Thomas Hürner

Journalist und Autor, München

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Die deutsch-südkoreanische Fußballgeschichte

Cha Bum-kun 1983 bei einem Spiel mit Bayer Leverkusen. | Foto: © Yonhap News


Der Fußball ist in Südkorea noch nicht zum Massenphänomen geworden, dennoch gibt es auf internationaler Ebene auch einige Erfolge vorzuweisen. Die deutsche Bundesliga und Nationalmannschaft waren dabei ein ständiger Wegbegleiter.

Manchmal genügen gerade einmal 77 Minuten im Trikot eines Klubs, um sich noch Jahre später einen Platz in den Herzen der Fans zu bewahren. Am 30. Dezember 1977 trug Cha Bum-Kun zum ersten und einzigen Mal das Trikot mit der Lilie auf der Brust, doch die Anhänger von Darmstadt 98 haben ihren ehemaligen Stürmer nie vergessen. Über 1000 Südkoreaner reisten damals aus der gesamten Republik ans Böllenfalltor, um ihren Landsmann zu bejubeln, und im Sommer 2017 war die Begeisterung unter den Menschen im Stadion nicht minder groß. Da war Cha nämlich an jenen Ort zurückgekehrt, an dem seine große Bundesliga-Karriere ihren Anfang und auch ihr vorläufiges, abruptes Ende fand. Cha wurde vor einem Testspiel gegen den englischen Klub FC Fulham mit einem Blumenstrauß geehrt, vor allem aber von den Darmstadt-Anhängern minutenlang mit stehenden Ovationen gefeiert - und das obwohl sein Stern später ausgerechnet beim hessischen Rivalen Eintracht Frankfurt aufgehen sollte. Was war damals geschehen? Cha flog unmittelbar nach diesem Spiel gegen den VfL Bochum im Winter 1977 zurück in die Heimat, um einige Formalitäten abzuwickeln. Eine Rückkehr nach Deutschland blieb jedoch vorläufig aus, weil der damals 25-Jährige umgehend seinen Wehrdienst in Südkorea ableisten musste. Nach der erfüllten Pflicht wechselte Cha dann zur Saison 1879/80 zu Eintracht Frankfurt - und schnell wurde der Stürmer mit seiner dynamischen Spielweise, seinem wuchtigen Schuss, insbesondere aber mit seiner sympathischen Art zum Publikumsliebling bei den Hessen. Danach spielte er noch für Bayer Leverkusen. In seinen insgesamt 308 Bundesligaspielen erzielte Cha 98 Tore, darüber hinaus gewann er zweimal den Uefa-Cup (1980 mit Frankfurt, 1988 mit Leverkusen) und einmal den DFB-Pokal (1981 mit Frankfurt). Egal wo er in seiner Karriere war: In Deutschland erinnern sie sich gerne zurück an jenen Spieler, der nicht nur im Jahr 1998 zu „Asiens Fußballer des 20. Jahrhunderts" gekürt wurde, sondern der auch den Grundstein dafür legte, dass südkoreanische Spieler in Europa längst nicht mehr als Exoten gelten.

Deutsche Trainer schätzen die südkoreanische Mentalität

Und so ist es wenig verwunderlich, dass seither viele weitere Episoden in der deutsch-südkoreanischen Fußballgeschichte hinzugekommen sind. Von deutschen Trainern wird immer wieder die Mentalität südkoreanischer Fußballer positiv hervorgehoben, sie schätzen ihre Charakterstärke, ihre Anpassungsfähigkeit und Akribie. So auch Uli Stielike, der bis Juni 2017 Trainer der südkoreanischen Nationalmannschaft war: „Koreaner sind diszipliniert und korrekt in ihrem Verhalten", erzählte er in einem Interview mit der der „Welt". „Im Spiel gibt es kein Schwalbentheater, und niemand würde auf die Idee kommen, auf den Boden zu spucken. Ich habe nie erlebt, dass einer aus der Rolle fiel." Die gut organisierte und akkurate Defensivarbeit der Südkoreaner könne bei der WM ein entscheidender Vorteil werden, findet der 68-Jährige, der jedoch auch um die Schwächen seiner ehemaligen Spieler weiß: „75 bis 80 Prozent aller koreanischen Profis, die im Ausland unter Vertrag stehen, sind Abwehrspieler. Kaum ein Stürmer hat es geschafft, einen europäischen Spitzenklub zu verstärken."

Die Menschen in Südkorea wiederum erfüllt es mit Stolz, dass einige ihrer Landsleute inzwischen gut genug sind, um auf höchstem europäischem Niveau zu bestehen. Und obwohl die Anzahl hochkarätiger Offensivspieler eher bescheiden ist, so ist der herausragende Akteur im Kader der Südkoreaner ausgerechnet ein Angreifer: Son Heung-min, der zuvor einige Jahre in der Bundesliga für Bayer Leverkusen und den Hamburger SV spielte, hat sich seit seinem Wechsel in die englische Premier League zu einem Spieler von internationalem Format entwickelt. Stolze 30 Millionen Euro ließen sich die Tottenham Hotspur die Verpflichtung des dynamischen und technisch beschlagenen Offensivmanns im Sommer 2015 kosten, heute dürfte er deutlich mehr wert sein. Der körperliche Fußball auf der Insel lehrte ihm Wettkampfhärte, und Son verbannte aus seinem Spiel nach und nach jenen jugendlichen Schnörkel, der ihm in Deutschland noch anhaftete. Inzwischen gilt der 25-Jährige als einer der besten Offensivspieler in der wohl stärksten Liga der Welt.

Son ist der große Star in der Mannschaft von Trainer Shin Tae-Yong, doch auch das Interesse an den südkoreanischen Spielern in Deutschland ist groß. Bei Bundesliga-Spielen des FC Augsburg tummeln sich etwa Woche für Woche gleich mehrere südkoreanische Journalisten auf den Pressetribünen, um in der Heimat über die Leistung von Mittelfeldspieler Koo Ja-Cheol zu berichten. Nach der Partie nimmt sich Koo immer viel Zeit für ihre Fragen, er grüßt alle persönlich, erklärt und gestikuliert, ehe er sich mit einem Lächeln in die Kabine verabschiedet. Sein ehemaliger Teamkollege Ji Dong-Won, der im Winter von Augsburg nach Darmstadt in die zweite Bundesliga gewechselt war, hat es hingegen nicht in den WM-Kader geschafft.

Schöne Erinnerungen an Duelle mit der DFB-Elf

Bei der Weltmeisterschaft 2018 treffen Deutschland und Südkorea am 27. Juni beim letzten Gruppenspiel, ausgetragen im russischen Kasan, aufeinander. Es wird das dritte Aufeinandertreffen der beiden Nationen bei einer Weltmeisterschaft. Und obwohl die Rollen auf dem Papier immer klar verteilt zu sein schienen, tat sich die DFB-Elf bislang immer schwer gegen den Außenseiter. In der Vorrunde der WM 1994 siegte Deutschland im amerikanischen Dallas knapp mit 3:2, für beide Seiten in positiver Erinnerung geblieben ist aber vor allem die Partie im Halbfinale des Heim-Turniers im Jahr 2002. Südkorea musste sich in Seoul am Ende zwar mit 0:1 geschlagen geben und verpasste damit den zunächst für unmöglich gehaltenen Traum vom Endspiel nur knapp. In der Welt wurde diese Niederlage jedoch als ein weiterer Achtungserfolg gewertet. Einmal mehr gelang es Südkorea, das in den Runden zuvor Italien und Spanien bezwungen hatte, einem großen Favoriten mit einer couragierten Leistung alles abzuverlangen.

Mit dabei während der schönsten Wochen Südkoreas auf der großen Fußball-Bühne war Cha Du-Ri, der Sohn von Cha Bum-Kun. Geboren wurde er in Frankfurt, als sein Vater für die Eintracht auf Torjagd ging, und auch er spielte für zahlreiche Vereine in der Bundesliga. Inzwischen hat auch der Sprössling seine Karriere beendet, 2015 beim FC Seoul. „Natürlich bin ich in erster Linie Südkoreaner", sagte er einmal. „Ich bin aber auch Frankfurter. In beiden Ländern mein Glück gefunden zu haben, das ist der vielleicht größte Erfolg in meinem Leben."

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