine kulturellen Werte vernichtet." Die Reste, die nach der Abwicklung übrig bleiben, sollen einem Museum oder einer ähnlichen Institution übertragen werden. Wohin führt der Weg des Filmstocks? Genau weiß es keiner. Sicher ist: Federico Fellinis "La Strada" ist nicht unter den 2 000 Filmen, die die ProSiebenSat1 gekauft hat. Der Film passe einfach nicht zum Programm der Sendergruppe, sagt Rossmann. 


Wird Leo Kirchs einstige Trophäe, mit der alles begann, verstauben? Allenfalls bildlich gesprochen, denn im Hochregallager herrschen angenehm niedrige Temperaturen. Es könnte auch eine Metapher für den Zustand der Kirch Media sein: Was jahrzehntelang die Erfolgsgeschichte der Kirch-Gruppe verbildlichte, lagert nun bei kühlen Temperaturen. Wie in einem Leichenhaus.



Bei zehn Grad Celsius // 


Die Kirch Media betreibt über die Tochterfirma Taurus Media Technik eines der weltweit größten Lager- und Archivierungssysteme für Filme. In München Unterföhring liegen 18 000 Filme mit über 60 000 Programmstunden. Darunter sind unter anderen Federico Fellinis Klassiker "La Strada" und die Serie "Baywatch".Auf 1 200 Quadratmetern Fläche sind über zwei Millionen Filmrollen und Sendebänder gelagert. Sie liegen in 13 Meter hohen Stahlregalen griffbereit und werden mit einem eigens konstruierten Kran ein- und aussortiert. Im Lager herrschen konstant zehn Grad Celsius und eine Luftfeuchtigkeit von 45 Prozent.

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