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Die CDU und ihre Spenden - ein Fall für den Enthüllungsjournalisten Hans Leyendecker: Der Wühler

Leichlingen also. Vor dem Betreten seines Hauses im Bergischen Land schlüpft Hans Leyendecker in Sandalen. Er hat fünf Kinder, nennt seine Frau "Mäuschen" und wirkt überhaupt sehr harmlos, freundlich und sympathisch. Für einen Superrechercheur ist auffällig wenig Papier zu sehen in seiner kleinen Mansarden-Schreibstube im ersten Stock, die mehr einer Besenkammer denn dem Büro eines leitenden Redakteurs der Süddeutschen Zeitung entspricht. 


In der Mitte des Büros steht ein Aktenkarussell mit einigen Dutzend Leitz-Ordnern, auf deren Rücken Bezeichnungen wie "SPIONE", "Kirch" und "aktuelle Themen" gekritzelt sind. Die meisten seiner Akten sind freilich im Keller oder "irgendwo". Modern wirken nur die beiden Telefone auf seinem Schreibtisch, mit denen er oft gleichzeitig telefoniert. 


Natürlich würde er sofort eine Sekretärin bekommen, wenn er denn eine wollte. Aber Leyendecker fühlt sich wohler, wenn niemand Zugang zu seinen Akten über Skandale wie die aktuelle CDU-Spendenaffäre hat.Wäre Helmut Kohl noch an der Macht, hätte Leyendecker ihn jetzt vielleicht mit zu Fall gebracht. 


Zur Erinnerung: Ausgangspunkt des Spendenskandals war der Haftbefehl gegen den ehemaligen CDU-Schatzmeister, Walther Leisler Kiep. Den Tipp von der drohenden Verhaftung hatte Leyendecker noch bevor Kiep davon wusste aus der eigenen Redaktion bekommen. Er schrieb erst mal 200 Zeilen und wartete. Immerhin bestand Fluchtgefahr und der seriösen SZ hätte eine Klage wegen Strafvereitelung gedroht. Erst als "Bild" die Nachricht brachte, legte auch Leyendecker los. 


Seitdem steht er im Mittelpunkt der Affäre. Wo auch immer die Konkurrenz anrufen mag, Leyendecker war schon da. Die Vernehmungsprotokolle der CDU-Spendenempfänger Weyrauch und Kiep hatte er vor allen anderen, ebenso Details über die Konten in der Schweiz. Andererseits hat auch der beste Wühler keinen Einfluss darauf, ob aus einer Enthüllung auch ein Skandal wird. Dazu braucht es einen aus den eigenen Reihen wie Heiner Geißler, der auspackt. Und einen wie den Augsburger Staatsanwalt, der die ganze Affäre amtlich macht. 


Dieser Fall ist vollkommen auf Leyendecker und sein Archiv maßgeschneidert. Er kennt alle Beteiligten noch aus der Flick-Affäre der 80er-Jahre. Damals hat der heute 50-Jährige die Akten für den "Spiegel" besorgt und unter anderem zusammen mit Hans Werner Kilz, dem heutigen Chefredakteur der SZ, "vier Jahre Flick gemacht". 


Dabei galt er in seinem ersten Jahr im Düsseldorfer Büro des Spiegel, 1979, als Fehleinkauf. Sein Chef drohte ihm mit Kündigung. Irgendwann hatte er sich dann an die Flick-Sache mit drangehängt und sehr viel später die entscheidenden Akten herbeigeschafft. Flick war sein Einstieg und sein Gesellenstück. "Alles, was nach Flick kam, war nach Flick", sagt er. Damals habe er alles gelernt. Am Ende schrieben Kilz und Co-Rechercheur Joachim Preuß, der heutige Spiegel-Vize, einen Bestseller darüber und Herausgeber Rudolf Augstein notierte im Vorwort: "Wenn es einen Redakteur Kowalski ... im Spiegel gab, dann war es Hans Leyendecker." Das hat diesem sehr gefallen, denn Kowalski war der Enthüller in Hans Magnus Enzensbergers fiktivem Flick-"Tatort"-Drehbuch.


Leyendecker tut das seine, damit man ihn unterschätzt. "Unscheinbar" ist das Wort, das bei seinem Anblick in den Sinn kommt. Neben Kilz, der mit modisch schwarzem Hemd und grüner Krawatte auftritt, wirkt Leyendecker wie ein Pastor. Er sei "ein Mensch ohne große Attitüde, es sei denn, die einer hochstilisierten Unauffälligkeit", schrieb ein Kollege. Leyendecker schreibt so spannend über Vernehmungen, als habe er unterm Tisch gesessen.


Mitunter wirkt das jedoch unsauber: Im Falle der Vernehmung des Steuerprüfers und Schlüsselzeugen Weyrauch durch die Augsburger Staatsanwaltschaft, hatte Leyendecker die Aussage weltexklusiv schon publiziert, als andere Reporter noch vor den verschlossenen Türen standen. Der Grund: Weyrauchs Vernehmung hatte gar nicht stattgefunden, war um eine Woche verschoben worden, weil Kieps Aussage so lange gedauert hatte. 


Der Lapsus verrät denn auch ein wenig über Leyendeckers Arbeitsweise, denn tatsächlich deckte sich sein Bericht mit Weyrauchs späterer Aussage. Vermutlich hat ihm also Kieps Anwalt, der "hochseriös, und über alle Zweifel erhabene" Günther Kohlmann, vorab erzählt, was die beiden aussagen werden.


Beim Namen Kohlmann erstarren Leyendeckers Gesichtszüge. Mit Pokerface sagt er, man könne ja auch jemanden hochschreiben, um eine falsche Fährte zu legen, nicht? Könnte man. Aber Kohlmann den er auch noch aus Flick-Tagen kennt war der einzige Protagonist seiner Geschichte, der gut davonkam. Als er am Tage nach einer polizeilichen Hausdurchsuchung bei Weyrauch die Ergebnisse in der SZ ausbreitete, gab es auch in seiner Redaktion Stimmen, die das als "hart an der Grenze zur Rechtsstaatlichkeit" sahen. Leyendecker schrieb seine Informationen "CDU-Kreisen" zu, doch man darf davon ausgehen, dass auch das eine Finte ist. So schnell kann nur sein, wer erstklassige Kontakte bei Polizei und Staatsanwaltschaft hat. 


Informanten sind heilig.


Mitunter geht Leyendecker weite Wege, um eine Quelle zu decken. In der SZ schrieb sein ehemaliger Kollege Gerd Kröncke 1983 eine ganze Seite-Drei-Geschichte nur, um Leyendeckers wichtigste Flick-Quelle durch eine falsche Spur zu schützen. Damals entstand die Legende, Leyendecker habe die Quelle (Deckname "Ramses") tief im Süden in Ravensburg getroffen. In Wirklichkeit lautete der Deckname "Pharao" und er hat mit dem Mann ganz in der Nähe seines Düsseldorfer Büros gespeist. Ein kleines Beispiel, mit welchen Tricks ein investigativer Spürhund so arbeitet. 


Leyendeckers Erfolg basiert auf gegenseitigem Geben und Nehmen, auf kurzfristigen "Verträgen" zwischen Opfer und Täter. SZ-Chefredakteur Kilz betont: "Er hat noch nie eine Straftat begangen, um an Informationen zu kommen. Er zahlt kein Geld, bricht nicht ein, erpresst niemanden." Er sei hartnäckig, und deshalb fließe ihm einiges zu. Kilz sagt: "Leyendecker unterlaufen kaum Fehler. Ich weiß, dass ich mich auf ihn verlassen kann." Kilz spricht von "blindem Verständnis", schon allein deshalb, weil man jahrelang "Ellbogen an Ellbogen" zusammengearbeitet habe. Leyendecker sei "eine fast singuläre Erscheinung", einer, der mit seinen 10 000 Telefonnummern Tag und Nacht arbeite, fast schon ein wenig manisch, sagt SZ-Redakteur Herbert Riehl-Heyse. "Ich kenne keinen, der so fleißig ist wie er. Überhaupt keinen." Als "Aktenwühler", wie er noch keinen gesehen habe, lobte ihn auch SZ-Redakteur Michael Stiller, der selbst als Ausnahme-Rechercheur gilt. 


Mitunter scheint Leyendecker die Seite zwei der SZ gepachtet zu haben. In einer Mischung aus vorsichtiger Kritik und Bewunderung sagt ein SZ-Mitarbeiter, "Leyendecker verstehe es grandios, dieselbe Geschichte jeden Tag aufs Neue auf die Seite eins zu setzen, indem er vorne einen neuen Absatz dran hängt". Wem seine Besessenheit suspekt ist, der spricht hinter vorgehaltener Hand von "Schreib-Diarrhö". 


Leyendecker hat erfahren, wie dicht Scoop oder Flop beieinander liegen. Sein Waterloo erlebte er 1993 damals noch beim "Spiegel" als er einen anonymen Zeugen präsentierte, nach dessen Aussage Polizisten das RAF-Mitglied Wolfgang Grams in Bad Kleinen hingerichtet haben. Als sich der Zeuge nicht dem Staatsanwalt stellte, wurden Bedenken an Leyendeckers Version laut. Vielleicht war er im Eifer zu weit gegangen. Vielleicht hat ihn ein Informant im Stich gelassen. "Ein Desaster für den Rechercheur und sein Medium", urteilte später die ZEIT, nachdem die "Bunte" den gläubigen Katholiken Leyendecker zum "Reporter des Teufels 93" gekürt hatte. Der eine oder andere Zweifler saß auch im "Spiegel".


Wenn Leyendecker heute über seine 18 Jahre beim "Spiegel" spricht, sagt er: "Es war eine schöne Zeit und ich bin froh, dass ich weg bin." Als Stefan Aust "den neuen Spiegel" machte, sei der Wechsel fällig gewesen. Mit anderen Worten: Es war schön, bis Aust kam. Den "Spiegel"-Chef kennt er seit 30 Jahren. Aust wohnte in Stade, als Leyendecker beim Stader Tageblatt volontierte. Und doch konnten sie einfach nicht miteinander, sagen ehemalige Kollegen. 


Ein ganz besonderes Verhältnis wird Leyendecker zu Bodo Hombach nachgesagt. Bis heute wollen viele seiner Kollegen nicht verstehen, warum er sich in der SZ vor den ehemaligen Kanzleramtsminister gestellt hat ohne den Vorwurf der persönlichen Bereicherung wirklich zu entkräften. Richard Rickelmann etwa, der mit Leyendecker 15 Jahre gemeinsam für den "Spiegel" über Mafia und Waffengeschäfte recherchiert hat, und die Vorwürfe gegen Hombach zunächst im "Spiegel", später dann auch im "Stern" veröffentlicht hat, Rickelmann also sagt, Leyendecker habe ihm nach der ersten Veröffentlichung gesagt, er könne über Hombach nicht schreiben, weil er mit ihm befreundet und daher befangen sei.


Irgendwann schrieb er dann doch in der SZ, weil die Geschichte "schon lange wabert und bislang seltsam unkonkret geblieben ist". Statt Akten und Fakten zu liefern, tat er die Vorwürfe jedoch mit dünnen Argumenten ab. Die Angriffe gegen Hombach nannte er gar die "Geschichte einer gnadenlosen Jagd, wie Heinrich Böll sie in seinem Buch ,Katharina Blum auf anderer Ebene beschrieb". Die Verteidigung Hombachs war wohl der höchste Preis, den Leyendecker je für exklusive Informationen bezahlt hat.


Gewöhnlich aber marschiert Hans Leyendecker nicht gegen, sondern mit Kollegen: So ließ er vor zwei Wochen "Bild" das Vernehmungsprotokoll Weyrauchs drucken, das auch er längst besaß, das die SZ aber nie gedruckt hätte. Für den Leser hatte "Bild" damit die Nase vorne. Doch er ließ "Bild" gerne den Vortritt, damit er aus dem Papier wenigstens zitieren konnte. Am nächsten Tag revanchierte sich "Bild" und brachte ein freundliches Porträt des Rechercheurs Leyendecker. Wieder einen Tag später verteidigte Leyendecker "Bild" gegen den Vorwurf, mit der Veröffentlichung des Protokolls gesetzeswidrig gehandelt zu haben.


Schwer zu sagen, ob sich hier einzelne Musiker zweier Orchester detailliert abgestimmt haben oder ob nur zwei Profipianisten ohne viel Worte vierhändig auf der Klaviatur der Enthüllung spielen. Was sich aber sagen lässt: So funktioniert Enthüllungsjournalismus. Nur so. Bei der SZ könne er nun jeden Tag nachlegen, sagt Leyendecker. "Portionieren", nennt er das. Deshalb liebe er nach anfänglichem Abtasten die Arbeit bei der Tageszeitung mehr als beim Wochenmagazin "Spiegel"."

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