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Beichte beim Bischof / FR 2010

Die Geschichte einer kuriosen öffentlichen Feindschaft: Offiziell sprach Helmut Kohl nicht mit dem Spiegel. Hinter den Kulissen gab es aber wohl Kontakte. 


Von Thomas Schuler


Im September 2003 gab Helmut Kohl ein kurioses Interview. Er sprach mit der taz, die er - wie er sagte - nie las und der er nie ein Interview geben wollte. Kohl sprach über den Umstand, dass er auch die Zeitschriften Stern und Spiegel während seiner Regierungsjahre als deutscher Bundeskanzler nie las und ihnen kein Interview gab. Möglich war die Ausnahme 2003, weil es sich um die Jubiläumsausgabe der taz handelte und mit Kai Diekmann, Chefredakteur der Bild-Zeitung, ein erklärter Freund von Kohl das Interview führte.

Kohl und Spiegel - der Bundeskanzler und das wichtigste politische Magazin, das ist ein spezielles Verhältnis. Anfangs gab es einen Deal, der lautete: Der Spiegel kriegt eine Geschichte und Kohl erhielt Aufmerksamkeit. Es war die Zeit, als Kohl als junger Abgeordneter und später Ministerpräsident in Mainz ins Landesparlament und schließlich in Bonn in die Opposition einzog.

Im Jahr 1976 hat Kohl dem Spiegel sein letztes Interview gegeben. Das Nein danach begründete er 2003 so: "Es war immer das Gleiche beim Spiegel: Der Text der Interviews war in Ordnung, aber drum herum haben sie eine herabsetzende Geschichte gebaut." Politiker wollen eben gerne kontrollieren, was über sie geschrieben wird.Der ehemalige Spiegel-Reporter Hans-Joachim Noack kennt Kohl aus gemeinsamen Tagen in Mainz. Kohl war damals Ministerpräsident und Noack berichtete für die Mainzer Allgemeine Zeitung (und später für die Frankfurter Rundschau). Man traf sich oft, reiste zusammen, sprach über Politik. Später, als Noack zum Spiegel gewechselt war und um ein Interview bat, ließ Kohl ihm mitteilen: "Der Mensch Noack ist mir zu jeder Zeit willkommen - der Spiegel-Redakteur Noack zu keiner Zeit." Aber vielleicht könne Noack ja das Problem von seiner Seite aus lösen? Eine Aufforderung zur Kündigung, der Noack freilich nicht nachkam.

Noack hat zum 80. Geburtstag von Kohl gemeinsam mit seinem ehemaligen Kollegen Wolfram Bickerich (beide sind inzwischen im Ruhestand) bei Rowohlt eine Biografie über Kohl veröffentlicht.Noack lernte Kohl als 33-jährigen Jungpolitiker in Mainz kennen und war damals "durchaus angetan von ihm", sagt Noack, auch wegen Kohls Reformansatz. "Wir hatten damals ein erstaunlich gutes Verhältnis." Noack traf ihn "viele, viele Male" in der Staatskanzlei und auf Reisen. "Kohl war unser größtes Pfund." Wenn einer was werden kann, dann er, war man sich in der Zeitung einig. Als Kohl in Bonn 1976 gegen Schmidt antrat, "war ich emotional näher bei Kohl".

"Der Spiegel ist ein Schweineblatt"

Die Spiegel-Reporter Hermann Schreiber und Peter Brügge besuchten Kohl zu Hause und beschrieben genüsslich, wie spießig der Pfälzer wohnte. Kohl hat das gerne vorgeführt. Dass man ihn dann detailliert mit feiner Ironie beschrieb, das ärgerte und verletzte ihn. Im Laufe der Jahre reagierte Kohl immer stärker gekränkt, bis er mit Reportern des Spiegel gar nicht mehr sprach. Einmal wurde Kohl gefragt, ob er die Hamburger Verlagswelt nicht differenzierter betrachten könnte? Kohls Antwort: "Ja, natürlich. Der Spiegel ist ein Schweineblatt und der Stern ist ein Verbrecherblatt. Das ist doch differenziert."

Kohl fühlte sich vorgeführt, und die Gekränktheit übertrug er auf Bertelsmann, schließlich gehört Gruner+Jahr, Anteilseigner des Spiegel und auch des Stern, zu Bertelsmann. Wer will ihm dieses Denken verübeln? Bertelsmann-Patriarch Reinhard Mohn behauptete: "Die Programminitiative liegt nicht mehr beim Verleger-Inhaber. Sie hat sich auf die Unternehmensführung und auf die für das Programm verantwortlichen Mitarbeiter verlagert." Dabei konnte doch jeder sehen, wie Bertelsmann nach Veröffentlichung der gefälschten Hitler-Tagebücher 1983 beim Stern Oberwasser gewann.

Als Kohls Berater Horst Teltschik und Werner Weidenfeld an die Spitze der Bertelsmann-Stiftung rückten, nahm auch der Kanzler an Veranstaltungen der Stiftung teil. 1992 richtete die Stiftung auf einer Konferenz für Kohl sogar eine kleine Geburtstagsfeier aus. Teltschik überreichte seinem ehemaligen Chef eine sechsstöckige Torte. Aber als Kohl damals den Bertelsmann-Chef Mark Wössner traf, sprach er ihn reflexartig auf den Stern an: Warum er das Heft nicht verkaufe? Wössner sah dazu keinen Anlass; der Stern brachte ja gutes Geld. Für Kohl hieß das: keine Interviews für Stern und Spiegel.

Auch Die Zeit zählte zur "Medien-Mafia"

Dabei gab es sehr wohl vertrauliche Gespräche zwischen der Chefredaktion des Spiegel und Kohl. Journalisten, die wie Hans Werner Kilz, ehemals Spiegel-Chef und heute Chefredakteur der Süddeutschen Zeitung, aus Kohls Pfälzer Heimat kamen, empfing der Kanzler gerne. "Wer ihm vertraut erschien, dem vertraute er", sagt Kilz. Dann sagte Kohl zu seiner Büroleiterin Juliane Weber: "Hol emol e Fläschje und ruf' de Erzbischof Meisner in Köln an. Des muss ich beichte, dass der Kerl hier sitzt." Dann machte Kohl es sich in seiner Strickjacke bequem und erklärte die Weltlage. "Ein Staatsmann?" fragt Kilz und gibt die Antwort: "Ein Landsmann." Offiziell galt weiter das Nein. "Für das Ignorieren des Spiegel habe ich natürlich gebüßt", sagte Kohl 2003. Es gebe niemanden, der so oft auf dem Titelblatt mit entsprechender Tendenz gezeigt wurde.

Auch die Wochenzeitung Die Zeit zählte Kohl zur "Medien-Mafia", obwohl (oder weil) sie von seinem Parteifreund Gerd Bucerius verlegt wurde. Denn Bucerius hatte nicht nur sie gegründet, sondern war auch einer der Gründer des Verlags Gruner+Jahr. Zeitweise war er Verleger des Stern und fungierte als Aufsichtsratschef der Bertelsmann AG. Für Kohl muss er somit einer der Obermafiosi gewesen sein.

Die Abneigung beruhte auf Gegenseitigkeit - die Zeit mochte Kohl auch nicht. Einmal schickte sie ihm den Schriftsteller Walter Kempowski ins Haus, um zu testen, was Kohl liest (sollte heißen: ob er überhaupt liest). Kennt er Goethe, Grass oder Böll? Zeitweise gab es eine Kolumne namens "Birne", die natürlich Kohl meinte. Dem scheidenden Kanzler schrieb die Zeit hinterher: Er "wäre ohne Einheit nur Mittelmaß geblieben".

In seinem letzten Interview für den Spiegel, das Kohl 1976 gab, beschwerte der Kanzlerkandidat sich übrigens, dass das Fernsehen ihn nicht interviewen wolle. Er wünschte sich ein Wahlkampfduell mit Kanzler Helmut Schmidt und beklagte sich: "Es ist schon grotesk, wenn man den Massenmedien hierzulande die Spielregeln der Informationsgesellschaft erklären muss." Kohl wollte ungefiltert zu den Wählern sprechen. Er verstehe nicht, warum Schmidt und die Fernsehanstalten zögerten. "Ich stehe jedenfalls gerne zur Verfügung."

Es waren die letzten offiziellen Worte Kohls mit dem Spiegel.

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