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Bertelsmanns Rolle in der Nazizeit

Thomas Middelhoff nahm das Risiko bewusst auf sich und machte ein paar Bemerkungen zum deutsch-jüdischen Verhältnis. Vor 350 Gästen im Waldorf Astoria Hotel in New York sagte der designierte Vorstandsvorsitzende von Bertelsmann im Juni 1998 bei einer Preisverleihung durch das deutsch-jüdische Armonk-Institut, nicht nur er, sondern auch Bertelsmann sei ausgezeichnet worden. Er stehe "als Bürger Deutschlands, Bürger der Welt und Bürger von Bertelsmann" hier, und er sei stolz, für ein Haus zu arbeiten, "das stets für die Freiheit aller Rassen und Religionen" eingetreten sei. Der Carl Bertelsmann Verlag sei während des Zweiten Weltkrieges eines der wenigen nichtjüdischen Medienunternehmen gewesen, das von den Nazis geschlossen wurde, so Middelhoff. Offiziell sei das mit Papierknappheit begründet worden. "Aber jeder kannte die wahre Geschichte: Wir haben Bücher verlegt, die vom Dritten Reich als subversiv verboten waren. Die Existenz von Bertelsmann bedrohte das Ziel der Nazis, Pressefreiheit zu kontrollieren."

Einige Wochen vor dem Gala-Abend hatte Bertelsmann den Buchverlag Random House gekauft und war damit zum größten Verleger von Publikumsbüchern in den aufgestiegen. Nach einigen antideutschen Stimmen hatte sich in der US-Presse die Meinung durchgesetzt, Bertelsmann sei schon der ideale Käufer.

Heute weiß man, dass den NSDAP-Verlegern in Wahrheit nicht passte, dass Bertelsmann zum führenden Frontverlag aufgestiegen war und den Eher-Verlag hinter sich gelassen hatte. Man weiß auch, dass Bertelsmann nicht einer von wenigen, sondern von 1600 nichtjüdischen Verlagen war, die geschlossen wurden, weil ihre Produktion nicht als "kriegswichtig" galt.

Auf keinen Fall war das Haus eine Widerstandszelle

Eineinhalb Jahre nach Middelhoffs Rede, die eine umfangreiche Untersuchung der Rolle des Verlages im "Dritten Reich" ausgelöst hat, gebe es viele offene Fragen, betonte am Montag eine Historiker-Kommission, die im Auftrag Bertelsmanns die Rolle des Hauses im "Dritten Reich" erforscht. Auch die Frage, ob Zwangsarbeiter beschäftigt wurden. Es gibt Hinweise auf mindestens vier Personen, ihre Namen fehlen noch.

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Bertelsmann mag kein nationalsozialistischer Musterverlag gewesen sein. Fest steht: Auf gar keinen Fall war das Haus eine westfälische Widerstandszelle. Zwar sei der C. Bertelsmann-Verlag 1944 geschlossen worden, so die Kommission. Allerdings erfolgte die Schließung wegen ungenehmigter Papierkäufe - nicht wegen subversiver, oppositioneller Schriften. Jedenfalls besitzen die Historiker bisher "keine Anhaltspunkte dafür, dass die Schließung des Verlags C. Bertelsmann 1944 auf Grund seiner konfessionellen Ausrichtung als theologischer Verlag oder wegen seiner Beziehung zur Bekennenden Kirche erfolgt ist".

Unklar blieb jedoch, warum ein Verlag, der 1944 geschlossen worden war, seine Mitarbeiter weiterbeschäftigte und große Mengen angeblich konfiszierten Papiers faktisch behalten durfte. Der Aufstieg von Bertelsmann nach dem Krieg zu einem der führenden Verlage habe jedenfalls damit zu tun, dass das Unternehmen nach Kriegsende stärker als alle Konkurrenten "den knappen Rohstoff Papier" zur Verfügung hatte, sagte der Literaturwissenschaftler Reinhard Wittmann, eines des vier Kommissionsmitglieder. "Die hatten einen Schatz nach dem Krieg", ergänzte der Historiker Saul Friedländer, der Vorsitzende der Kommission.

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